100 Jahre Horror

Russel Faraday

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Einleitung.

Man kennt es ja, das große Problem: nach stundenlangem Durchwischen in diversen Anguck-Listen der gebuchten Strömungsdienste hat man als geplagter Cineast der Gattung mit dem besonders elitären Geschmack noch immer nichts gefunden, was den gerade herrschenden Stimmungsansprüchen genehm ist, also hockt man sich vor das heimische Regal der physischen Filmsammlung und lässt die Blicke schweifen. Zumindest bei mir kam ich jüngst, als mir dies einmal mehr passierte, zu folgenden Erkenntnissen: ich entschied mich wieder für einen Horrorfilm und stellte nebenher fest, dass Horrorfilme an sich einen Großteil meiner Sammlung ausmachen. Also dachte ich mir, der ich schon seit Ewigkeiten keine zünftige KK mehr verfasst habe, dass ich dies auch wieder nicht tun würde, sondern mir die Mammutaufgabe stellen sollte, über mein offensichtliches Lieblingsgenre zu schreiben, zu sinnieren, zu philosophieren oder einfach nur das niederzukritzeln, was mir gerade durch die Denkerstirn schwebte, um dann ganz ungefiltert und nur wenig redigiert hier auf diesen Seiten verewigt zu werden.

Und da der Horrorfilm gerade seinen 100. gefeiert hat und seit nunmehr zehn Dekaden, von den meisten Kritikern belächelt, von den Fans kultisch verehrt, nicht kleinzukriegen ist, bietet sich kaum eine bessere Gelegenheit.

Nach kurzem Überlegen, wie ich meine Monografie verfassen sollte (nach den mannigfaltigen Subgenres? nach den bekanntesten Figuren?), wurde mir rasch klar, dass es sich quasi aufdrängt, die Jahrzehnte zu beleuchten, die das filmische Grauen nun schon unter uns weilt. Da gibt es schließlich genug zu entdecken; es bleibt dann auch etwas übersichtlicher.

Beginnen wir also:

Die 1920er.
Ich beginne mit den 20ern, weil es hier die ersten richtigen abendfüllenden Spielfilme gab, während andere Versuche aus den 1910ern eher experimenteller Natur und Kurzfilme waren. Hier gibt es einen Titel, der als stilbildend und Meilenstein angesehen werden kann: »Nosferatu« von F.W. Murnau aus dem Jahr 1922, der just in unseren Tagen seinen 100. Geburtstag beging. Auch wenn »Das Cabinet des Dr. Caligari» oder Paul Wegeners »Der Golem» bereits zwei Jahre zuvor entstanden, so ist es doch »Nosferatu», der als echte Geburtsstunde des Horrorfilms gelten dürfte. Überwiegend an Originalschauplätzen gedreht und aufgrund einiger Rechtsstreitigkeiten mit den Stoker-Erben eben nicht »Dracula« genannt, ist dies doch die erste große Verfilmung des Literaturklassikers, die auch heute noch als allgemeingültige Quelle herangezogen wird, wenn es um unser Verständnis von Vampiren und deren Darstellung geht. Max Schreck spielt die Rolle seines Lebens, ist damit längst Teil der globalen Popkultur geworden und wurde seit hundert Jahren wieder und wieder und wieder zitiert. Selbst wer den Film noch nie gesehen hat, ist mit den Bildern vertraut, wurden sie doch in allen Medien durchgekaut, die man sich nur vorstellen kann und haben sich damit ins Schwarmhirn der Menschheit gebrannt. Das sollte mit demselben Stoff noch einmal und mit einem anderen Stoff ein zweites und gleichzeitig ein letztes Mal geschehen; kaum zehn Jahre später, doch dazu an anderer Stelle mehr.

An »Nosferatu« kommt der Filmfan im allgemeinen und der Horrorfilmfan im speziellen nicht vorbei. Damals nicht und heute nicht. Dabei ist es ein Wunder, dass Kopien von »Nosferatu« die Zeiten überdauert haben, da sie seinerzeit alle vernichtet werden sollten. Wegen Urheberklauerei o.g. »Dracula«-Streitigkeiten. Gut, dass »Nosferatu« gerettet werden konnte und seit zehn Dekaden immer mal wieder aufersteht, um sein Unwesen zu treiben. Aus Deutschland sollte fortan übrigens nichts Nennenswertes im Genre mehr kommen. Ich werde dennoch ab und an einen Blick über den Teich werfen, um zu schauen, ob sich hierzulande nicht doch etwas getan hat. Denn der Rest der filmischen Horrorgeschichte wurde von nun an überwiegend in den USA geschrieben.

