Bevor ich in die Filmdiskussion einstiege beantworte ich erstmal Dwayne´s Frage. Vielleicht interessiert die Antwort auch andere.
Hat die 4K Scheibe wenigstens am Anfang wieder den Lauftext oder immernoch playergeneriert?
Nein, warum auch immer ist der Anfang mit dem playergenerierten Untertiteln versehen, also kein Lauftext. Sowas ist für mich jetzt nicht "kriegsentscheidend" ob ich eine VÖ gut finde oder nicht, aber es geht mir da ähnlich wie Dir, warum ändert man sowas wenn es im originalen Film von DePalma einfach anders war?
Ich würde dir gern zustimmen und ja...Scarface ist ein guter Film mit einer gewissen Wirkung. Ich hab diesen Film damals auch sehr gefeiert. Aber bei meiner letzten Sichtung hab ich festgestellt....je länger der läuft umso anstrengender wird er.
Pacino ist zum Ende hin nur noch ein unerträglicher Kotzbrocken....im Flug vergeht da bei mir leider garnix
außer vielleicht meine gute Laune (ja auch ich hab sowas hin und wieder).
Also von Anstrengung und Langeweile habe ich bei meiner aktuellen Sichtung definitiv nichts gespürt. Im Gegenteil ich habe den Film wirklich gefeiert. Die 10/10 meine ich ernst, nicht aus Kultstatus, ich gebe ihm eine ernstgemeinte 10/10!
Ich gebe Dir natürlich recht
Al Pacino spielt hier alles andere als Mr. Niceguy und sein Charakter Tony Montana ist kein Symphatieträger, im Gegenteil er soll polarisieren. Während andere grow up Storys meistens Charaktere beinhalten denen man den Erfolg gönnt und mit denen man mitleidet wenn es doch kein Happy End gibt ist es in Scarface genau umgekehrt. Im Grunde gönnt man es Tony nicht das er mit seiner Art erfolgreich wird und als er dann auf dem Gipfel ist sieht man auch warum. Er ist damit nicht glücklich. Und für mich ist die Darstellung dieses "Kotzbrockens" einfach eine geniale Charakterstudio die, zumindest aus meiner Sicht, genauso gewollt war. Tony Montana war für mich nie der Charakter zu dem ich aufgeschaut habe und gesagt habe "Coole Sau, beneidenswert" Da hat Pacino in seinem Repertoire ganz andere Charaktere gespielt die deutlich symphatischer waren. Aber wie gesagt, für mich war es auch nie beabsichtigt das Tony Montana als Leitfigur in die Filmgeschichte eingesehen sollte. Vielleicht sogar als abschreckendes Beispiel.
Aber für mich ist die Darstellung von Pacino unter dem Strich einfach genial hier in diesem Film!
Und de Palma hat sich sein "Regiegott" Status spätestens mit The Black Dahlia versaut. So oder so, Carlitos Way ist (imo) der bessere Film.
Ich gebe Dir recht das mir die aktuelleren Werke von
Brian De Palma auch nicht mehr so gut gefallen, wie seine früheren. Gerade sein aktuellster Film war auch nicht mehr so gut wie ich es mir erhofft hatte, gerade bei dem Cast! Da fand ich tatsächlich noch Passion besser, wobei auch der nicht mehr ganz auf der Höhe war.
Man darf hier allerdings auch nicht vergessen das der gute Mann bald 80 wird und ich da tatsächlich bei der Theorie von
Quentin Tarantino bin, das es irgendwann ein gewisses Alter gibt, wo man als Kreativer nicht mehr an seine früheren Werke anknüpfen kann, weil man selbst älter ist als seine ursprüngliche Zielgruppe. Spontan fällt mir aktuell wirklich nur Martin Scorsese ein, der trotz seines Alter noch weiterhin richtig gute Filme dreht!
