Halloween (1978 - John Carpenter)
"Death has come to your little town, Sheriff."
"Halloween" ist der König aller Slasherfilme. Carpenter verzichtet bewusst auf die Stilmittel, die spätere, qualitativ schlechtere Nachfolger und Nachahmerfilme auszeichnen sollten: viel Blut, einen hohen Bodycount und die selbstzweckhafte Darstellung viel nackter Haut. Dem Film liegt ein unglaublich minimalistisches, simples und cleveres Drehbuch zugrunde, welches gemeinsam von John Carpenter und Debra Hill verfasst wurde.
Der Film erzählt die Geschichte von drei Teenager/Babysitter, die an Halloween von einem Killer gestalkt und terrorisiert werden. Ein Killer, der wahllos mordet und seine Opfer nicht nach Kriterien auswählt. Ein Killer ohne Motivation und ohne jegliches Motiv. Das macht ihn so unberechenbar wie einzigartig. Absolut jeder könnte sein nächstes Opfer sein, was dem Film ein zusätliches Spannungselement verleiht. Der Killer spricht nicht und versteckt sein Gesicht unter einer weißen, kalten, emotionslosen Maske, fast gänzlich frei von jeglichen menschlichen Zügen. Anstelle seiner Augen starren wir nur in eine endlose schwarze Leere. Das absolut Böse. Michael Myers. Der Schatten.
Carpenter beschließt, die drei Teenager über einen sehr langen Zeitraum im Film zu begleiten. So lernen wir die Charaktere kennen und fangen an, uns für sie zu interessieren. Oftmals begleiten wir sie sogar durch eine sehr voyeuristische Kamera, wo man fast schon meinen könnte, es sei Michael's Perspektive. Das führt zu unterbewusstem Unwohlsein beim Zuschauer. Deshalb fangen wir auch an mit den Teenagern mitzufiebern. Durch diese einfachen und sehr raffinierten Kniffe werden diese Figuren zu unwissenden, passiven und verwundbaren Opfern. Außerdem befinden sie sich alle in der selben Straße zum Babysitten. Dadurch kann Michael sie alle fast gleichzeitig stalken, beobachten, seine perfiden Spielchen/Streiche mit ihnen spielen und wenn er möchte, sogar töten. Carpenter lässt ihn nicht umsonst fast immer links oder rechts nur schemenhaft im Bild erscheinen, wenn er seine Beute beobachtet. Deshalb ist die Kameraführung so genial, denn wenn Michael seine Opfer beobachtet tun wir das Dank der "über-die-Schulter-Perspektive" auch. Die Kamera fängt ihn so ein, dass er mit den Schatten verschmilzt und eins mit der Nacht wird. Er ist der Schatten. Der Zuschauer bekommt das Gefühl, dass Michael hinter jedem Busch, hinter jedem Baum und hinter jedem Haus lauern könnte. Michael könnte jeder Zeit zuschlagen und seine Opfer ermorden. Durch Loomis werden wir immer wieder daran erinnert, dass Michael nichts menschliches an sich hat und er unbedingt gefunden und aufgehalten werden muss - der leibhaftige Tod ist nach Haddonfield gekommen. Ihm wird dadurch eine allgegenwertige Präsenz verliehen und er stellt eine allgegenwertige Gefahr und Bedrohung dar. Selbst wenn man ihn gar nicht sieht oder hört. Das Resultat ist ein enormer Spannungsbogen, der von Carpenter extrem ausgedehnt wird. Denn wir fürchten uns nicht vor dem eigentlichen Mord, sondern vor der Antizipation des Verbrechens. Und weil der Meister sich dabei so unendlich viel Zeit lässt, zerrt das ungemein an unserem Nervenkostüm und die Spannung wird von Minute zu Minute intensiviert, bis sie fast ins Unermesslichte steigt. Wie ein Gummiband, an dem man immer weiter zieht und sich fragt, wann es denn nun reißen wird. Zumal uns die Opfer auch als sehr sympatische Charaktere ans Herz gewachsen sind.
