Russel Faraday
Filmvisionaer
Einleitung.
Man kennt es ja, das große Problem: nach stundenlangem Durchwischen in diversen Anguck-Listen der gebuchten Strömungsdienste hat man als geplagter Cineast der Gattung mit dem besonders elitären Geschmack noch immer nichts gefunden, was den gerade herrschenden Stimmungsansprüchen genehm ist, also hockt man sich vor das heimische Regal der physischen Filmsammlung und lässt die Blicke schweifen. Zumindest bei mir kam ich jüngst, als mir dies einmal mehr passierte, zu folgenden Erkenntnissen: ich entschied mich wieder für einen Horrorfilm und stellte nebenher fest, dass Horrorfilme an sich einen Großteil meiner Sammlung ausmachen. Also dachte ich mir, der ich schon seit Ewigkeiten keine zünftige KK mehr verfasst habe, dass ich dies auch wieder nicht tun würde, sondern mir die Mammutaufgabe stellen sollte, über mein offensichtliches Lieblingsgenre zu schreiben, zu sinnieren, zu philosophieren oder einfach nur das niederzukritzeln, was mir gerade durch die Denkerstirn schwebte, um dann ganz ungefiltert und nur wenig redigiert hier auf diesen Seiten verewigt zu werden.
Und da der Horrorfilm gerade seinen 100. gefeiert hat und seit nunmehr zehn Dekaden, von den meisten Kritikern belächelt, von den Fans kultisch verehrt, nicht kleinzukriegen ist, bietet sich kaum eine bessere Gelegenheit.
Nach kurzem Überlegen, wie ich meine Monografie verfassen sollte (nach den mannigfaltigen Subgenres? nach den bekanntesten Figuren?), wurde mir rasch klar, dass es sich quasi aufdrängt, die Jahrzehnte zu beleuchten, die das filmische Grauen nun schon unter uns weilt. Da gibt es schließlich genug zu entdecken; es bleibt dann auch etwas übersichtlicher.
Beginnen wir also:
Die 1920er.
Ich beginne mit den 20ern, weil es hier die ersten richtigen abendfüllenden Spielfilme gab, während andere Versuche aus den 1910ern eher experimenteller Natur und Kurzfilme waren. Hier gibt es einen Titel, der als stilbildend und Meilenstein angesehen werden kann: »Nosferatu« von F.W. Murnau aus dem Jahr 1922, der just in unseren Tagen seinen 100. Geburtstag beging. Auch wenn »Das Cabinet des Dr. Caligari» oder Paul Wegeners »Der Golem» bereits zwei Jahre zuvor entstanden, so ist es doch »Nosferatu», der als echte Geburtsstunde des Horrorfilms gelten dürfte. Überwiegend an Originalschauplätzen gedreht und aufgrund einiger Rechtsstreitigkeiten mit den Stoker-Erben eben nicht »Dracula« genannt, ist dies doch die erste große Verfilmung des Literaturklassikers, die auch heute noch als allgemeingültige Quelle herangezogen wird, wenn es um unser Verständnis von Vampiren und deren Darstellung geht. Max Schreck spielt die Rolle seines Lebens, ist damit längst Teil der globalen Popkultur geworden und wurde seit hundert Jahren wieder und wieder und wieder zitiert. Selbst wer den Film noch nie gesehen hat, ist mit den Bildern vertraut, wurden sie doch in allen Medien durchgekaut, die man sich nur vorstellen kann und haben sich damit ins Schwarmhirn der Menschheit gebrannt. Das sollte mit demselben Stoff noch einmal und mit einem anderen Stoff ein zweites und gleichzeitig ein letztes Mal geschehen; kaum zehn Jahre später, doch dazu an anderer Stelle mehr.
An »Nosferatu« kommt der Filmfan im allgemeinen und der Horrorfilmfan im speziellen nicht vorbei. Damals nicht und heute nicht. Dabei ist es ein Wunder, dass Kopien von »Nosferatu« die Zeiten überdauert haben, da sie seinerzeit alle vernichtet werden sollten. Wegen Urheberklauerei o.g. »Dracula«-Streitigkeiten. Gut, dass »Nosferatu« gerettet werden konnte und seit zehn Dekaden immer mal wieder aufersteht, um sein Unwesen zu treiben. Aus Deutschland sollte fortan übrigens nichts Nennenswertes im Genre mehr kommen. Ich werde dennoch ab und an einen Blick über den Teich werfen, um zu schauen, ob sich hierzulande nicht doch etwas getan hat. Denn der Rest der filmischen Horrorgeschichte wurde von nun an überwiegend in den USA geschrieben.
