AW: 11:14 - Elevenfourteen
Warum ist es bei den anderen Filmen nicht sinnvoll?
Berechtigte Frage und nicht in ein paar Zeilen zu beantworten.
Kurz: Alle diese Filme können sich meiner Meinung nach nicht entscheiden, ob sie sich für Menschen oder für Thesen interessieren, und lassen einen gewissen Horizont vermissen bei ihrer Verbindung dieser beiden Anliegen.
So ein Satz ist sicherlich einfach dahergesagt und viel zu plump, um als Erklärung zu bestehen, geht aber in die Richtung von dem, was ich meine.
Bei L.A. Crash ist das ganze eine zutiefst platte Angelegenheit und vorhersehbar noch dazu. Wenn ich dir jetzt ein Statement über den Rassismus machen will, indem ich dir jetzt eine Geschichte erzähle über den und den, den ich kannte und dem irgendwas wiederfahren ist, dann kannst du meine Geschichte auf zweierlei Arten anschauen und ich kann sie auf (grob getrennt) zwei Arten auf dich einwirken lassen: Entweder ich bleibe theoretisch und erzähl dir die ganze Zeit von Gewalt und Gegengewalt, Subkultur und Toleranzgesülze, arm und reich, "Kinder statt Inder"-Slogans, zu großen oder zu kleinen Moscheen etc, d.h. ich hab ein ganzes Inventar an themenrelevanten Thesen und Unterthesen und Unterunterthesen, zu denen ich anhand den Menschen, von denen ich dir erzähle, irgendnen Bezug zusammenreimen will. Einen guten Bezug zu finden ist wie auf einem dünnen Seil zu spazieren - Gleichgewicht, viel Gleichgewicht ist vonnöten, nicht zu weit nach vorne oder nach hinten fallen, nicht zu sehr nach links oder nach rechts kippen, etc.
Oder ich lass die Theorie sein und erzähle dir von den Menschen so authentisch wie möglich, so, als müsstest du den Ali und den Murat oder die arme kahlköpfige Brillenschlange in der Lonsdalejacke durch mich sozusagen persönlich kennenlernen, und du identifizierst dich mit dem ein oder anderen, mit der einen Seite oder mit der anderen Seite, und erkennst dadurch persönlich den Bezug zum großen Thema (Rassismus), deinen emotionalen Bezug. Auch das ein Drahtseilakt.
Die Wahrheit ist: Ich kann nie NUR das eine oder NUR das andere machen, die "echtesten" Menschen werden durch meine Geschichte zu Thesen und die krassesten Thesen sind immer auch menschlich und emotional geladen. Aber ich muss wissen, wie ich das angehe.
L.A. Crash hat einige funktionierende Szenen, weil die echt wirken (kann man grob auf alle Szenen zusammenfassen, in denen Matt Dillon irgendwie drin auftaucht. Gutes Schauspiel kann sich oft gegen schlechte Regie widersetzen). Aber im großen und Ganzen ist das für mich für die Katz. Man sieht jeder Szene ihre Funktion an und jedem einzelnen Charakter seinen marionettenhaften Zweck in der großen These des Films, und doch soll man sich mit ihnen komplett identifizieren und jederzeit mitfühlen. Das ist eine mechanische Art, Emotionen zu provozieren, komplett gefaked. Wenn ich dir so ein Statement über Rassismus mache, dann liegt am Ende alles nur an meiner Rhetorik und nichts an meiner Kenntnis des Themas, und wie wir wissen, kann ich eine gute Rhetorik ebensogut prorassistisch verwenden.
Bei den anderen Filmen möchte ich jetzt nicht zu weit ausgreifen, deswegen halte ichs kürzer.
Innaritus Filme sind ein Stückchen besser, vor allem nicht so einfallslos in ihrer Erzählweise und ihren Charakteren. Aber für mich bleiben die im Endeffekt eine Ansammlung aus tollen Tricks, tollen Schauspielern, interessanten und bewegenden Einzelszenen, aber der Zusammenhang der Episoden ist bloß behauptet und meist relativ kitschig.
Magnolia ist von denen wohl der beste. Klasse Schauspieler, klasse Musik. Aber nicht mein Ding, wie auch kein anderer Film von Paul Thomas Anderson wirklich mein Ding ist. Diese Gesangsszene in der Mitte und diese überladene letzte Stunde wollen anscheinend auf etwas hinaus, was auch immer es ist, es geht wohl in etwa so: Es ist nicht wichtig, die Dinge zu verstehen, wir müssen sie alle zusammen nur herzlich fühlen. Auf den Trick sind meine Gefühle aber leider nicht reingefallen und ich musste mich durch ein Übermass an miteinander plärrenden midlifekrieselnden und senilen und frischgebackenen nach meiner Schulter verlangenden Charakteren durchschlagen.
Emotionen sind zu wertvoll, als dass man sie erzwingen kann. Für mich sind sie das wichtigste überhaupt beim Filmeschauen und gerade bei solchen Episodenfilmen, die immer eine ganze Welt behaupten wollen, sollten Regisseure nicht zu sehr auf die Standardemotionen setzen. Das ist sehr undemokratisch.
Zum besseren Verständnis der Thematik lege ich folgende zwei Filme nahe: "Barry Lyndon" von Stanley Kubrick und "Faces" von John Cassavetes. Ersterer ist scheint nichts zuzulassen wegen seiner übertriebenen Kälte und zweiterer wegen seiner übertriebenen Emotionalität. Aber sie dringen nicht zum Standard, sondern ganz in die Tiefe, wenn man sie erstmal lässt.