Die Stadt der Blinden

Despair

Filmvisionaer
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AW: Die Stadt der Blinden

Für mich ist der Film eine teilweise gelungene, aber auch etwas überfrachtete Endzeitvision, die viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Die plötzlich auftretende Blindheit wird nicht erklärt – das kennt man aus unzähligen anderen Filmen, in denen eine ständig größer werdende Zahl von Infizierten oder Untoten durch die Gegend marodiert. Bei „Die Stadt der Blinden“ kann man das apokalyptische Ausmaß nur erahnen, da sich der Hauptteil des Films nicht in der Außenwelt, sondern in der relativ überschaubaren Quarantäne-Station abspielt. Die stellt sich als eher seltsam anmutende Mischung aus der „Herr der Fliegen“-Insel und einem Konzentrationslager dar und kommt ziemlich unglaubwürdig daher. Eine wirkliche, dem deutschen Filmtitel entsprechende Stadt der Blinden, eine Art Ghetto also, wäre wohl stimmiger gewesen. Allerdings dürfte die gezeigte Quarantäne-Station nur eine von unzähligen, auf der ganzen Welt verteilten Stationen sein, in denen ähnliches Chaos herrscht. Darauf deutet jedenfalls die Tatsache hin, dass die Blindheit auch vor Regierungsmitgliedern nicht haltmacht – es kann sich also niemand vollständig abschotten und sicher fühlen. Die Blindheit an sich könnte eine Anspielung auf die ihren Mitmenschen und ihrer Umwelt gegenüber zunehmend gleichgültiger reagierende Menschheit sein, man wird – im wahrsten Sinne des Wortes - zunehmend blind den Anderen gegenüber.

Unter den Blinden ist der Einäugige König. Also sollte die mit zwei funtionierenden Glupschern ausgestattete Julianne Moore den Anderen doch haushoch überlegen sein. Das ist sie auch, aber sie nutzt diese Tatsache nicht zu ihrem Vorteil, sondern unterstützt ihre Mitgefangenen nach besten Kräften und opfert sich regelrecht auf. Dadurch erhält ihre Figur etwas erlöserhaftes - was ihr bis zum Ende des Films anhaftet, da sie quasi ihre Jünger ins gelobte Land führt. Auch wenn das gelobte Land in diesem Fall nur ihre ehemalige Wohnung ist, die in dem allgegenwärtigen Chaos Schutz und ein bisschen Normalität für die Gruppe bietet.

Der Mittelteil des Films, der „Knastteil“, ist auch für mich der Schwachpunkt. Die Intention ist klar („Herr der Fliegen“ eben), aber die Ausführung wirkt an den Haaren herbeigezogen. Die Entwicklung der Insassen wäre glaubhafter gewesen, wenn sie sich über mehrere Jahre hingezogen hätte. Hat sie aber nicht, wie man am besten an dem nicht wachsenden Kind feststellen kann. Und wer aus der offensichtlich im Eiltempo verfallenden Außenwelt war so nett, die Station weiterhin mit Nahrungsmitteln zu versorgen? Seltsamerweise haben mich diese recht groben Ungereimtheiten nicht großartig gestört. Ich vermute mal, weil der Film hauptsächlich zum Nachdenken anregen und kein realistisches Szenario erschaffen möchte. Etwas weniger Knast, dafür mehr Endzeit-Außenwelt wäre mir allerdings lieber gewesen. Das Ende fand ich auch nicht so gelungen. Ansonsten habe ich an dem Film nicht viel auszusetzen.

7/10 Punkte
 

crizzero

Filmvisionaer
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Tolle Diskussion hier! Lese ich jetzt erst. Ich werde mir den auch noch zulegen. Fernando Meireilles vertraue ich auch bei diesem Film blind. ;)

Mit "City of God" und "Der ewige Gärtner" hat er zwei zeitlose Meisterwerke geschaffen, die ich absolut verehre. Und "Der ewige Gärtner" ist sogar in meiner persönlichen Top 5 der besten Filme aller Zeiten... :bet:
 

Russel Faraday

Filmvisionaer
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AW: Die Stadt der Blinden

stimmt, kam ja dieser tage im TV. habs sogar aufgezeichnet, aber mich jetzt erst wieder dran erinnert (verflucht seien HDD-recorder... ). :ugly:
 

crizzero

Filmvisionaer
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Vor allem,das man kranke Menschen einfach in eine Art Knast schmeißt und diese sich dann selbst überlassen werden,spottet einfach jeder Beschreibung.Wenn der Film im Mittelalter spielen würde,wäre das legitim aber so ?? Nur um eine Extremsituation zu erschaffen ? Das ist mir zu billig !