Dazu kommt dann noch der Part von Loomis - dem einzigen Charakter, der weiß(!), was Michael Myers wirklich ist: das absolut Böse. Doch niemand will ihm Gehör schenken, nicht einmal der Sheriff. Der nimmt ihn überhaupt nicht ernst. Doch immer wieder trichtert Loomis ihm und auch den Zuschauern ein, wie gefährlich Michael ist. Er geht sogar soweit, ihm die Menschlichkeit abzusprechen. Er versucht verzweifelt das abolut Böse aufzuhalten. Doch er scheint immer und immer wieder gegen eine Wand zu reden/rennen. Da wir aber im Wechsel immer wieder sehen, dass Michael sein Unwesen treibt und es nur eine Frage der Zeit ist bis er zuschlägt, stellt sich beim Zuschauer ein Gefühl von einem "Wettlauf gegen die Zeit" ein. Wird Loomis Michael rechtzeitig finden? Wird er ihn auch aufhalten können? Wie viele Opfer wird Michael fordern? Das erhöht die Spannung abermals. Und als Loomis dann herausfindet, dass Michael ganz in der Nähe ist und Laurie zur selben Zeit geradewegs in Michael's Falle läuft ist die Spannung kaum noch auszuhalten. Dieser Moment, wo Laurie von Haus A nach Haus B geht, dauert gefühlt eine halbe Ewigkeit. Womit wir wieder beim Punkt des Auslösens von Angst durch Antizipation angelangen.
Laurie ist neben Loomis auch die einzige Person, die spürt, dass etwas nicht stimmt. Sie schenkt dem ganzen jedoch Beachtung, so dass ihre Alarmglocken klingeln. Das ist auch der Grund, weshalb sie überlebt: sie ist sich ihrer Umgebung und den seltsamen Geschehnissen bewusst, und schreibt diese nicht als Nichtigkeiten oder Albernheiten ab - so wie Annie oder Lynda es tun. Sie hört auf ihren stillen, inneren Alarm und ist daher auf der Hut. Bereit für was auch immer sie erwarten mag.
Die beiden Handlungsstränge (Loomis und Babysitter) verlaufen parallel, ergänzen sich wundervoll in ihrer simplen, linearen Gestaltung und sorgen für eine vorbildliche Spannungskurve. Im Finale laufen sie perfekt zusammen. Es ist genau dieser Simplizismus, in dem die wahre Stärke von Carpenter's Film steckt.
Aus technischer Sicht spielt "Halloween" in der ersten Liga. Die Geschichte des Films wird von Kameramann Dean Cundey überwiegend visuell in extrem atmosphärischen Bildern erzählt. Das Framing ist in jeder Einstellung und in jeder Kamerafahrt zu jeder Zeit perfekt. Die Kamera ist Dank des Einsatzes der Panaglide fast immer in Bewegung. So folgt sie u.a. den Charakteren in sehr vielen Longtakes. Revolutionäre POV Shots und Kamerafahrten finden ebenso Verwendung. Der Film wirkt dadurch lebendig und der Zuschauer wird noch aktiver in die Geschehnisse miteingebunden. So hat der Zuschauer durch die lebendige Kamera z.B. das Gefühl die drei Teenager auf ihrem Heimweg tatsächlich zu begleiten. Generell sieht der Film sehr edel und hochwertig aus. Cundey und Carpenter sind ein tolles Team, da ich ihre "show, don't tell"-Philosophie des Filmemachens einfach liebe. Film ist ein visuelles Medium, und daher begrüße ich es sehr, dass die beiden ihre Geschichten im höchsten Maße visuell erzählen. Die Musik ist legendär. Ohne sie wäre der Film undenkbar. Sie trägt massiv zur Atmosphäre bei. Der Schnitt ist perfekt gesetzt. Das Resultat ist eine klare Struktur und Narrative. Der Zuschauer kann der Handlung zu jedem Zeitpunkt folgen. Motivationen und Handlungen der Charaktere erscheinen glaubhaft. Die Spannungskurve in "Halloween" ist meisterhaft und zählt zu den Besten im gesamten Genre. Das Pacing ist exzellent.
"Halloween" bietet ein tolles Ensemble an Schauspielern. Donald Pleasence als Dr. Loomis zählt zu meinen Alltime-Favorites. Er ist ein toller, gestandener Charakterdarsteller, der dem Film durch seine nuancierte Darbietung die nötige Gravitas, Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit veleiht. Nick Castle als Michael Myers/The Shape ist absolut furchteinflößend. Seine Performance dieser Filmfigur ist bis heute unübertroffen.
Jamie Lee Curtis als Laurie Strode ist zur Ikone avanciert und begeistert auch nach über 40 Jahren noch immer die Fans in der gleichen Rolle. Alle anderen Darsteller fügen sich ebenfalls harmonisch ins Gesamtbild ein.
"Halloween" ist, wie man es dreht und wendet, ein Meisterwerk. Auch abseits des Horrorgengres und des Low Budget Bereichs.
10/10