Liquid Sky

Willy Wonka

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Liquid Sky

Im August 1982 feierte „Liquid Sky" auf dem Montreal Film Festival seine Premiere. Bevor der Film am 15. April 1983 in den USA seinen regulären Kinostart erfuhr, konnte Regisseur Slava Tsukerman noch auf anderen Filmfestivals mit seinem Film für Aufsehen sorgen. Obwohl der Film in seinem Erscheinungsjahr mit einem Einspielergebnis von 1,7 Millionen US-Dollar zu einem der erfolgreichsten Independent-Filmen des Jahres avancierte, monatelang in kleinen Kinos bei Mitternachtsvorstellungen gespielt worden ist und heute als einer der letzten Vertreter des Midnight-Movie-Phänomens zählt, fristet „Liquid Sky“ selbst in Untergrund-Filmkreisen ein Nischendasein.

In Kritiken, retrospektiven Artikeln oder in populärwissenschaftlichen Aufsätzen wird der Film zwar meist als Kultfilm verehrt oder bezeichnet, aber wie viel Kult gibt es um einen Film, den selbst nicht einmal alle Beteiligen der „Szene“ kennen? Liegt es daran, dass der Film überholt, veraltet und heute vielleicht nicht mehr „verrückt“ genug ist? Mitnichten! Viel mehr liegt es an der Nichtverfügbarkeit eines Films in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die es immer mehr gewohnt ist, alles zu jedem Zeitpunkt und an jeden Ort zu bekommen. Zwar gab es tatsächlich einmal eine Heimkinoauswertung des Films, aber diese ist bereits so lange her und nicht mehr verfügbar, dass das bereits fast an ein Mythos grenzt.

Wieso anscheinend Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Slava Tsukerman seinen Film nicht für die Masse „freigeben“ will, liegt vielleicht darin begründet, dass dadurch der Film seine Exklusivität verlieren könnte, die er aktuell genießt und dass die wenigen partizipierenden Zuschauer des Films beinahe als eine Art „Eingeweihte“ angesehen werden könnten.

Dieser Hintergrund macht den Film ohne Frage interessant und vor allem in Bezug zum Midnight-Movie-Phänomen, wo diverse Filme unterschiedlichster Genres in der Zeit zwischen Ende der 1960er Jahre und Anfang der 1980er Jahre, durch die mitternächtlichen Kinovorstellungen eine enorme Popularität in verschiedene Szenen u. Kreisen genossen und einen großen Einfluss auf die Populärkultur ausübten. Neben dem bekanntesten Vertreter „The Rocky Horror Picture Show“, der vor allem seinen Kult daraus speist, dass die Fans kostümiert ins Kino gingen und durch Tanz, Gesang oder auf andere Weise mit dem Film interagierten und so eine innige Beziehung zum Film einwickelten, gehört auch der skurrile Western „El Topo“, der verstörende „Eraserhead“, der „Ur-“Zombiefilm „Night of the Living Dead“ oder der Travestiefilm „Pink Flamingos“ zum Kreis der berühmten „Midnight-Movies“. So unterschiedlich die Filme auch sein mögen, so verbindet sie doch ihre Andersartigkeit, ihre unkonventionelle Machart und der Drang der Regisseure die Zuschauer ein intensives Filmerlebnis zu ermöglichen.
Dass der Film auf einer obskuren Handlung fußt, ist meist eigentlich nur Mittel zum Zweck und dient der evozierten Atmosphäre des jeweiligen Filmsujets. So ließt sich auch die Handlung von „Liquid Sky“ ähnlich, wie es der Zuschauer aktuell bei Trash-Produktionen aus dem Hause Asylum gewohnt ist.

Außerirdische landen in einen kleinen UFO auf dem Dach eines New Yorker Penthouses. Auf der Suche nach Heroin (Liquid Sky ist der Slangausdruck) entdecken sie noch einen anderen Stoff, der noch intensiver als Heroin ist. Es handelt sich um einen Botenstoff, der beim Menschen ausgeschüttet wird, wenn er beim Sex den Orgasmus erreicht. Da passt es sehr gut, dass in dem Penthouse, auf dem sie gelandet sind, das nymphomanes Model Margaret lebt, wo sich die Außerirdischen reichhaltig bei den vielen Sexualpartner von Margaret bedienen können. Den unfreiwilligen Spendern ereilt nach dem Höhepunkt nur direkt der Tod...

In einem Subplot beobachtet ein deutscher Wissenschaftler das Vorgehen der Außerirdischen und versucht helfend einzugreifen und Margaret vor der tödlichen Gefahr aus dem Weltall zu warnen.

Nach der kurzen Rekapitulation der Handlung, sollte jetzt viel mehr der Stil des Films Gegenstand der Kritik sein.