Die 1930er.
Die 1930er Jahre sind das Goldene Zeitalter des Horrorfilms. Zwei Namen, zwei Gesichter, zwei Stoffe sollten hier für alle Zeiten den Grundstein dessen legen, was wir noch heute mit diesen Figuren verbinden. Frankenstein und Dracula. Wenn wir heute von Frankenstein reden, meinen wir Boris Karloff (auch wenn der nicht Frankenstein, sondern dessen Geschöpf darstellte). Wenn wir in bierseliger Runde Dracula imitieren, imitieren wir Bela Lugosi. Kaum eine andere Verfilmung bzw. zwei ist/sind so sehr mit den Inkarnationen und Interpretationen dieser zwei literarischen Gestalten verbunden, wie es James Whales »Frankenstein« und Tod Brownings »Dracula« sind. Hier wurden durch die Darsteller und, besonders im Falle von »Frankenstein«, die legendären Masken zwei frühe und ewige Ikonen des Horrors geschaffen, die – vielleicht sogar noch mehr als »Nosferatu« – in unser Bewusstsein eingedrungen sind und sich dort festgesetzt haben. Es war das Jahrzehnt der Universal-Studios, es war das Jahrzehnt des transsylvanischen Grafen und des aus Leichenteilen zusammengesetzten Geschöpfes; das Jahrzehnt eines Täters und das Jahrzehnt eines Opfers.
Ein anderer, buchstäblicher Gigant, erblickte ebenso das Licht der Filmwelt und kann im weiteren Sinne ebenfalls dem Horror(monster)film zugerechnet werden: »King Kong«. Letzten Endes ist »King Kong« zwar »nur« eine Kopie des einige Jahre zuvor entstandenen »The Lost World«, doch der Riesenaffe hat überdauert und treibt sich noch immer im Kino herum, während die Dinos in diversen »Jurassic Park«-Filmen zwar noch immer immens erfolgreich sind, doch nur noch sehr vage mit ihren eigentlichen Ursprüngen in dieser Verfilmung nach Arthur Conan Doyle in Verbindung gebracht werden können.
Werfen wir, wie versprochen, einen Blick nach Deutschland, dem Geburtsort des Horrorfilms, um zu sehen, was sich dort tut. Oh, die Deutschen machen ernst. Aus dem filmischen Grauen wurde ein reales Grauen, denn in Teutonien wüten Krieg und Horror in düsterster Realität.
Die 1940er.
In den 40ern ging die Ära der großen Universal-Monster langsam ihrem Ende entgegen. Die noch immer entstehenden »Frankenstein«- und »Dracula«-Filme werden immer minderwertiger und sind nur noch hastig heruntergekurbelte Geldmaschinen, in denen absteigende Darsteller wie Bela Lugosi oder John Carradine noch ein paar Dollar einheimsen können, ehe sie mehr oder weniger komplett von der Bildfläche verschwinden. Ein letztes Aufbäumen altbekannter Qualitäten ist eine reine Hollywood-Erfindung; in dem Falle die eines Deutschen, nämlich Curt Siodmak, der mit der Erschaffung des »Wolf Man« seine Erfahrungen mit den Nazis in Deutschland verarbeitet. Er erfindet den filmischen Werwolf, wie wir ihn heute verstehen. Im Gegensatz zu »Dracula« oder »Frankenstein« gibt es keine konkrete literarische Vorlage, sondern nur ein paar Legenden und Volkssagen, aus denen Siodmak die Essenz extrahiert. Es ist nicht der erste Werwolf-Film, doch es ist der ultimative. In Deutschland und Europa treiben hingegen reale Wölfe in Menschengestalt ihr Unwesen.
Dargestellt von Lon Chaney Jr., trifft jener Wolfsmensch alsbald in allerlei Abenteuern sowohl auf Dracula (Chaney spielt den Grafen einmal gar selbst) als auch auf das Frankenstein-Geschöpf (welches Chaney ebenfalls in einem Film darstellt). Mit schwindendem Erfolg dieser Filme und dem in Europa wütenden Krieg sind Dracula & Co. bald Geschichte. Wer will schon das Grauen im Kino erleben, wenn die Nachrichten vom echten Horror überflutet werden?
Und frei nach beliebtem Horrorfilmmuster: Fortsetzung folgt...
