Like A Complete Unknown

Sam Spade

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Like A Complete Unknown

Als Bob Dylan Fan kann man sich bisher wahrlich nicht beschweren. Immerhin bringt der Mann seit 1962 Alben raus, die es auch heute noch in sich haben; ist seit 1989 auf der sog. Never Ending Tour, so dass man den Meister auch nach wie vor Live erleben kann; und auch filmisch sah es bisher nicht schlecht aus. Zum einen lieferte Martin Scorsese zwei sehr sehenswerte Dokumentarfilme ab – „No Direction Home“ aus dem Jahre 2005 und „Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story by Martin Scorsese“ aus dem Jahre 2019. Zum anderen gab es auch bereits 2007 ein interessantes, wenn auch sehr experimentelles Biopic, bei dem Todd Haynes die Regie übernahm. Die Rede ist von „I’m Not There“. Der Film kam zwar bei den Kritikern und Fans gut weg, eignete sich aber aufgrund der Machart nicht für das Mainstream Publikum und auch inhaltlich können vermutlich nur Leute was damit anfangen, die sich mit Dylan ein Stückweit befasst haben.

Mit „Like A Complete Unknown“ erschien nun also ein weiteres Biopic von Bob Dylan, von dem man immer wieder mal seit 2020 was gehört hatte, aber dessen Status gefühlt immer wieder ein wenig unsicher erschien. Auch dank Corona, kam es zu gewissen Verschiebungen und Verzögerungen. Auf dem Regiestuhl nahm schlussendlich James Mangold Platz, der mit „Walk the Line“, aber auch mit „Le Mans 66“ bereits bewiesen hat, dass er Biografien kann. Auch seine anderen Werke wie z.B. „Cop Land“, „Todeszug nach Yuma“ oder „Logan“ können sich mehr als sehen lassen. Einzig sein letztes Werk – Indiana Jones – ließ mich dann doch ein wenig stutzig werden, da er hier die Erwartungen aus meiner Sicht nicht erfüllen konnte und man bestenfalls einen soliden Indiana Jones Abschluss bekam. Daher war ich mir nicht sicher, ob er für den Dylan Film wieder zu seiner alten Stärke zurückfinden würde. Dennoch saß ich schon lange nicht mehr in so freudiger Erwartung im Kinosessel, als es dann endlich losging.

Nach den ersten Hinweisen zur Story und auch dem ersten Trailer war recht schnell klar, dass Mangold hier eine klassische Biografie abliefern würde (basierend auf dem Buch „Dylan Goes Electric!“ von Elijah Wald), die vor allem die ersten wichtigen Jahre von Bob Dylans Karriere (1961 – 1965) beleuchten würden. Keine Experimente wie bei „I’m Not There“, chronologisch erzählt und gemacht für jedermann. So startet der Film im Jahre 1961, was die Ankunft Dylans, grandios gespielt von Timothée Chalamet, in New York bedeutet. Ausgerüstet mit dem Nötigsten und vor allem einer Akustik-Gitarre, schlägt er sich anfangs durch, hat kleine Gigs, trifft die richtigen Leute, die von seinem (lyrischen) Talent begeistert sind und macht sich so langsam einen Namen. Der Film schafft es dabei, das New York bzw. Greenwich Village der 60er authentisch zum Leben zu erwecken. Für Dylan wichtige Begegnungen, z.B. mit seinem frühen Förderer Pete Seeger (Edward Norton), seinem Idol Woody Guthrie (Scoot McNairy), seiner ersten großen Liebe Suze Rotolo (im Film Sylvie Russo genannt, anscheinend auf Dylans Wunsch hin. Gespielt von Elle Fanning), der Folk-Musikerin Joan Baez (Monica Barbaro) oder seinem ersten richtigen Manager Albert Grossman (Dan Fogler) werden in dieser Phase entsprechend gut dargestellt.

Generell lässt sich die erste Hälfte des Films recht viel Zeit mit den ersten 1-2 Jahren und geht dabei, Abseits von gewissen Liebschaften und der damaligen politischen aufgeheizten Lage, relativ detailliert auf das Debütalbum (welches rein aus Cover-Songs besteht und wenig erfolgreich war) und dann auf das sehr bekannte zweite Album ("The Freewheelin‘ Bob Dylan") ein, auf welchem Dylan seine eigenen Songs aufnehmen durfte und dann auch der Startschuss seines Erfolges war. Die Folk-Szene hatte ihren neuen Helden gefunden.