Was Carlitos Way angeht, so bin ich der Meinung das er anders genial ist. Carlitos Way gehört tatäschlich auch zu meinen Lieblingsfilmen von DePalma, wobei er in seiner Schaffenszeit zwischen 1974 bis 1984 eigentlich für mich am genialsten war. Danach konnte er halt nur nochmal 1992 mit
Mein Bruder Kain, 1993 mit
Carlitos Way, 1996 mit
Mission: Impossible, 1998 mit Spiel auf Zeit und für mich das letzte mal 2002 mit
Femme Fatale so richtig brillieren. Aber daher mein Ausdruck Regiegott, da er für mich einfach eine große Menge sehr genialer Filme gedreht hat!
So aber nun zurück zu Scarface. Ich steige gerne nochmal mit meinen frischen Eindrücken in diese tolle Filmdiskussion ein, die hier in vergangenen Zeiten bereits entfacht war. Vielleicht hat ja der ein oder andere irgendwann auch nochmal Lust mit einzusteigen!
Brian de Palma hat mit diesem Film zweifellos ein Meisterstück abgelegt. Ich kenne das Original zwar nicht, denke aber dass de Palmas Scarface höchstens eine lose Anlehnung an den alten Film ist.
Bis vor kurzem habe ich auch so gedacht. Aber auf der neusten VÖ ist, anlässlich des Jubiläums von DePalmas Scarface, eine große Q&A Runde mit
Brian De Palma,
Al Pacino und
Steven Bauer enthalten und da habe ich erfahren, was mir zumindest neu war, das die Grundidee zum Remake von Al Pacino kam. Er schaute sich nämlich den originalen Scarface aus dem Jahre 1932 im Kino an und war total beeindruckt von der Regie Arbeit von Howard Hawks und der Darstellung von Paul Muni, die in dieser Runde generell in den höchsten Tönen gelobt wurde. Also werde ich hier mir auch mal das Original anshene müssen, weil ich wissen will wie Eigenständig De Plamas Film wirklich ist und wie inovativ die Darstellung von
Al Pacino wirklich war, also zumindest in diesem Film. Ich denke schon das hier das Remake von De Palma nur eine lose Anlehnung an das Original ist, aber ich will es endlich einmal wissen!
Um den Film vollends genießen zu können, ist wohl die Sichtung im O-Ton unerlässlich, Pacino spricht und spielt den Tony Montana hier so perfekt dass es ein Genuss ist. Aufgrund der langen Laufzeit, und meiner recht bescheidenen Englischkenntnisse, wird es aber doch häufig nur die deutsche Fassung. Die Synchro kann sich in diesem Fall aber absolut sehen bzw hören lassen und mindert keineswegs den Filmgenuss.
Ich schaue nicht wirklich viele Filme im O-Ton aber bei Scarface mache ich tatsächlich eine Ausnahme da hier Al Pacino mit Akzent einfach genial ist! Die Synchro ist auch gut, aber der Synchronsprecher kann dieses Flair nicht so gut rüber bringen. Außerdem muss man einfach dem Kultstatus des wortes Fuck, das tatsächlich sehr sehr oft in diesem Film vorkommt, einfach huldigen.
Ich habe mir bei dieser Sichtung viel Zeit gelassen um Tony Montana genau zu beobachten, seine Dialoge, seine Haltung, sein Gang. Er ist ein Charakter der keine Kompromisse eingehen will, er will alles, er will die Welt, mit allem was in ihr ist. Sinnbildlich für seinen Charakter, hat er eine Vorliebe für Tiger, er geht mit seinem Kumpel Manny in den Zoo um sie sich anzusehen, und im späteren Filmverlauf hält er sich einen Tiger als Haustier. Ein Tier welches viele Eigenschaften des Tony Montana widerspiegelt. Der Drang nach Freiheit, Tony würde genau wie sein Hauskätzchen über Leichen gehen, nur um nicht hinter Gittern zu landen. Die Zielstrebigkeit, ich sehe etwas das mir gefällt, also gehe ich hin und nehme es mir einfach. Aber ebenso steckt hinter der rauen, bissigen Schale ein Wesen mit Gefühlen, kaum sichtbar allerdings. Jedes mal wenn sich persönliche Gefühle bei Tony breit machen blockt er sie mit einem Schwall von Aggression und Schimpfwörter analer Herkunft ab. Trauer und Kritik wandelt er komplett in Wut über seine Mitmenschen ab.
