Only God Forgives
- „Billy hat eine Sechzehnjährige vergewaltigt und getötet.“
- „Er wird schon seine Gründe dafür gehabt haben.“
So aberwitzig dieser kurze Dialog zwischen Sohn und Mutter anmutet, so steht er doch sinnbildlich für den ganzen Film. Jeder hat gute Gründe, die sein (in diesem Film meist blutiges) Handeln beeinflussen. Doch wie die aussehen, kann der Zuschauer oftmals nur vermuten – verraten werden sie ihm nicht.
Die Ausgangssituation ist schnell erzählt: Julian betreibt in Thailand einen Boxclub. Der dient aber eher als Tarnung für seine Drogengeschäfte, in die auch sein Bruder Billy und seine Mutter Crystal involviert sind. Wobei involviert untertrieben ist, denn Mama scheint die mächtige Chefin eines ganzen Drogenrings zu sein, das aus dem Ausland heraus operiert. Nachdem Billy die Tochter eines Bordellbetreibers vergewaltigt und umbringt und als Konsequenz dessen selbst getötet wird, reist Crystal nach Thailand, um den Tod ihres Lieblingssohns zu rächen. Natürlich legt sie nicht selbst Hand an; diesen Job soll Julian übernehmen. Der stößt bei seinen Nachforschungen auf den dubiosen Chang, der indirekt für Billys Ableben verantwortlich ist...
Wer jetzt einen konventionellen Rachefilm erwartet, der dürfte enttäuscht werden. Es gibt weder eine klar nachvollziehbare Handlung noch krawallige Action. Refns Film ist eher eine Mischung aus Eastern, Western und Gangsterfilm mit wortkargen Charakteren, dargeboten in opulent inszenierten Bildern mit Giallo-artigen Farbspielereien. Optisch haben wir es also schonmal mit einem Meisterwerk zu tun. Doch kann der Film auch inhaltlich überzeugen? Ich meine: Ja, er kann. Gerade weil es keine klassische Rollenverteilung gibt, die Charaktere positive und negative Wesenszüge aufweisen und nicht immer nachvollziehbar agieren. Einen klaren Sympathieträger sucht man vergebens, weder der von Gosling verkörperte Julian noch die Figur des (Polizisten?) Chang ist dafür geeignet. Stattdessen bekommt man eine nette Anzahl seelischer Krüppel vorgesetzt, die alle einen an der Klatsche haben – der eine mehr, der andere weniger. Dementsprechend fehlt allerdings am Ende das Gefühl der Genugtuung, dass der Zuschauer mit dem Helden, der seine Rache bekommen hat, teilen kann. Und genau das gefällt mir an „Only God Forgives“ so gut. Man bekommt nicht aufgezwungen, für welche Seite man Partei ergreifen soll, sondern beobachtet das Geschehen aus der Perspektive des unbeteiligten Beobachters. Man schüttelt den Kopf über Changs grausame Foltermethoden, über Crystals herabwürdigende Reden gegenüber ihrem Sohn und seiner „Freundin“ Mai, über Julians Unfähigkeit, seiner dominanten Mutter auch nur widersprechen zu können – aber richtig emotional mitgerissen wird man nicht. Mich würde interessieren, ob Refn das so beabsichtigt hat.
„Only God Forgives“ ist sperrig, verstörend, abstoßend, irgendwie hübsch hässlich. Und das alles mit voller Absicht, worauf schon die Tatsache hindeutet, dass Refn seinen Film Alejandro Jodorowsky gewidmet hat. Kein stupider Rache- oder Selbstjustizfilm von der Stange mit fragwürdiger moralischer Aussage, sondern ein in wunderschöne Bilder verpacktes Stück menschliche Ekelhaftigkeit. Wer seine Filme gerne mal etwas experimenteller mag und auch vor derber Gewalt nicht zurückschreckt (FSK 16?
), der sollte unbedingt einen Blick auf diese fiese Perle werfen.
9/10 Punkte