Die 1930er.
Die 1930er Jahre sind das Goldene Zeitalter des Horrorfilms. Zwei Namen, zwei Gesichter, zwei Stoffe sollten hier für alle Zeiten den Grundstein dessen legen, was wir noch heute mit diesen Figuren verbinden. Frankenstein und Dracula. Wenn wir heute von Frankenstein reden, meinen wir Boris Karloff (auch wenn der nicht Frankenstein, sondern dessen Geschöpf darstellte). Wenn wir in bierseliger Runde Dracula imitieren, imitieren wir Bela Lugosi. Kaum eine andere Verfilmung bzw. zwei ist/sind so sehr mit den Inkarnationen und Interpretationen dieser zwei literarischen Gestalten verbunden, wie es James Whales »Frankenstein« und Tod Brownings »Dracula« sind. Hier wurden durch die Darsteller und, besonders im Falle von »Frankenstein«, die legendären Masken zwei frühe und ewige Ikonen des Horrors geschaffen, die – vielleicht sogar noch mehr als »Nosferatu« – in unser Bewusstsein eingedrungen sind und sich dort festgesetzt haben. Es war das Jahrzehnt der Universal-Studios, es war das Jahrzehnt des transsylvanischen Grafen und des aus Leichenteilen zusammengesetzten Geschöpfes; das Jahrzehnt eines Täters und das Jahrzehnt eines Opfers.

Ein anderer, buchstäblicher Gigant, erblickte ebenso das Licht der Filmwelt und kann im weiteren Sinne ebenfalls dem Horror(monster)film zugerechnet werden: »King Kong«. Letzten Endes ist »King Kong« zwar »nur« eine Kopie des einige Jahre zuvor entstandenen »The Lost World«, doch der Riesenaffe hat überdauert und treibt sich noch immer im Kino herum, während die Dinos in diversen »Jurassic Park«-Filmen zwar noch immer immens erfolgreich sind, doch nur noch sehr vage mit ihren eigentlichen Ursprüngen in dieser Verfilmung nach Arthur Conan Doyle in Verbindung gebracht werden können.

Werfen wir, wie versprochen, einen Blick nach Deutschland, dem Geburtsort des Horrorfilms, um zu sehen, was sich dort tut. Oh, die Deutschen machen ernst. Aus dem filmischen Grauen wurde ein reales Grauen, denn in Teutonien wüten Krieg und Horror in düsterster Realität.

Die 1940er.
In den 40ern ging die Ära der großen Universal-Monster langsam ihrem Ende entgegen. Die noch immer entstehenden »Frankenstein«- und »Dracula«-Filme werden immer minderwertiger und sind nur noch hastig heruntergekurbelte Geldmaschinen, in denen absteigende Darsteller wie Bela Lugosi oder John Carradine noch ein paar Dollar einheimsen können, ehe sie mehr oder weniger komplett von der Bildfläche verschwinden. Ein letztes Aufbäumen altbekannter Qualitäten ist eine reine Hollywood-Erfindung; in dem Falle die eines Deutschen, nämlich Curt Siodmak, der mit der Erschaffung des »Wolf Man« seine Erfahrungen mit den Nazis in Deutschland verarbeitet. Er erfindet den filmischen Werwolf, wie wir ihn heute verstehen. Im Gegensatz zu »Dracula« oder »Frankenstein« gibt es keine konkrete literarische Vorlage, sondern nur ein paar Legenden und Volkssagen, aus denen Siodmak die Essenz extrahiert. Es ist nicht der erste Werwolf-Film, doch es ist der ultimative. In Deutschland und Europa treiben hingegen reale Wölfe in Menschengestalt ihr Unwesen.