Doch es ist dann genau dieser Erfolg und die zugehörige Erwartungshaltung von Fans und Wegbegleitern, die ihm zu schaffen macht. An der Stelle nimmt der Film dann nochmals Fahrt auf und macht entsprechend auch ein paar Zeitsprünge. Recht schnell befindet man sich im Jahre 1964 bzw. 1965. In diesen Jahren wird deutlich, wie sehr sich Dylan weiterentwickelt hat und nicht mehr in eine einzelne Rolle gezwängt werden will. Seine Songs werden unpolitischer und er findet gefallen daran, mit einer Band und der E-Gitarre im Studio abzuhängen. Diese Transformation wird im Grunde im Jahr 1965 mit dem Album „Highway 61 Revisted“, und dem legendäreren Auftritt beim Newport Folk Festival abgeschlossen. Die Jahre zuvor als Heilsbringer bejubelt und empfangen, entschließt sich Dylan hier mit eben jener Band die Bühne zu betreten, was zu tumultartigen Szenen führt. Das Idol der Folk-Szene wird von den "Fans" als Verräter, der sich dem Kommerz hergibt, angesehen und ausgebuht, weil er nicht mehr alleine mit der Akustikgitarre auf der Bühne steht und "Blowin in the Wind" trällert. Obwohl gerade seine neuen Songs lyrische Tiefe mit großartigen Melodien verbinden. Dieser Auftritt ist sozusagen das Finale des Films und entsprechend gut inszeniert, auch wenn es schön gewesen wäre, wenn man ein paar Songs in voller Länge hätte genießen können. Hier hat z.B. „Bohemian Rhapsody“ den besseren Schlusspunkt gesetzt, weil man hier recht detailgetreu den Live Aid Auftritt zu sehen bekommt. Insgesamt geizt „Like A Complete Unknown“ aber nicht damit, Songs auch länger zu präsentieren (inkl. dt. Untertitel), aber gerade beim Finale wurden sie aus meiner Sicht zu sehr abgewürgt bzw. zu stark gekürzt. Auch hat man in diesem Schlussakt Dinge zusammengefasst, die eigtl. mit zeitlichem Abstand passiert sind. Das ist jedoch Meckern auf hohem Niveau und eher ein Thema für die Dylan Fanboys wie mich.

Generell habe ich mir nach dem Film die Frage gestellt, wie ich ihn als Dylan-Fan bewerte, und wie ich ihn als neutraler Zuschauer sehen würde. Ich glaube, dass der neutrale Zuschauer hier ein Vorteil hat, weil eben nicht auf jedes Detail geachtet wird und man nicht permanent abgleicht, ob es geschichtlich gerade korrekt dargestellt wird. Als Fan fallen einem immer wieder Kleinigkeiten auf, die etwas abgewandelt wurden und natürlich wurde versucht, in relativ kurzer Zeit das Wichtigste reinzupacken. Das ist aber kein Vorwurf. Ich persönlich bin sehr glücklich mit dem Werk und freue mich, dass dieser große Musiker nun auch endlich ein Biopic in dieser Form und mit dieser Besetzung bekommen hat. Ich glaube, der Film holt in den 141 Minuten sehr viel raus und bringt dem Publikum den Musiker (!) Bob Dylan um einiges näher. Ich sage hier bewusst „Musiker“, weil die Person Bob Dylan auch in diesem Film ein kleines Mysterium bleibt. Doch auch das stellt der Film exzellent dar.
 

Dwayne Hicks

Filmgott
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26
Schöne Kritik!

Bin leider nicht so großer Fan von Mangolds "Walk The Line" aber sein Cop Land, Yuma, Identity, LeMans, Logan und sogar Knight & Day mag ich sehr. Von daher werd ich dem eine Chance geben.

Geil wärs gewesen hätte man noch Dylans Pat Garrett Ära abgeklappert aber anderseits isses auch schön das man sich mal auf einen kleinen Zeitraum beschränkt.
 
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