AW: Amer
Ich schätze mal das der Film 2 von 10 Leuten gefallen wird
Dich rechne ich mal zu den Zweien
Kaum zu glauben das es mitlerweile 9 Jahre her ist das der Film rausgekommen ist und ich ihn erst jetzt gesichtet habe. Schande über mich! Aber Du hast natürlich mit Deiner Einschätzung goldrichtig gelegen. Ich bin absolut begeistert von dem Film. Er ist weit weg vom Mainstream... alleine deshalb war ich schon direkt von Anfang an Feuer und Flamme. Man erfährt nur wenig von den Charakteren, jedenfalls auf der Tonspur. Vieles muss man sich selbst erklären und genau das ist immer ein sehr großes Plus für mich wenn ein Film solche Wege geht, also man nicht alles auf dem Silbertablett präsentiert bekommt.
Die drei Akt Einteilung wurde hier ja schon sehr häufig erwähnt, aber ich muss einfach auch nochmals drauf eingehen weil sie für mich nicht nur inhaltlich sondern auch filmstilistisch phantastisch ist und einen Mix darstellt, der sehr selten wenn nicht sogar einmalig ist.
Akt 1
Hier bekommen wir einen tatsächlichen Grussel/Schocker geboten der sowohl klassische Elemente als auch okulte Elemente vereint und selbstverständlich auch eine Hommage an die Großmeister des Giallo darstellt.
Ich musste halt währenddrin immer sofort an die Vorbilder denken. Bei starkem rot/blau Kontrast an "Suspiria", bei anderen Farbmischungen an "Horror Infernal" oder "Blutige Seide". Wenn dann noch verschiedene bekannte Musikeinsätze kommen, denkt man natürlich auch dran. Habe beispielsweise mitten im Film an "Der Tod trägt schwarzes Leder" denken müssen, weil ein Stück dort verwendet wurde. Verschiedene Treppeneinstellungen erinnerten mich an Argento
Das Farbspiel erinnerte mich natürlich auch sofort an Argento´s
Suspiria oder an Bava´s
Blutige Seide. Die Treppeneinstellungen hätten 1:1 aus einem
Dario Argento Film stammen können, dafür großen Respekt an die Macher! Wirklich sehr schöne Homagen! Selbstverständlich musste ich auch an Massimo Dallamano´s
Der Tod trägt schwarzes Leder denken. Zum einen wegen dem Musikstück, aber auch ein persönliches Gefühl im dritten Akt, was mich einfach an den Film erinnerte. Ich kann es aber nicht 100% deuten warum, es war einfach so.
Denn sofort bereitete mir etwas Unbehagen...Grundängste wurden angesprochen. Das Auge durch's Schlüsselloch resultierte dann in einer Gänsehaut am ganzen Körper. Kurzum: die erste halbe Stunde zählt mit zum Schaurigsten, dass ich je in einem Film zu Gesicht bekam.
Auch das beschreibt den ersten Akt und meine Wahrnehmung perfekt. Die Szene als Ana in das Zimmer ihres verstorbenen Großvaters kam, Gänsehaut pur und Schauer ohne Ende und das obwohl nichtmal irgendwelche dramatische und spannungserzeugende Musik eingesetzt wurde. Die Bilder sprachen für sich. Und Deine Aussage das die erste halbe Stunde mit zu dem Schaurigsten gehört was ich bisher gesehen habe, kann ich nur unterschreiben. Nicht aus Gore sicht, aber halt von der Atmosphäre her und wie eine Spannung durch Bildkompositionen erzeugt wurde, einfach genial!
Akt 2
Der zweite Akt fühlte sich für mich wie ein Softporno aus den 70ern an, ohne das jetzt abwertend zu meinen. Es war für mich zum einen eine Hommage an dieses Genre, aber natürlich auch wieder an den Giallo, da auch in diesem Genre natürlich Erotik eine wichtige Rolle spielt.
Mich hat hier auch etwas der verschwinden des Vaters gestört. Hier gab es ja auch schon einige Ansäzte. Vielleicht wurde ihm alles zuviel und er ist abgehauen, oder aber, was natürlich auch zu der fixierung auf Ana in diesem Film passen würde, sprechen würde, wäre halt wenn uns hier, auch wenn es mit keinem Wort oder explizitem Bild/Sequenz , erwähnt wurde, es in der Kindheit von Ana zu sexuellen Übergriffen seitens des Vaters kam. Was darauf vielleicht hindeuten könnte wäre die Szene als sie nach dem, ich nenne es jetzt einfach mal plakativ Albtraum, ach wurde er es war der bei ihr am Bett saß und fragte ob es ihr wieder besser ging und dabei ihre Wange streichelte. Einerseits natürlich eine ganz normale Geste eines liebevollen Vaters, die Art wie allerdings die Mutter schweigend daneben stand könnte aber auch auf etwas anderes hindeuten, nämlich halt ein sexueller Mißbrauch der vielleicht zuvor stattgefunden hat und vielleicht sogar nicht nur vom Vater sonder/oder vom Großvater. Alles jedoch nur rein spekulativ von mir da ich bisher hierzu noch nichts im Internet recherchiert habe. Es waren einfach nur Gedanken bei und nach der Sichtung, die sich ja offenbar auch bei euch hervorgetan haben, sonst wäre es hier ja nicht thematisiert worden.