Dargestellt von Lon Chaney Jr., trifft jener Wolfsmensch alsbald in allerlei Abenteuern sowohl auf Dracula (Chaney spielt den Grafen einmal gar selbst) als auch auf das Frankenstein-Geschöpf (welches Chaney ebenfalls in einem Film darstellt). Mit schwindendem Erfolg dieser Filme und dem in Europa wütenden Krieg sind Dracula & Co. bald Geschichte. Wer will schon das Grauen im Kino erleben, wenn die Nachrichten vom echten Horror überflutet werden?

Und frei nach beliebtem Horrorfilmmuster: Fortsetzung folgt...
 

Russel Faraday

Filmvisionaer
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Wie angedroht, geht es weiter:

Die 1950er.
In den 50ern sind Horrorfilme zunächst kein Thema. Der Zweite Weltkrieg hat tiefe Wunden gerissen, die erst einmal geleckt sein wollen. Der Mensch hat wenig Bedarf an Angst und Schrecken im Kino, immerhin hatten viele es eben erst am eigenen Leib erfahren oder zumindest die nach 1945 veröffentlichten Bilder des realen Grauens noch vor Augen. In den USA herrscht außerdem Paranoia-Stimmung, und in Korea tobt ein neuer Krieg… pardon, ein Polizeieinsatz. Überall werden kommunistische Aktivitäten gewittert, die sich gegen Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und den amerikanischen Weg richten. Entsprechend ist dies die Blütezeit einiger SF-Filme, die sich genau dieser Angst bedienen: »Die Dämonischen« oder »Gefahr aus dem Weltall« seien hier exemplarisch genannt. Hier vereinen sich zwar einige Horrorelemente, im Großen und Ganzen sind es jedoch SF-Filme mit Horroreinschlag. Deshalb erwähne ich sie nur am Rande.

Gegen Mitte/Ende der 50er kippt die Stimmung. Neue Impulse kommen nicht aus Deutschland, aber immerhin aus Europa. Und wir treffen auf zwei alte Bekannte, die sich schon einmal als äußerst nachwirkend erwiesen haben: Dracula und Frankenstein. Eine kleine, recht unbedeutende Billigfilmschmiede aus England nimmt sich der altbekannten Stoffe an, möbelt sie etwas auf und, was noch wichtiger ist, lässt sie erstmals in prächtiger Farbe erstrahlen. Es ist die Ära des Hammer-Films und ihrer zwei ikonischsten Darsteller: Peter Cushing und vor allem Christopher Lee, die fortan in mehreren Filmen gemeinsam oder vielmehr gegeneinander auf- und antreten. Erstmals fließt Blut, und das in knalligstem Rot. Auch der Wolfsmensch (diesmal Oliver Reed) und die noch nicht erwähnte Mumie (Christopher Lee), ebenfalls ein alter Universal-Charakter (seinerzeit noch Boris Karloff, wenn auch nur im ersten Film, in den folgenden Fortsetzungen wechselten die Darsteller), tauchen aus der Versenkung auf, um neues Leben zu erfahren. Hammer erschafft auch einige ganz neue Figuren (wie den Quasi-Werwolf »Das schwarze Reptil«, eine Art Werschlange), wagt sich zaghaft an Zombies heran (deren große Zeit noch etwas auf sich warten lassen sollte), doch über allem thronen Dracula und Frankenstein, die ihrerseits viele, viele Fortsetzungen erfahren und sich über mehrere Jahre hinweg großer Beliebtheit erfreuen.

Ach ja, aus Japan vernehmen wir das erste Lebenszeichen eines noch gigantischeren Monsters, als es King Kong einst war. Auch in den USA sind mutierte Riesentierchen beliebt: »Tarantula«, »Formicula« & Co. kreuchen und fleuchen über die Leinwände. Jack Arnold lässt den »Schrecken des Amazonas« auf die Menschheit los, und Atomkraft und Atomgewalt sorgen für Zweifel, Angst und lassen so manch possierliches Insektchen zum Titanen werden.

In Deutschland weiterhin Fehlanzeige.

Die 1960er.
In den 60ern deutet sich ein Wandel in der amerikanischen Filmlandschaft an. Nach dem monumentalen »Cleopatra«-Debakel (heute als Meisterwerk geltend, damals ob seines Größenwahns der Beinahe-Sargnagel für 20th Century Fox) will man wieder kleinere Brötchen backen und den Studios die Macht entziehen. Es ist die Stunde einiger junger, wilder Filmemacher, die auf Konventionen pfeifen und mit kleinen Budgets unbeirrbar ihre Visionen umsetzen. Es ist der Beginn des New Hollywood, dessen Auswirkungen auch der Horrorfilm spürt.