Wirklich perfekt zusammen gefasst!
Und genau das zeigt wie interessant diese Charakterstudie ist und das Tony Montana eben kein "Filmheld" ist den man lieb hat, oder den man bewundert. Es ist einfach eine trauriger Charakter mit den man, auch nicht für das viele Geld, tauschen wollen würde!
Während des Film gibt es etliche Beispiele dafür, eine davon ist eine Schlüsselszene des Films, in der Tony beweist dass es sogar für ihn Grenzen gibt. Kindesmord ist sogar für ihn zu hoch, und auch hier wechselt er von Unverständnis in Wut, er redet sich richtiggehend selbst in Rage bevor er den Killer seines Geschäftspartners erschießt.
Diese Szene hat mich bei der aktuellen Sichtung wirklich total umgehauen. Früher empfand ich sie tatsächlich als etwas störend bzw. unlogisch. Warum sollte der Gangsterboss Tony Montana sich hier die Finger selbst schmutzig machen. Für mich war dies früher unverständlich. Diesen Job, also das "Kindermädchen" für den Killer von Sosa zu sein, hätte jeder aus seinem Umfeld genauso machen können. Aber bei dieser aktuellen Sichtung machte die Szene das erste mal Sinn für mich! Es war, wie Du auch so schön festgestellt hast, einfach eine der wenigen Grenzen die Tony hatte. Er hatte keine Skrupel irgendwelche Leute zu töten, er hatte keine Skrupel Frauen zu schlagen, aber ein unschuldigen Kind zu töten, das war seine Grenze. Zwar musste er dafür einen sehr hohen Preis zahlen das er hier nicht einfach genaus kaltschnäuzig wie zuvor agierte, macht ihn aber tatsächlich ein Stück weit symphatisch!
Von mir gibt es trotz einiger ganz kleiner Schwächen 10/10
Kannst Du Dich noch erinnern welche kleinen Schwächen Du mit dieser Aussage meintest? Wie bereits erwähnt ist der Film für mich eine klare 10/10 aber es gibt tatsächlich eine Sequenz die mir bei dieser Sichtung so rein garnicht gefallen hat, die absolut unpassend war und mich tatsächlich, wenn zum glück auch nur kurz, aus dem Filmgenuss rausgerissen hat. Und das war diese typische "Musiksequenz aus 80ziger Jahre Filmen" wo man im Zeitraffer sieht wie erfolgreich Tony wird und wo er dann auch heiratet. Es ist für mich, Genre übergreifend in gefühlt jedem großen Blockbuster der 80ziger zu sehen und in den meisten Filmen passt es auch und man bekommt ein gutes Gefühl. Spontan fällt mir da
Das Geheimnis meines Erfolges oder die Rocky Filme ein, wo diese art von Musiksequenzen super funktioniert haben. Bei
Scarface hat es mich wirklich aus dem Film gerissen. Das war für mich die kleine Schwäche.
Nichtsdestotrotz ist Scarface natürlich eine starke Charakterstudie von einem der auszog, die Welt zu seiner zu machen. Da ihr schon ausgiebig diesen Aspekt verfolgt habt, lege ich meinen Fokus nun auf die drei Frauen im Leben von TM.
Auch ein sehr schönes Thema, was mir tatsächlich bei meiner aktuellen Sichtung auch viel mehr aufgefallen ist! Gerade Tonys Schwester Gina ist mir diesmal viel stärker aufgefallen als zuvor.
Als erstes ist da Elvira Hancock (Michelle Pfeiffer). Ein Püppchen, so schwach und trotzdem arrogant, das man sich fragt, wieso eigentlich? Sie ist nur ein Rockzipfel am Saum der Gewalt und langweilt sich durchs Leben. Vollgedröhnt mit Koks ist sie ein Individium ohne jede Selbstachtung und echtem Stolz. Erst in der Restaurantszene wird ihr klar, welch ein Leben sie an Tonys Seite führt (oder früher mit Frank) und die Entscheidung, die sie daraufhin fällt, ist die einzig richtige: Sie verschwindet aus Tonys Leben.