So geht's mir eigentlich auch. Und diese Erkenntnis tut richtig weh, weil ich bisher nur zwei absolute Meisterwerke von Meirelles gesehen habe. Der Knast-Teil des Films ist wirklich sehr gewöhnungsbedürftig. So richtig kann ich mich damit auch nicht abfinden, aber er verhagelt mir den Film Gott sei Dank nicht komplett.
Insgesamt bleibt für mich ein immer noch sehr gut gefilmter und hochinteressanter Streifen, dem allerdings das Besondere abgeht. Vielleicht wurde es auch nur von all dem verachtenswerten Mist im Quarantäne-Knast kaputtgetrampelt, wer weiß...

Mit "City of God" und "Der ewige Gärtner" hat er zwei zeitlose Meisterwerke geschaffen, die ich absolut verehre. Und "Der ewige Gärtner" ist sogar in meiner persönlichen Top 5 der besten Filme aller Zeiten... :bet:

Tja, nach den zwei 10/10-Streifen gibt's diesmal "nur" 8/10. :)
 

2moulins

Filmgott
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AW: Die Stadt der Blinden

Habe mir den Film - wie passend - blind zugelegt ;) und gestern abend angesehen. Er hat mich ziemlich beeindruckt und auch noch im Nachhinein länger beschäftigt, bzw. er tut es noch, was ein gutes Zeichen ist.

Bereits bevor der Film richtig losgeht, fällt auf, dass die Geräuschkulisse offensichtlich so umgesetzt wurde, dass man die Umgebeung sehr gut wahrnehmen kann. Details, auf die man sonst gar nicht so achtet bzw. die man gar nicht hört, treten in den Vordergrund --> Straßenverkehr, Radios in vorbeifahrenden Autos, Passanten, Gespräche usw. Dies ist wohl der tatsache geschuldet, dass im weiteren Verlauf (fast) alle Beteiligten erblinden, was ja bekanntermaßen die Höreigenschaften sensibilisiert. Auch die Blindheit wird im späteren Verlauf immer wieder sehr gut in den Bildern umgesetzt. Handwerklich finde ich den Film hervorragend. Auch der Aufbau der Geschichte und die Kontinuität fielen mir positiv auf. So werden Gegenstände beiläufig in die Handlung bzw. ins Bild gebracht, um zu einem späteren Zeitpunkt eine wichtige Rolle zu spielen bzw. bestimmte Zeichen zu setzen (Beispiele: Schere, Feuerzeug, Obst in einer Glasschale).

Die eigentliche Geschichte ist überaus interessant und erinnert an Endzeitfilme, aber auch an so etwas wie "Das Experiment". Die Verhaltensweisen der Menschen in einer besonderen Situation und die Abgründe, die sich dabei auftun, öffnen einem quasi die Augen. Schon extrem, was sich hier alles abspielt, wenn nur noch die Grundbedürfnisse und niedrige Instinkte im Vordergrund stehen. Und wie die Welt aussieht, wenn die Ordnung verlorengeht, wird sehr nachhaltig dargestellt und erzeugt beklemmende Bilder, die länger im Gedächtnis haften bleiben.

Mich störte nicht, dass man gar nicht weiß, wann und wo sich die Geschichte abspielt. Auch die Tatsache, dass die Ursache für die "Krankheit" nicht erläutert wird, stört mich nicht.

Allerdings gibt es einige Ungereimtheiten und - wenn man das überhaupt bei einer fiktiven Geschichte sagen kann - irreale Situationen. Dass man Infizierte/Kranke wegsperrt und in Quarantäne nimmt, um weiteren Ansteckungen vorzubeugen, ist ja eine übliche und verständliche Vorgehensweise. Dass man allerdings die Weggesperrten ganz und gar ihrem Schicksal überlässt, kann ich nicht nachvollziehen. Es werden lediglich Essensrationen bereitgestellt, und ansonsten gibt es schwer bewaffnete Wachmänner, die gleich schließen, wenn sich jemand einen Schritt zu weit vor wagt. Das ist alles sehr unmenschlich und unerklärlich. Der Regierung ist es egal, was sich in dem Gefängnis-ähnlichen Lager abspielt. Dabei geht es ja nun eben nicht um ein Experiment (Was wird passieren, wenn ...?) sondern um die Aussonderung von Kranken.

Auch dass sich Neuankömmlinge, die sich vorstellen sollen, sich selbst durchnummerieren - "Ich bin Nr. 1 und bin Bankangestellter" (o.ä.), und alle anderen führen das in gleicher Weise weiter, ohne Namen zu nennen, ist eigentlich Blödsinn. Wer setllt sich denn so vor? So gibt es sicher noch mehr Ungereimtheiten und Logiklöcher.

Dennoch bleibt für mich ein sehr guter Gesamteindruck, wenn auch etwas getrübt, sonst wäre der Film die Höchtsnote wert gewesen. So komme ich aber immer noch auf gute 8/10.

Im Übrigen ist die schauspielerische Leistung von Julianne Moore sehr hervorzuheben. Auch die anderen Mitwirkenden machen ihre Sache sehr gut. Und der Soundtrack gefiel mir ebenfalls außerordentlich .:hoch:
 
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