Akt 3
Der dritte Akt ist dann eine 100% Verneigung an den Giallo. Sozusagen ein Kurzgiallo
. Hier gibt es natürlich viele Elemente die wieder das Giallo Herz höher schlagen lassen. Die schwarzen Handschuhe und das Rasiermesser sind auf jedenfall dabei. Was hier defintiv noch gepasst hätte, aber leider fehlte war die Flasche J&B irgendwo in einer Ecke. Aber ansonsten perfekt und wie deadly so schön geschrieben hat ist es bei Amer chronologisch erzählt. Wäre Amer jedoch ein echter Giallo und es wäre dann am Ende herausgekommen das Ana die Killerin ist, die vorzugsweise Männer anstatt Frauen tötet, hättet man vieles aus Ihrer Kindheit dann erst zum Schluss erfahren um halt ein Motiv dem Zuschauer zu präsentieren. Also im Grunde, auch wenn wahrscheinlich viele Leute behaupten das
Amer keine große Story besitzt (die meisten anwesenden in diesem Thread außen vor), hätte man
Amer genauso als klassischen Giallo inszenieren können. Interessanter ist natürlich hier die Vorgehensweise der Macher gewesen, weil es so ein Film ist der einen zum Nachdenken anregt aber eben auch etwas neues darstellt.
Die Szene in der Wanne im letzten Drittel, bringt mich da aber auch wieder ins Wanken. Da sieht es eher im ersten Anflug aus, als ob die "Bettnässer" Theorie sinnvoller erscheint. Auf der anderen Seite könnte das aber auch eine einsetzende Menstruation symbolisieren. Vielleicht eine Persönlichkeitsspaltung die immer nur während ihren Tagen einsetzt? Zu weit hergeholt? Ich weiß es echt nicht.
Bei mir war es eher die Bettnässer Theorie. Natürlich ist das mit der Menstruation auch möglich, würde sogar besser zum zweiten Akt passen, also der harte Schnitt zwischen Akt 1 und Akt 2 wäre damit gut erklärt also das halt Ana in Akt 1 noch zur Frau wird und dann halt in Akt 2 die Pupertät einsetzt.
Die Theorie mit dem Taxifahrer/Ehemann Vergleich konnte bei mir jetzt nicht zünden. Ich habe das wie beim ersten Mal wahrgenommen. Sie hinterläßt absichtlich ihr Kopftuch, damit er wieder kommt. Ihre dunkle Seite betsraft ihn für sein Verhalten im Auto und sich selbst, weil sie sich wieder zu freizügig benahm. In dem Kontext würde auch die Backpfeife von ihrer Mutter passen. Zwar aus Neid ausgeführt aber als erzieherische Maßnahme verstanden, das das was ihr Spaß machte, sich nicht gehört.
Auch hier muss ich sagen das zwar die Theorie mit dem Taxifahrer/Ehemann Vergleich sehr geil ist, aber ich es auch eher so sehe wie deadly. Aber auch das ist natürlich dan pure Willkühr das ausgerechnet dieser Mann dran glauben muss.
Wir haben ihn zwar meines Erachtens zu einem großen Prozentsatz gelöst, aber einige Dinge werden noch im Dunkeln bleiben. Vielleicht bringt Tarantino ja noch ein wenig Licht mit
Also ich denke wirklich neue Aspekte habe ich nun auch nicht mit einbringen können. Du und Eclipsed hattet da schon sehr tolle Ansätze!
Das der Film von mir die Höchstnote bekommt dürfte wohl auch klar sein. Die Inszenierung, die Bildkompositionen, der Score (wenn er denn mal eingesetzt wurde) Kameraarbeit und schlussendlich auch die Umsetzung wie die Story erzählt wurde haben mich absolut abgeholt und bilden einen schönen Beweis dafür das auch in den 2000er einige gute Filme weit ab vom Mainstream gibt.
Btw: Ich hatte mehrfach das Gefühl, dass so etwas wie "Amer" herausgekommen wäre, wenn Tarantino sich des Giallos angenommen hätte. Mit dem Unterschied, dass Tarantinos Giallo höchstwahrscheinlich etwas dialoglastiger ausgefallen wäre.
Die Idee das in einem Tarantino Giallo die Frau der "Killer" ist und Männer ermordet werden anstatt von Frauen hätte in der Tat von Tarantino kommen können. Er hätte bestimmt auch viele Szenen und Elemente verwendet, die auch in
Amer vorkommen. Also die Treppeneinstellungen, die Wannenszene, die Farbspiele, all das hätte Tarantino bestimmt mit eingeaut. Aber der Film wäre natürlich klassischer inszeniert worden und wäre absolut dialoglastischer ausgefallen. Ich bin natürlich weiterhin großer Tarantino Fan, aber ob er diese Hommagen besser verwendet hätte als es in
Amer der Fall ist weiß ich wirklich nicht.