Direkt zu Beginn zelebriert Tsukerman in fast jeder Hinsicht eine New-Wave- und Neonästhetik. Die Kostüme der Schauspieler wurden aus alten Restmaterialien zusammengenäht, sind bunt, opulent und durchweg schräg, das Make-up stark überbetont und vor allem mit Neonfarben getränkt, die im Dunkeln erst richtig Aufleuchten und getanzt wird zu minimalistischen Synthesizer-Klängen. Die Originalmusik stammt von Slvana Tskuerman, Clive Smith and Brenda Hutchinson, die ausschließlich das Fairlight CMI, der erste digitale Synthesizer mit Sampling-Technik, verwendeten. Die intensiven Club-, Tanz- und Feierszenen des Films, wo für die Protagonisten aufgrund des Drogenkonsums und für den Zuschauern aufgrund der experimentellen musikalischen Untermalung jedwedes Gefühl für Zeit und Raum aufgehoben wird, gehören zu den stärksten Szenen des Films. Auch die subjektive Sicht der Außerirdischen, die durch das intensive Farbenspiel an eine Wärmebildkamera erinnern, laden in Verbindung mit den elektronischen Klängen zu einem psychedelischen Rausch ein. Doch an dieser Stelle versiegen bereits die positiven Eigenschaften des stilistisch überformten Films, denn trotz diverser hektischer Schnitte besitzt der mit einer Laufzeit von knapp zwei Stunden zu viele Längen. Der Film mangelt es schlichtweg an Tempo und selbst die psychedelischen, experimentellen Bilderfluten wirken mit der Zeit monoton und langweilig, wenn den Machern entweder die Ideen ausgegangen zu sein scheinen oder sich vielleicht einfach nur bewusst durch eine unausgegorene Dramaturgie absetzen wollten. Einmal wird den Charakteren und der Geschichte viel Raum gegeben und ein anderes Mal bedient sich Tskuerman nur einem visuellen Exzess und es entstehen narrative Leerstellen. Auch die Schauspielleistungen sind von einer negativer Ambivalenz geprägt, denn einerseits überzeugt beispielsweise Anne Carlisle in einer Doppelrolle als Mann und als Frau und führt auf diese Weise die soziologischen Geschlechter und Emanzipationsdiskurse ad absurdum, aber andererseits wirken manche Sequenzen wie aus einem billigen Trashfilm, wo die Darsteller förmlich den Text ablesen.

Der Film, die Handlung an sich ist verständlich, aber dennoch wirr und im Verlauf zunehmend uninteressant erzählt. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Film sich nicht dem „Spektakulären" verschrieben hat, sondern trotz seiner stilgeprägten Inszenierung mehr als Understatement verstanden wissen will. So sind weder die Außerirdischen zu sehen, noch werden wir als Zuschauer Zeuge von voyeuristischen, intensiven Sex- oder Tötungsszenen. Ob diese Auslassungen dem geringen Budget von schätzungsweise 500.000 US-Dollar geschuldet sind oder bereits als Charme des Films angelegt sind, bleibt ungewiss. Vielleicht lag es an der falschen Erwartungshaltung, der falschen Stimmung oder der minimalistischen Monotonie des Films, aber ich war am Ende jedenfalls froh als „Eingeweihter" endlich das Kino verlassen zu dürfen.
 
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Willy Wonka

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Auch wenn mir der Film missfallen hat, möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich Werbung für Russel und deadly machen. Allein wegen des Synthesizer-Soundtracks werdet ihr den Film vermutlich lieben. Also falls der Film irgendwann einmal auf DVD erscheinen, im Fernsehen laufen oder vielleicht sogar im Kino gespielt werden sollte (In München gibt es jedenfalls eine 35mm-Filmkopie ;)), müsst ihr auf jeden Fall einen Blick riskieren!


Hier ein musikalischer Ausschnit von YouTube.
 

Willy Wonka

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Klingt in jedem Fall nicht uninteressant, auch wenn mich der Ausschnitt nur bedingt begeistern konnte:)

Ein Ausschnitt allein funktioniert meistens leider auch nicht. Aber wie ich gerade sehe, gibt es den ganzen Film sogar bei YouTube... Tja... also ist wohl doch alles und überall verfügbar. :rolleyes:
 

Louis Cyphre

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Klingt furchtbar. Der Regisseur nimmt sich viel zu wichtig. Sowas mag ich garnicht.
 

Willy Wonka

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Klingt furchtbar. Der Regisseur nimmt sich viel zu wichtig. Sowas mag ich garnicht.

Wobei ich von keinen Tatsachen berichtet habe, sondern stets nur meine Vermutung dargelegt habe, wieso der Film noch nicht auf legale Weise für die breite Masse verfügbar ist.
 
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