AW: True Grit
True Grit. Ein Vergleich.
Remakes - kaum eine Gattung von Film spaltet das Publikum mehr als dieses. Für die einen ist es die systematische Entzauberung und Kommerzialisierung "ihrer" Klassiker, für die anderen längst überfällige Modernisierungen angestaubter Schinken.
Wenn sich qualitativ so konstant-hochwertige Filmemacher wie die Coen Brüder eines Roman-Stoffs annehmen, der bereits verfilmt wurde und es sich somit eher um eine Neuadaption als ein Remake handelt, dann klingt das nicht nur für mich sehr interessant, sondern lässt die meisten Filminteressierten aufhorchen.
Da ich innerhalb weniger Wochen jeweils True Grit - Der Marshall aus dem Jahr 1969 und den 2010er Film der Coens gesehen habe, versuche ich mich hier an einem, natürlich durch und durch subjektiven, Vergleich der beiden Adaptionen des Buchs von Charles Portis.
Kapitel 1: Der Hauptdarsteller, oder: der Duke gegen den Dude
Die schwierigste Frage gleich zu Beginn: wer gibt den besseren Rooster Cogburn...John Wayne oder Jeff Bridges? Da ich nicht zu den Leuten gehöre, die John Wayne-Filme von vornherein geringschätzen, eben weil John Wayne mitspielt (im Gegenteil: ich verehre viele seiner Filme), kann ich recht objektiv an diese Frage herangehen.
John Wayne spielte immer den glänzenden Helden, den letzten Menschen mit Moral, in einer ansonsten verkommenen Welt. Bei True Grit war das erstmals anders: versoffen, hinterhältig und alles andere als nobel tritt er zu Beginn auf. Im Laufe des Films wandelt sich das zwar, doch in Erinnerung bleibt v.a. ein John Wayne, wie man ihn zuvor nie gesehen hatte. Zwar charismatisch wie eh und je, stechen hier besonders die leisen Töne des Mannes mit der coolsten Stimme Hollywoods hervor.
Keine Frage: es war schwer Waynes einzige Oscar-prämierte Hauptrolle zu toppen, also versucht Jeff Bridges es erst gar nicht. Er legt die Figur ganz anders an: noch betrunkener, dafür auch leider ein wenig eindimensionaler. Die von ihm auf der Reise erzählten Kriegs- und Liebesgeschichten wirken weniger bewegend, die Gags weniger gut getimed (Ausnahme: die hervorragende Kartoffel-Zielschießen-Szene). Diese Zurückhaltung im Spiel kommt den anderen Figuren zwar zugute, aber im direkten Vergleich geht dieser Punkt an John Wayne.
Kapitel 2: Mattie und LaBoeuf, oder: changing seasons
Mattie Ross ist das Guckloch des Zuschauers und doch so viel mehr für die Story. Katalysator und Motor zugleich. In der Henry Hathaway-Version ist sie ein Kind ihrer Zeit: mit Tomboy-Frisur und rebellischer Attitüde spiegelte sie damals die Wünsche vieler junger Frauen wieder: den eigenen Kopf durchsetzen und seine Ziele nicht durch Einsatz der weiblichen, sondern der geistigen Reize erreichen. Es ist kein Zufall, dass das Buch ein Jahr vor der ersten Adaption (somit 1968) erschien, also in einer Zeit in der es gerade um neue Frauenbilder ging. Dahingehend kann man die Geschichte durchaus als Allegorie sehen.
Hailee Steinfelds Mattie ist ebenfalls rebellisch, jedoch strahlt sie gleichzeitig eine sehr natürliche Zerbrechlichkeit aus. Die Coens sehen es nicht als notwendig an, Zugeständnisse an eine bestimmte, weibliche Zielgruppe zu machen (mal abgesehen davon, dass Bewegungen wie der radikale Feminismus oder die Riot Grrrls heute kaum noch eine Rolle spielen). So wirkt Mattie viel greifbarer und auch begreifbarer.
Nervig finde ich übrigens beide nicht. Wobei der Nervfaktor in der 69er Fassung zu 100% an der schrecklichen Synchronstimme liegt. Trotzdem sehe ich Hailee Steinfeld hier leicht vorne. Wäre ich "68er" würde ich das vielleicht anders sehen.
Die Frage, ob Matt Damon besser spielt als Glen Campbell ist leicht zu beantworten: ja, natürlich. Hathaways True Grit folgte einer alten Hollywood-Tradition, nach der "zweite Geigen" in Western gerne mit Popstars besetzt wurden (siehe Ricky Nelson in Rio Bravo etc.). Campbell war damals nicht nur ein großes Teenieidol, sondern auch ein bekannter Sänger. Nicht umsonst stammt auch der Titelsong zu True Grit von ihm. Dass er leider nicht der talentierteste Schauspieler war, ist aber auch nicht von der Hand zu weisen. Damon hingegen ist gut wie immer. Die Szenen mit durchgebissener Zunge klingen extrem realistisch und er meistert den Grad zwischen arrogantem Arsch und hilfsbereiter Sympathiefigur mit Bravour. Keine Frage: der Punkt geht an Matt Damon.