Doch schauen wir zunächst noch einmal kurz nach Europa. Denn ein englischer Regisseur, den es nach Hollywood verschlagen hat, dreht einen kleinen Schwarzweiß-Film, der allerlei Skandalträchtigkeit in sich birgt. Liegt es an der erstmals in einem Film prominent in Szene gesetzten Einstellung einer Toilette oder daran, dass die nominelle Hauptdarstellerin nach kaum der Hälfte des Films aus selbigem scheidet? Die Rede ist natürlich von »Psycho«, Alfred Hitchcocks Meisterwerk um den durchgeknallten, ödipalen Serienkiller Norman Bates. Eigentlich ein armes Würstchen, aber deshalb nicht minder effektiv in seinem homiziden Handeln. The Hitch liefert die Blaupause für das, was wir heute als Slasher bezeichnen, auch wenn dessen wahre Sternstunde erst 1978 hell am Firmament erscheinen sollte. Doch ich schweife ab.

In den 1960ern ist man in England noch immer fleißig: Hammer-Films produziert und produziert, auch wenn die Qualität stetig schwindet (zum Horror gesellt sich Sex) und auch die Publikumszahlen rückläufig sind. Doch diese Phase geht so langsam zu Ende. Dafür tritt Roger Corman auf den Plan und hinterlässt mit einer Reihe von sehr freien Edgar-Allan-Poe Adaptionen bleibenden Eindruck. Er macht Vincent Price zum neuen Horrorgesicht und entdeckt eine ganze Reihe späterer filmischer Schwergewichte. Ob Jack Nicholson, Francis Ford Coppola, Sylvester Stallone oder Martin Scorsese (um nur gaaaanz wenige zu nennen): sie alle gingen durch die Corman-Schmiede. Roman Polanski liefert seine »Dracula«-Parodie »Tanz der Vampire« und wird tiefgründig mit »Rosemaries Baby«.

Und dann? Tja, und dann schreiben wir das Jahr 1968, und der Horrorfilm, wie man ihn bis dahin kannte, sollte nicht mehr derselbe sein. Ein kleiner, unbedeutender Werbefilmer drehte mit einem winzigen Budget in Pittsburgh einen kleinen, unbedeutenden Film, »Night Of The Living Dead« genannt, mit dem er ein ganz neues Genre schuf: den Zombiefilm. Schon in den 30ern und 40ern hatte es Zombiefilme gegeben, doch diese entsprachen dem klassischen Verständnis, laut dem Zombies willenlose Geschöpfe darstellen, die, (un)tot oder nur betäubt, Sklaven eines Meisters sind. George A. Romero hingegen, jener kleine, unbedeutende Regisseur, krempelte dieses Verständnis völlig um und erfand den Zombie, wie wir ihn heute kennen: eine untote, fast unaufhaltsame Fressmaschine, die es auf Menschenfleisch abgesehen hat und die röchelnd und keuchend durch die Welt torkelt. »Night Of The Living Dead« ist ein echter Wendepunkt im Genre. Man kann den Horrorfilm tatsächlich zweiteilen; in die Zeit vor und nach »Night Of The Living Dead«. Ich schließe mich der Meinung einiger Filmwissenschaftler und -kritiker, deren Worte ich mal aufgeschnappt habe, gerne an: »Mit 'Night Of The Living Dead' hat der Horrorfilm seine Unschuld verloren.« Das trifft es in der Tat sehr gut, denn Romeros kaum verhüllte Allegorie auf den Vietnamkrieg bietet nicht die finale Erlösung, wie man sie bisher kannte und verstört durch für seinerzeit sehr explizite und gewagte Kannibalismusszenen (welche, streng genommen, keine Kannibalismusszenen sind, da wir zehn Jahre später von einem Experten mit Augenklappe erfahren, dass Zombies in keinem Sinne mehr als Menschen angesehen werden dürfen und sich Kannibalismus nur dann als Kannibalismus offenbart, wenn er innerhalb derselben Spezies stattfindet – hach, was bin ich doch heute für ein Klugscheißer), sondern macht völlige Normalos zu Helden, die sich wenig heldenhaft benehmen und nur ums Überleben kämpfen; mit allen Mitteln, egal, wie unheroisch oder gar verwerflich diese sein mögen.