Man kennt es ja, das große Problem: nach stundenlangem Durchwischen in diversen Anguck-Listen der gebuchten Strömungsdienste hat man als geplagter Cineast der Gattung mit dem besonders elitären Geschmack noch immer nichts gefunden, was den gerade herrschenden Stimmungsansprüchen genehm ist, also hockt man sich vor das heimische Regal der physischen Filmsammlung und lässt die Blicke schweifen. Zumindest bei mir kam ich jüngst, als mir dies einmal mehr passierte, zu folgenden Erkenntnissen: ich entschied mich wieder für einen Horrorfilm und stellte nebenher fest, dass Horrorfilme an sich einen Großteil meiner Sammlung ausmachen. Also dachte ich mir, der ich schon seit Ewigkeiten keine zünftige KK mehr verfasst habe, dass ich dies auch wieder nicht tun würde, sondern mir die Mammutaufgabe stellen sollte, über mein offensichtliches Lieblingsgenre zu schreiben, zu sinnieren, zu philosophieren oder einfach nur das niederzukritzeln, was mir gerade durch die Denkerstirn schwebte, um dann ganz ungefiltert und nur wenig redigiert hier auf diesen Seiten verewigt zu werden.
Und da der Horrorfilm gerade seinen 100. gefeiert hat und seit nunmehr zehn Dekaden, von den meisten Kritikern belächelt, von den Fans kultisch verehrt, nicht kleinzukriegen ist, bietet sich kaum eine bessere Gelegenheit.
Nach kurzem Überlegen, wie ich meine Monografie verfassen sollte (nach den mannigfaltigen Subgenres? nach den bekanntesten Figuren?), wurde mir rasch klar, dass es sich quasi aufdrängt, die Jahrzehnte zu beleuchten, die das filmische Grauen nun schon unter uns weilt. Da gibt es schließlich genug zu entdecken; es bleibt dann auch etwas übersichtlicher.
Beginnen wir also:
Die 1920er.
Ich beginne mit den 20ern, weil es hier die ersten richtigen abendfüllenden Spielfilme gab, während andere Versuche aus den 1910ern eher experimenteller Natur und Kurzfilme waren. Hier gibt es einen Titel, der als stilbildend und Meilenstein angesehen werden kann: »Nosferatu« von F.W. Murnau aus dem Jahr 1922, der just in unseren Tagen seinen 100. Geburtstag beging. Auch wenn »Das Cabinet des Dr. Caligari» oder Paul Wegeners »Der Golem» bereits zwei Jahre zuvor entstanden, so ist es doch »Nosferatu», der als echte Geburtsstunde des Horrorfilms gelten dürfte. Überwiegend an Originalschauplätzen gedreht und aufgrund einiger Rechtsstreitigkeiten mit den Stoker-Erben eben nicht »Dracula« genannt, ist dies doch die erste große Verfilmung des Literaturklassikers, die auch heute noch als allgemeingültige Quelle herangezogen wird, wenn es um unser Verständnis von Vampiren und deren Darstellung geht. Max Schreck spielt die Rolle seines Lebens, ist damit längst Teil der globalen Popkultur geworden und wurde seit hundert Jahren wieder und wieder und wieder zitiert. Selbst wer den Film noch nie gesehen hat, ist mit den Bildern vertraut, wurden sie doch in allen Medien durchgekaut, die man sich nur vorstellen kann und haben sich damit ins Schwarmhirn der Menschheit gebrannt. Das sollte mit demselben Stoff noch einmal und mit einem anderen Stoff ein zweites und gleichzeitig ein letztes Mal geschehen; kaum zehn Jahre später, doch dazu an anderer Stelle mehr.
An »Nosferatu« kommt der Filmfan im allgemeinen und der Horrorfilmfan im speziellen nicht vorbei. Damals nicht und heute nicht. Dabei ist es ein Wunder, dass Kopien von »Nosferatu« die Zeiten überdauert haben, da sie seinerzeit alle vernichtet werden sollten. Wegen Urheberklauerei o.g. »Dracula«-Streitigkeiten. Gut, dass »Nosferatu« gerettet werden konnte und seit zehn Dekaden immer mal wieder aufersteht, um sein Unwesen zu treiben. Aus Deutschland sollte fortan übrigens nichts Nennenswertes im Genre mehr kommen. Ich werde dennoch ab und an einen Blick über den Teich werfen, um zu schauen, ob sich hierzulande nicht doch etwas getan hat. Denn der Rest der filmischen Horrorgeschichte wurde von nun an überwiegend in den USA geschrieben.
