AW: Zuletzt gesehen
Die 36. Duisburger Filmwoche ist vorüber und von Donnerstag bis Samstag habe ich dem Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms beigewohnt und tiefe Einblicke in deutsche Dokumentarfilmszene erhalten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Festivals gibt während des Programms keine Überschneidungen, sodass die Möglichkeit besteht jeden Film zu sehen. Im Anschluss zur Filmvorführung gibt es eine Diskussionsrunde mit dem/den jeweiligen Filmemacher(n), sodass auch Produktionsprozesse und weitere Hintergründe zum jeweiligen Film transparent werden.
Donnerstag
Happy End (O-Ton)
Dieser Film von Stanislaw Mucha ist ein Beitrag der Fernsehreihe „Fremde Kinder", die vom 3sat initiiert worden ist. Für mich war der Film ein idealer Einstieg für dieses Festival, weil er zunächst deutlich machte, wo der Unterschied zwischen seriösen Dokumentationen und Fernsehreportagen der Privatsender liegt (keine Überdramatisierungen oder propagierte Klischees und Vorurteile) und zum anderen zwei sehr aktive Protagonisten besaß, die den Film allein durch ihre Präsenz getragen haben.
Richtung Nowa Huta
Der Film von Dariusz Kowalski beschäftigt sich mit der sozialistischen Modellstadt Nowa Huta und zeigt Impressionen vom aktuellen Stadtbild. Der Film bleibt fragmentarisch und reiht schön gefilmten Aufnahmen hintereinander ohne einen wirklich ersichtlichen roten Faden oder einen leitenden Protagonisten. Das wirkt auf Dauer ermüdend und langweilig und bietet keinen Erkenntnisgewinn.
Kern
Der meiner Meinung nach provokanteste Film des Festivals ist ein Porträt des österreichischen Schauspielers und Regisseurs Peter Kern. Der Charakter Kern ist ambivalent und durch seine direkten, überzeichnete Selbstdarstellung strapazierte der Film meine Nerven, aber bot auch am meisten Diskussionspotenzial. Der interessante Aspekt ist das Intervenieren eines Künstlers innerhalb seines eigenen filmischen Porträts.
Am Ende aller Tage
Die vielen Detail- und Großaufnahmen von Alltagshandlungen fand ich in diesem familiären Generationsporträt sehr interessant, aber leider störten mich gen Ende die Off-Kommentare, die für mich den Stil und die Aura des Films demontierten.
Freitag
Heidis Land – Eine Reise
Der Film will die Auswirkungen der berühmten Animeserie auf das Bild der Schweiz illustrieren, was aber für mich keinesfalls gelungen war. Die uninspirierten Bilder wirkten oberflächlich und einen Bezug zum Film konnte ich nicht herstellen. Das gleiche Problem dürfte auch der Regisseurin Susanne Quester betreffen, die überhaupt nicht deutlich machen konnte, wieso sie diesen Film gemacht hat und was sie letztlich aussagen wollte.
Der Auftrag
Die Form des Kommunizierens zwischen Strafverteidiger und seinem Mandaten ist im Fokus des Films von Ayla Gottschlich und kann einen interessanten Einblick in einen juristischen Fall gewähren. Sehr interessant und hat mir gut gefallen.
Detlef – 60 Jahre schwul
Der Untertitel ist leider vollkommen plakativ ausgefallen, aber der Film von Stefan Westerwelle und Jan Rohstein gibt einen sehr guten Einblick in die deutsche Schwulenbewegung und porträtiert einen seiner wichtigsten Sprachorgane Detlef Stoffel. Im Gegensatz zu den vorherigen Filmen wirkt der Film deutlich konventioneller, was überhaupt nicht negativ aufgefasst werden sollte, sondern für mich dem Bild eines klassischen Dokumentarfilms entsprach. Sehr gut gefilmt, viele wissenswerte Informationen, eine sehr gute Rekonstruktion des damaligen Zeitgeists und Momente, die zum Nachdenken anregen. Detlef Stoffel wirkte in diesem Film auch mich wie die Antithese zu Peter Kern.
Ein neues Produkt
Ist das noch eine Dokumentation oder bereits Satire? Die deutsche Dokumentarfilmlegende Harun Farocki gibt einen kurzen Einblick in den Arbeitsalltag von deutschen Managern, die ein neues Produkt entwickeln. Im Zentrum stehen die Diskussions- und Kommunikationsformen, die realistisch abgebildet sind und genau aus diesem Grund sehr humoristisch ausgefallen sind. Ein Pflichtfilm für alle konditionierten Büromenschen!