Gibt's was Neues aus der deutschen Heimat? Ähm, nein.

Fortsetzung folgt...
 

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Tonmeister
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Wieder sehr schön zu lesen, wenn es auch bei mir eher die seichte Komödie oder der Actionfilm ist, wenn ich mal wieder nicht weiß was mich als nächstes unterhalten soll. Dennoch hat der Horrorfilm selbstverständlich seinen festen Platz, insbesondere in der eher düsteren Jahreszeit, so auch bei mir.

Es ist auch jedes Mal erneut erschreckend, wenn man sich, so wie hier, bewusst macht wie stark der deutsche Film einst war. Zu gerne würde ich in eine alternative Zeitschiene reinschauen, ohne unsere dunkelsten Stunden.
 

Russel Faraday

Filmvisionaer
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Die 1970er.
Die 70er waren ein wildes Filmjahrzehnt. Das oben schon erwähnte New Hollywood ist auf dem Höhepunkt (und wird ein jähes Ende erfahren, von den eigenen Vertretern herbeigeführt). Alles kann, nichts muss. Alle Konventionen sind aufgehoben, alles ist möglich.

Dies gilt auch für den Horrorfilm, dessen neues Merkmal eine stets und ständig ansteigende Gewaltspirale sein sollte. Schon in den frühen 60ern hatte Herschell Gordon Lewis mit seinem »Blood Feast« die Grenzen des Mach- und Zeigbaren ausgelotet und würde dies erst recht 1970 mit der bluttriefenden Schnetzeloper »The Wizard of Gore« tun, doch erst 1974 sollte der Horror ganz neue Dimensionen erfahren, als Tobe Hooper eine neue Ikone erschuf und auf die Menschheit losließ: »The Texas Chain Saw Massacre« erzählt die Geschichte einiger Jugendlicher, die auf einem Trip durch den Süden der USA auf eine total kaputte Familie treffen, dessen Nesthäkchen sich gerne Masken aus Menschenhaut anfertigt und auf seiner Jagd nach neuen Textilspendern gekonnt die Kettensäge schwingt. Leatherface, basierend auf dem echten Serienkiller Ed Gein, ist geboren. Dass der eigentliche Horror dabei fast ausschließlich in den Köpfen der Zuschauer stattfindet und im Film selbst, egal, wie verstörend er sein mag, kaum ein Tropfen Blut fließt, macht das Gesehene nur noch eindrücklicher. Und nachwirkender.

1973 erblickt denn auch der mehr oder weniger horrormäßigste Horrorfilm aller Zeiten des Licht der Welt, in dem ein unschuldiges Mädchen von einem Dämonen besessen ist und nur durch den beherzten Kinnhaken (nachdem Wissenschaft und die Kirche versagt haben) eines schlagfreudigen Priesters vor dem Untergang bewahrt werden kann. »Der Exorzist« ist megaerfolgreich und in aller Munde. Fast wie ein Dokumentarfilm. Mit einigen drastischen Szenen. Nüchtern und effektiv in Szene gesetzt. Ein weiterer Meilenstein im Genre.

In Italien schickt sich ein junger Regisseur namens Dario Argento an, eine Horrorfilmrevolution anzuzetteln und liefert den wohl stylischsten Horrorfilm schlechthin ab: »Suspiria«, in intensivste Technicolorfarben getaucht, sah Blut (das hektoliterweise vergossen wird) noch nie so rot und so schön aus. Und noch nie wurden grausame Morde so ästhetisch, so stil- und kunstvoll inszeniert. Dass er dabei nur das konsequent weiterentwickelt, was sein Vorbild Mario Bava in den 60ern in einem anderen Genre, dem Giallo, begonnen hat, ist Ehrensache.

Der Monsterfilm kehrt auch zurück. Was zuvor eher im C- oder B-Bereich angesiedelt war, wird plötzlich salonfähig und zu dem ersten amtlichen Blockbuster der Filmgeschichte: Steven Spielbergs »Der weiße Hai« spielt sich in die Herzen der Zuschauer und löst eine bis heute anhaltende Angstschockstarre vor Haien aus. Damit ist das New Hollywood fast beendet. Denn dessen wilde B-Film-Attitüden sind nun zum Mainstream verkommen. 1979 bzw. 1980 sollten »Apocalypse Now« (der einen ganz anderen Horror beeindruckend auf die Leinwand bringt) und vor allem »Heaven's Gate« den jungen Wilden den Todesstoß versetzen.