Kapitel 3: Die restlichen Darsteller, oder: Licht und Schatten
Barry Pepper und Josh Brolin: diese Namen können sich sehen lassen. Und nicht nur, weil Pepper bei jedem zweiten Wort spuckt und Brolin seine Stimme bei einem texanischen Patrick Star abgeguckt zu haben scheint, bleiben einem ihre Charaktere in guter Erinnerung. Brolin hat definitiv eine größere Präsenz als sein Counterpart Jeff Corey und sticht diesen somit aus. Pepper hingegen, der in die riesigen Fußstapfen eines Robert Duvall treten musste, konnte eigentlich nur verlieren. Er spielt zwar durchaus solide, schafft es aber nie den "Outlaw mit Prinzipien" auf den Punkt zu bringen und so einige seiner Handlungen bis zum i-Tüpfelchen glaubhaft zu machen.
Die 1969er-Version hat noch einen Trumpf: Dennis Hopper. Sein winziger Part des Moon ist mit Leben und Spannung gefüllt...dagegen wirkt Domhnall Gleeson ziemlich blass.
Der Rest der Darsteller ist realtiv austauschbar: der "geprellte" Pferdehändler ist in beiden Versionen unbeholfen und lustig, Gleiches gilt für die Pensionsbesitzerin. Der in der Coen-Version neu hinzugefügte Bärenmann erfüllt seinen Zweck als einzig origineller und klassischer Coen-Moment.
Unentschieden.
Kapitel 4: Die Cinematographie, oder: colourless colours
Die 1969er-Version war cinematographisch für die damalige Zeit auf hohem Niveau. Das Technicolor bot knallige Farben und der amerikanische Westen wurde in wunderschönen Panoramaaufnahmen festgehalten.
Die Coens hingegen verzichten größenteils auf Farben, was dem Film einen leichten Sepia-Touch verleiht. Hinzu kommt hier aber die meisterhafte Fertigkeit von Hollywoods bestem Cinematographen: Roger Deakins. Was dieser für Shots bietet ist schlicht atemberaubend. Der Gehängte am kargen Baum, Shots der Reiter gegen die untergehende Sonne oder die geniale Gerichtsszene. Hier stimmt einfach alles.
Kapitel 5: Die Gemeinsamkeiten, oder: werkgetreue Adaptionen
Als es zu Beginn der Pre-Production hieß, dass die Coens sich enger an den Roman halten und den Schwerpunkt von Rooster auf Mattie verlagern wollen, ging ich, gerade bei den Coens, von einem komplett eigenem Werk aus, welches mit dem Original nicht viel mehr gemein haben wird als den groben Plot. Dem ist aber nicht so.
Nicht nur, dass der Plot komplett übernommen wurde, inkl. Szenenfolge etc. - sogar 1:1 gleiche Dialoge lassen sich finden, sowie Szenen, die exakt so inszeniert wurden, wie im Film mit John Wayne. Gerade Letzteres ist schade, da man daran sieht, dass es sich in Teilen eben doch um ein Remake handelt und nicht um eine vollkommen eigene Neuadaption des Romans.
Kapitel 6: Die Unterschiede, oder: Schmetterlinge und Orkane
Doch es gibt auch einige Unterschiede, die jeweils unterschiedliche Auswirkungen haben.
Dass die Vorgeschichte vom Tod des Vaters als Voice-Over nur erzählt wird und somit viel kürzer ist als im Original, war ein cleverer Schachzug: so hat man nicht nur in der Exposition mehr Raum um sofort auf Mattie zu lenken, sondern kann so auch schneller zum Hauptteil des Films kommen: der Suche nach Tom Chaney.
Die Szene an der Holzhütte (mit Moon und Emmett Quincy) hat mir ebenfalls in der Coen-Version besser gefallen. Da Mattie und Cogburn sich zuvor von LaBoeuf verabschiedet haben und die Szene im Gegensatz zur Hathaway-Version bei Nacht spielt, ist sie ungleich spannender.
Neu eingestreute Szenen, wie die bereits erwähnten mit den Bärenmann oder dem Gehängten, bieten die so wichtigen Coen-Momente voller Ironie. Allerdings würden sie bei John Wayne einfach fehl am Platze wirken. Der "tone" ist einfach ein anderer.
Kommen wir zum dramatischsten Unterschied - dem Ende: beide Enden haben etwas für sich und beide wissen sie auf ihre Art und Weise zu bewegen. Wenn John Wayne am Ende mit Mattie vor dem Grab des Vaters steht, dann sieht man beiden an, wie viel dieser Auftrag ihnen bedeutete. Der Sprung über den Zaun entfacht dann eine kleine patriotische Flamme und man wird mit einem wohligen Gefühl zurückgelassen. Außerdem ist der Auftritt von J. Noble Daggett ein extrem witziger Einfall und ich fand es sehr schade, dass dieser sich in der Coen-Version auf einen Voice-Cameo am Anfang des Films beschränkt und so seine komplette Überraschungswirkung vermissen lässt.
Das Ende der Coens ist wohl Roman-getreuer und bleibt dem Credo treu, sich auf Matties Sicht der Dinge zu beschränken. Deren Schicksal ging mir auf jeden Fall nahe und es war auch interessant zu sehen, was aus den Figuren geworden ist, allerdings hätte ich mir, wie im Original, lieber einen Abschluss "unserer" Geschichte gewünscht.
Epilog
Vorteile und Nachteile beider Versionen halten sich in etwa die Waage und am Ende sind es einfach zwei ganz starke Western. Nicht die besten Western aller Zeiten oder die besten Filme der jeweiligen Regisseure, aber trotzdem ein absolutes Muss!