96 Hours
Pierre Morels zweite Regiearbeit nach dem ebenfalls schon auf die zwielichtigen Viertel in Frankreichs Straßen fokussierten “Ghettogangz” dient als Sandsack mit möglicherweise therapeutischer Wirkung, Frust abbauen zu können, den man im wahren Leben aufgrund von sozialen Normen nicht abbauen kann.
In dieser Funktion ist “96 Hours” eine höchst effiziente Bombe. Die Gleichmäßigkeit, mit der sich da Unrechtes durch Gerechtigkeit ausbügelt, ist ebenso nah an der Schablone eines beliebigen Standard-Actionfilms wie es weit von der Realität entfernt ist, und doch oder gerade deswegen eine Abfolge von orgiastischen Höhepunkten wert, für die man sich nicht schämen muss - weil die Tatsache, dass all dies regelrechter Nonsens ist, über die volle Dauer omnipräsent bleibt.
Ohne Liam Neeson wäre das alles nicht denkbar. Malte man sich einen typischen aktuellen Actionhelden in der Titelrolle aus - einen Vin Diesel, einen Jason Statham - es hätte längst nicht die gleiche Wirkung. Dass es ausgerechnet Neeson, ein anerkannter Charakterdarsteller ist, der die Selbstjustiz in vollen Zügen auskostet, macht die Magazinsalven in Gegnergesichtern, die Kugeln in den Schulterblättern völlig Unschuldiger umso bedrückender, wofür nicht einmal Blutfontänen in Heroic Bloodshed-Manier erforderlich sind.
“Ein Film, der bloß unterhalten will” - diese Floskel lässt sich angesichts von “96 Hours” umformulieren in “Ein Film, der bloß der emotionalen Entladung dienlich sein will”. Er verkörpert damit eines der ursprünglichsten Ziele des Kinos jenseits der Geschichtenerzählung und ist somit “Unterhaltungskino” in seiner pursten Form. Dass auf dem Weg dorthin Frankreichs Image und damit stellvertretend dasjenige Europas über Sandstein geschliffen wird, ist Nebenprodukt der bewussten und unverhüllten Schwarzweißmalerei. Frankreich und mit ihm ganz Europa wird es verkraften.
8/10
Die Fully-Strong-Uncut-Version meiner Kritik findet ihr hier.
http://www.ofdb.de/review/136578,346998,96-Hours