AW: Letztes Jahr in Marienbad
Letztes Jahr in Marienbad
Normalerweise startet eine Kurzkritik immer mit einer kurzen Inhaltsangabe, die einen Eindruck vom Film vermitteln soll. In diesem Fall gehen da die Schwierigkeiten bereits los, da man von einer klar definierten Handlung im herkömmlichen Sinne nicht sprechen kann. Fest steht: ein Mann unterhält sich mit einer Frau in einem Luxushotel in Marienbad. Er versucht sie zu überzeugen, dass sie sich bereits im letzten Jahr am selben Ort getroffen und ein Jahr Zeit für eine folgenschwere Entscheidung gelassen haben. Doch die Frau scheint sich daran nicht zu erinnern...
Man könnte jetzt eine klassische Romanze erwarten. In gewissem Sinne trifft das auch zu, aber gleichzeitig ist der Film meilenweit davon entfernt. Zu merkwürdig wirken die statischen, dem Zuschauer nicht näher vorgestellten Charaktere, die zumeist in ebenso statischen Bildern verharren und zusammenhanglose Gesprächsfetzen zum Besten geben. In Verbindung mit dem sich ständig wiederholenden Monolog aus dem Off und den oftmals schwülstig-pathetischen Dialogen der beiden Hauptfiguren entsteht eine Atmosphäre, die gewaltig an den Nerven zerren kann – und zwar nicht unbedingt im positiven Sinne. Ich war mehr als einmal in Versuchung, den Film abzuschalten. Warum ich es nicht getan habe? Weil „Letztes Jahr in Marienbad“ aller Langatmigkeit zum Trotz eine Faszination ausstrahlt, der man sich nur schwer entziehen kann. Perfekte Bilder, die nicht selten an Gemälde alter Künstler erinnern, lange Kamerafahrten durch prunkvoll-überfrachtete Gebäude, stummfilmartige Gesten und Mimiken der Darsteller – das alles hatte ich in dieser Form in einem relativ alten Film noch nie gesehen. Diese Zusammensetzung war neu. Da hält man sich für einen Lynch-erprobten Filmfan, den kaum noch etwas überraschen kann, und wird prompt von Alain Resnais' 50 Jahre altem Schinken aus den Latschen gehauen. So muss das sein. Da bekommt man richtig Lust, sich anderen alten Klassikern zu widmen, die man bisher - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht auf dem Schirm hatte.
Auch wenn mich die technische Seite mehr begeistert hat als die kaum vorhandene Geschichte, so bietet diese immerhin ordentlich Interpretationsspielraum. Ich habe während des Anschauens die ein oder andere Theorie entwickelt, bestätigt hat sich im Endeffekt nichts. Alles ist möglich. Und das trägt nicht wenig zur Einzigartigkeit dieses ungewöhnlichen Filmes bei. Hoffentlich kommt hier eine kleine Diskussion darüber zustande, das wäre bestimmt außerordentlich interessant.
Fazit: Sperrig, unkonventionell, wegweisend. Und ohne geeignete Stimmungslage absolut nicht konsumierbar. Ähnlich hin- und hergerissen war ich zuletzt bei Kubricks „Eyes Wide Shut“, den ich inzwischen als Meisterwerk einstufe. Dass „Letztes Jahr in Marienbad“ dieses Prädikat ebenfalls verdient, steht außer Frage – da sind schon einige Generationen von Filmfreaks vor mir drauf gekommen. Aufgrund tendenziell auftretender Langeweile und der arg gewöhnungsbedürftigen Sprache gibt’s von mir „nur“ 8/10 Punkte. Aber das liegt halt im Auge des Betrachters. Die Optik allein ist ein klarer Zehner.