Michelle Pfeiffer hat hier auch einen super Job gemacht! Sie war damals nicht nur bildschön, sondern auch sehr wandelbar. Irgendwie musste ich hier häufig an
Margot Robbie denken, die für mich auch aktuell zu den interessantesten weiblichen Schauspielern der aktuellen Zeit gehört. Auch wenn Elvira natürlich in diesem Film nur ein Nebencharaker war, so war es für mich schon wichtig wer diese Rolle spielte. Hätte De Palma hier einfach nur eine x-beliebige Blondine genommen, es wäre nicht halb so gut geworden!
Mary Elizabeth Mastrantonio als Tonys Schwester Gina ist da vom anderen Kaliber. Zu Beginn ist sie die kleine Schwester, die ihren ach so coolen Bruder anhimmelt, aber da sie einen eigenen Kopf hat, wird ihr schnell klar, das er ihr keine Luft zum Atmen lässt. Materiell ja (eigener Beautysalon) aber in Sachen Männer benimmt sich Tony eher wie ihr Vater und eifersüchtiger Ehemann in Personalunion und treibt Gina schon aus Trotz in die Arme von seinem besten Freund Manny und somit in ihr Verderben.
Wie bereits erwähnt ist mir diesmal auch viel stärker die Darstellung von
Mary Elizabeth Mastrantonio aufgefallen. Ihre Entwicklung als Tonys Schwester war auch interessant mit anzusehen. Auch in der Schlusszene wo sie Ihrem Bruder eine abartige Bruderliebe vorwirft habe ich früher immer als Schockhandlung angesehen, da ihr frisch angetrauter Mann kurz zuvor von Tony getötet wurde. Aber wenn man mal genauer drüber nachdenkt, kein Mann war gut genug für sie. Also vielleicht auch nicht komplett aus der Luft gegriffen das Tony da mehr interesse hatte, aber es logischerweise nicht ausleben konnte. Keine Ahnung ob es gewollt war oder nicht, aber so wirkte es bei dieser Sichtung auf mich das sie da sehr wohl den Nagel auf den Kopf getroffen hatte mit Ihrer Sichtweise.
Alle drei Frauen können bei all ihrer unterschiedlichen Liebe zu Tony nicht verhindern, was aus ihm wird, weil Tony selber gar nicht weiß, was Liebe ist. Für ihn geht es nur um Geld, Respekt und Macht, da hat die Liebe leider keinen Platz.
Auch hier perfekt zusammen gefasst! Eigentlich hätte er ein glückliches Leben führen können. Er hatte eine wunderschöne Frau, hatte genug Geld um ein sorgenfreies Leben zu führen und hätte somit seiner Ehe auch Kinder schenken können. In der Restaurant Szene wirft er seiner Frau ja vor das es an ihr liegt das er kein Kind mit ihr will, aber sie hält ihm dann ja eiskalt den Spiegel vor, was er denn für ein Vater wäre. Und das spiegelt sehr gut deine Aussage wieder das Liebe keinen Platz im Leben von Tony hatte. Er liebte auch Elvira nicht, er wollte sie nur besitzen weil sein damaliges "Idol" Frank López etwas hatte was er besitzen wollte. Während bei anderen Filmen dann der "Neue" auch besser ist und die arme unterdrückte Frau aus solch einer Beziehung befreit und sie dann liebt und ihr ein sorgenfreies Leben beschwert, wird in
Scarface es sogar noch schlimmer für Elvira. Ob Frank sie wirklich geliebt hat weiß man natürlich auch nicht, aber ich glaube schon das er sie respektvoller behandelte als es Tony tat.
Abschließend kann ich jedem Fan des Filmes nur empfehlen ernsthaft auf den 4K Zug umzurüsten, da das Bild hier wirklich genial ist! Der Film ist es natürlich auch!