Lisbeth Salander ist die wohl faszinierendste weibliche Romanfigur des 21. Jahrhunderts. Eine verletzte Heldin, die sich unnahbar gibt und ihre Vergangenheit als große Last täglich mit sich rumträgt. 2009 brachte Niels Arden Oplev eine spannungsgeladene Adaption des Bestsellers "Verblendung" von Stieg Larsson in die Kinos und Lisbeth Salander etablierte sich als moderne Heldin des Kinos. Es folgten die Verfilmungen der zwei weiteren Larsson-Bücher der „Millennium"-Trilogie: „Verdammnis" und „Vergebung". Weltweit spielten die Filme insgesamt 100 Millionen Euro ein und das Mädchen mit dem Drachentattoo war in (fast) aller Munde. Eine Ausnahme bildet die USA, die sowohl das Synchronisieren ausländischer Filme, als auch Untertitel ablehnt. Daher folgte 2011 die altbewährte Lösung Hollywoods: ein aufwendig produziertes Remake.
Was aber taugt das Remake der Bestseller-Verfilmung?
Buchverfilmungen sind oft enttäuschend, da der Zuschauer nach dem Lesen des Buches mit einer bestimmten Erwartungshaltung über Figuren und Handlung ins Kino geht. Häufig wird das Erwartete dann nicht erfüllt und es heißt "das Buch ist aber besser". Die schwedische Adaption von „Verblendung", die 2010 in die Kinos kam, ist trotz Abweichungen von der literarischen Vorlage ein filmisches Meisterwerk geworden. Der Film mit dem schwedischen Originaltitel „Män som hatar kvinnor" überzeugte: "Verblendung" brilliert mit einem spannenden, intelligenten Aufbau der Handlung und eindrucksvollen Bildern. Besonders hervorzuheben ist die außerordentliche Leistung der Hauptdarsteller Michael Nyqvist als Mikael Blomkvist und Noomi Rapace als Lisbeth Salander. Auch der skandinavische Charme, der sich durch die 152 Filmminuten zieht, muss in gleichem Atemzug als weitere Zutat des Erfolgsrezeptes genannt werden. Der Film besteht aus einer perfekten Mischung aus purem Nervenkitzel einerseits und die Beleuchtung der verstörenden Emotionalität von Mikael und der Ermittlerin Lisbeth anderseits. An Soundeffekten und Filmsongs wurde gespart, nicht aber an Close-Ups der Haupdarsteller, um die Emotionen im größten Maße einzufangen.
Noomi Rapace erspielt den Zuschauern jede noch so kleine Gefühlsregung der Lisbeth Salander, was man in der Hollywood-Version oft vermisst. Soll nicht heißen, dass Rooney Mara in der Rolle der leidenden Heldin nicht überzeugen kann, aber zur Perfektion mangelt es ihr an Verbissenheit. Außerdem verzichtet David Fincher auf die ausführliche Darstellung der besonderen Anziehungskraft der beiden Hauptfiguren — Salander und Blomkvist treffen erst nach gut 60 Filmminuten das erste Mal aufeinander.
Dass Fincher sich dabei genau an die Romanvorlage hält, macht den Film aber keineswegs besser als das schwedische Original . Hollywoods Remake orientiert sich über die gesamte Länge an dem Bestseller von Stieg Larsson. Und endet dann in einer gebrochenen, unglücklich verliebten Lisbeth Salander — was den Film leider zu einer Mini-Romanze verkommenn lässt und ein großes Stück der außergewöhnlichen Persönlichkeit und Anziehungskraft der Heldin nimmt. Der (vom Buch abweichende) spannungsgeladene Handlungsstrang des schwedischen Films wurde von Fincher nicht übernommen. Der amerikanische Regisseur gibt in "Verblendung - The Girl with the Dragon Tattoo" Episoden Raum, die von Niels Arden Oplev nur kurz angerissen, gar weggelassen wurden. Wie sich zeigt, eine kluge Entscheidung des Dänen, denn das Remake weist an einigen Stellen dadurch ziemliche Längen auf und büßt an Nervenkitzel ein.
Dennoch ist „Verblendung — The Girl with the Dragon Tattoo" ein spannender Film, der beim Publikum ankommen wird — nicht aber an das schwedische Original anknüpfen kann. Die Figuren werden im Original besser in ihrer Komplexität gezeigt und dem Zuschauer ermöglicht, sich tiefgründiger in alle Facetten der einmaligen Persönlichkeiten hineinzuversetzen. Eben genau das, was den Leser an dem Buch von Stieg Larsson so sehr fasziniert. Zwar spielt der Film, der am 12. Januar 2012 in Deutschland gestartet ist, in Schweden und spiegelt das skandinavische Milieu wieder, erreicht aber bei weitem nicht den eigenen Charme des Originals. Fast lächerlich wirken dadurch die kleinen Versuche wie beispielsweise, dass sich die Figuren in Landessprache begrüßen und einige Personen englisch mit schwedischem Akzent sprechen.
„Verblendung — The Girl with the Dragon Tattoo" ist durchaus sehenswert und ein spannend inszenierter Film. Begeisterung wird der Streifen lediglich bei den Zuschauern wecken, die den Film aus dem Jahr 2009 nicht kennen. Für den Rest bleibt das enttäuschende Gefühl, das alles schon mal richtig gut gesehen zu haben.
Quelle:Anne Soho