Heino Jaeger – Look Before you kuck
Gerd Kroske zeichnet das Lebens des Künstlers und Humoristen Hein Jaeger nach, der bereits während des Zweien Weltkriegs seine satirischen Kommentare über das Regime kundtat. Der Humor und das Schaffen Jaegers, den ich vor diesem Film nicht kannte, wurde sehr gut aufbereitet und die Erinnerungen alter Freunde und Weggefährten lassen sehr gut erkennen, was für ein Mensch Heino Jaeger war. Aufgrund der vielen vorherigen Filme hatte meine Konzentration deutlich nachgelassen und daher wirkte der Film auch mich sehr langatmig.
Oben im Eck – Holger Hiller
Der letzte Film des Tages war ein merkwürdiges Kuriosum, der mich aufgrund seines experimentellen Charakters und seiner Primitivität größtenteils nervte. Im Anschluss legte Holger Hiller in einer Bar neben dem Kino noch auf und zeigte mir eindrucksvoll, dass ich mit seiner Musik rein gar nichts am Hut habe. Daher bin ich relativ schnell geflüchtet.
Samstag
Angriff auf die Demokratie – Eine Intervention
Romuald Karmakar gehört neben Farocki zu den bekanntesten Regisseuren des Festivals und daher hatte ich eine gewisse Erwartungshaltung bezüglich des Films. Doch das Filmen von mehreren Reden im Berliner Haus der Kulturen war aus filmischer Sicht vollkommen simpel konstruiert und die meisten der ausführlichen Reden zum Thema Märkte wirkten auf mich ermüdend und langweilig. Mit 120 Minuten war es leider auch der längste Film meines Festivalaufenhalts
Neukölln-Aktiv
Der nächste Film befand sich in einer ähnlichen Monotonie und die Arbeit von Sozialpädagogen mit problematischen Jugendlichen wirkte auf mich größtenteils langweilig. Im Gegensatz zu den reißerischen Reportagen von RTL ist der Film durch seine Authentizität eine Wohltat, aber generell bin ich von dem Thema ein wenig übersättigt.
Preis des Goldes (OmeU)
Die Darstellung der illegalen Aktivitäten von mongolischen Goldgräbern war für mich einer der professionellsten Filme des Festivals und wurde auch zur Recht mit einem Preis auszeichnet. Unglaublich gut gefilmt, großartige Bilder und eine sehr gute Übermittlung der Atmosphäre sind die großen Stärken des Films. Ein wenig langatmig wirkte der Film dennoch auf mich, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich mittlerweile ein wenig von den Tagen geschafft war.
Abschlussfilm
Sans Soleil
Im Vorfeld habe ich mich eingehender mit dem Künstler und Filmemacher Chris Marker beschäftigt und „Sans Soleil“ zählt neben seinem einzigen Spiefilmprojekt „La Jetée“ (Original von „12 Monkeys“) zu seinen bekanntesten Werken. Bevor der Film projiziert worden ist, gab es eine ausführliche und sehr interessante Einleitung zur Person Markers und zum Film, die meine Erwartungen an den Film hat noch steigen lassen.
Diese Erwartungen hat der Film um ein vielfaches übertroffen! Der Essayfilm porträtiert alternierend die japanische und afrikanische Kultur und sprudelt vor visuell großartig arrangieren Bildkompositionen, die dem menschlichen Auge so viele Eindrücke geben, wovon ich vermutlich noch Jahre nähren werde. Es ist nicht nur die Darstellung der Kultur, sondern viel mehr das zentrale Thema der Erinnerung und die zahlreichen autobiographischen Verweise auf Marker, die der Erzähler des Films in einer ähnlich meditativen Weise preisgibt wie es Cronenberg dieses Jahr mit „Cosmopolis“ gelang. Ein Film, der mein Herz schneller schlagen ließ, und mich in seiner Ambivalenz und Rätselhaftigkeit an Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ erinnerte.
Diesen Film als ein Meisterwerk zu bezeichnen wäre eigentlich noch zu kurz gegriffen, denn der Begriff des Meisterwerks wird diesem Film gar nicht gerecht. 10/10