Die 1930er.
Die 1930er Jahre sind das Goldene Zeitalter des Horrorfilms. Zwei Namen, zwei Gesichter, zwei Stoffe sollten hier für alle Zeiten den Grundstein dessen legen, was wir noch heute mit diesen Figuren verbinden. Frankenstein und Dracula. Wenn wir heute von Frankenstein reden, meinen wir Boris Karloff (auch wenn der nicht Frankenstein, sondern dessen Geschöpf darstellte). Wenn wir in bierseliger Runde Dracula imitieren, imitieren wir Bela Lugosi. Kaum eine andere Verfilmung bzw. zwei ist/sind so sehr mit den Inkarnationen und Interpretationen dieser zwei literarischen Gestalten verbunden, wie es James Whales »Frankenstein« und Tod Brownings »Dracula« sind. Hier wurden durch die Darsteller und, besonders im Falle von »Frankenstein«, die legendären Masken zwei frühe und ewige Ikonen des Horrors geschaffen, die – vielleicht sogar noch mehr als »Nosferatu« – in unser Bewusstsein eingedrungen sind und sich dort festgesetzt haben. Es war das Jahrzehnt der Universal-Studios, es war das Jahrzehnt des transsylvanischen Grafen und des aus Leichenteilen zusammengesetzten Geschöpfes; das Jahrzehnt eines Täters und das Jahrzehnt eines Opfers.
Ein anderer, buchstäblicher Gigant, erblickte ebenso das Licht der Filmwelt und kann im weiteren Sinne ebenfalls dem Horror(monster)film zugerechnet werden: »King Kong«. Letzten Endes ist »King Kong« zwar »nur« eine Kopie des einige Jahre zuvor entstandenen »The Lost World«, doch der Riesenaffe hat überdauert und treibt sich noch immer im Kino herum, während die Dinos in diversen »Jurassic Park«-Filmen zwar noch immer immens erfolgreich sind, doch nur noch sehr vage mit ihren eigentlichen Ursprüngen in dieser Verfilmung nach Arthur Conan Doyle in Verbindung gebracht werden können.
Werfen wir, wie versprochen, einen Blick nach Deutschland, dem Geburtsort des Horrorfilms, um zu sehen, was sich dort tut. Oh, die Deutschen machen ernst. Aus dem filmischen Grauen wurde ein reales Grauen, denn in Teutonien wüten Krieg und Horror in düsterster Realität.
Die 1940er.
In den 40ern ging die Ära der großen Universal-Monster langsam ihrem Ende entgegen. Die noch immer entstehenden »Frankenstein«- und »Dracula«-Filme werden immer minderwertiger und sind nur noch hastig heruntergekurbelte Geldmaschinen, in denen absteigende Darsteller wie Bela Lugosi oder John Carradine noch ein paar Dollar einheimsen können, ehe sie mehr oder weniger komplett von der Bildfläche verschwinden. Ein letztes Aufbäumen altbekannter Qualitäten ist eine reine Hollywood-Erfindung; in dem Falle die eines Deutschen, nämlich Curt Siodmak, der mit der Erschaffung des »Wolf Man« seine Erfahrungen mit den Nazis in Deutschland verarbeitet. Er erfindet den filmischen Werwolf, wie wir ihn heute verstehen. Im Gegensatz zu »Dracula« oder »Frankenstein« gibt es keine konkrete literarische Vorlage, sondern nur ein paar Legenden und Volkssagen, aus denen Siodmak die Essenz extrahiert. Es ist nicht der erste Werwolf-Film, doch es ist der ultimative. In Deutschland und Europa treiben hingegen reale Wölfe in Menschengestalt ihr Unwesen.
Dargestellt von Lon Chaney Jr., trifft jener Wolfsmensch alsbald in allerlei Abenteuern sowohl auf Dracula (Chaney spielt den Grafen einmal gar selbst) als auch auf das Frankenstein-Geschöpf (welches Chaney ebenfalls in einem Film darstellt). Mit schwindendem Erfolg dieser Filme und dem in Europa wütenden Krieg sind Dracula & Co. bald Geschichte. Wer will schon das Grauen im Kino erleben, wenn die Nachrichten vom echten Horror überflutet werden?
Und frei nach beliebtem Horrorfilmmuster: Fortsetzung folgt...