Doch soweit sind wir noch nicht. Denn noch haben wir 1978. Und zwei der absoluten Giganten stehen noch aus. Mit welchem soll ich beginnen? Schwer, verdammt schwer.

Zurück ins Jahr 1963, in dem ein gar nicht so unschuldiges Kind seine Schwester ermordet. In einer Kleinstadt, in Illinois gelegen, namens Haddonfield. Zeitsprung 1978: es ist der 30. Oktober, die Nacht vor… Halloween. Eben jenes gar nicht so unschuldige Kind ist just aus der Irrenanstalt entflohen, in der es die letzten 15 Jahre verbracht hat. Sein Name: Michael Myers.

Hier haben wir ihn also, den ersten richtigen Slasher der Filmgeschichte. Auch wenn es bereits vorher Filme gegeben hat, die man dem Slasher zuordnen kann und muss (Mario Bavas »Im Blutrausch des Satans« etwa oder o.g. »Psycho«), so ist es doch eben jener Film von John Carpenter, in dem alle Mechanismen dieser Vorgänger kulminieren und der mit »Halloween« den Prototypen dessen abliefert, was für einige Jährchen maßgebend sein sollte (und noch immer ist). Mit einem mehr als überschaubaren Budget und ohne große Stars inszeniert, erweist sich »Halloween« als Überraschungserfolg und gilt als einer der profitabelsten Filme überhaupt, gemessen an den Produktionskosten und dem Einspielergebnis, vom filmhistorisch bedeutenden Einschlagsmaßstab ganz zu schweigen. Außerdem zeigt sich hier ein Virtuose auf dem absoluten Höhepunkt seiner Fähigkeiten. Dass er diese Virtuosität noch rund eine Dekade durchhalten sollte (ungeachtet der Box Office-Qualitäten, die sanken und sanken), ist bemerkenswert. »Halloween« lieferte nicht nur die Blaupause für LEGIONEN an Trittbrettfahrern, es sollte auch die erste große Franchise-Welle lostreten, die auch heute noch anhält und offenbar nie ein Ende finden wird; egal, wie man sie auch betiteln mag. »… Ends« - wer's glaubt.

Weiterhin erwähnenswert: »Phantasm« (»Das Böse«) von Don Coscarelli und Brian DePalmas »Carrie«, die nicht nur ihm, sondern auch dem bis dahin eher unbekannten Horror-Autor Stephen King einen gehörigen Popularitätsschub verpassen sollte.

Oben sprach ich von zwei Giganten, die noch ausstünden. Welcher mag wohl der zweite sein? Erinnert ihr euch noch an den kleinen, unbedeutenden Filmemacher aus Pittsburgh, der in einem billigen Schwarzweiß-Film mit der amerikanischen Politik in Vietnam abrechnete? Dem sind mitnichten die Worte vergangen. Der hat sehr wohl noch etwas zu sagen. Nicht mehr zum Krieg, denn der ist beendet (und sollte in anderen Genres noch verarbeitet werden), sondern zur Gesellschaft. Zur besitzgeilen Konsumgesellschaft. Zu willenlosen Gestalten, die in gewaltigen Einkaufszentren einkehren, um dort fremdgesteuert ihr bitter erstandenes Bestes, ihr Geld nämlich, für unbenötigten Tinnef auszugeben. Fast wie… Zombies.

Wir schreiben noch immer das Jahr 1978. George A. Romero bastelt an einem Drehbuch zu etwas Sozialkritischem, bekommt es aber nicht so richtig auf die Reihe, als ihn ein Anruf aus Bella Italia ereilt. Dario Argento, eben jener junge, wilde Filmemacher, der mit »Suspiria« ein Meisterwerk aus dem Ärmel geschüttelt hat, ruft seinen Fast-Landsmann an und lädt ihn nach Rom ein, damit er dort in Ruhe sein Drehbuch beenden kann. Der Preis ist gering: »Überlass mir alle Rechte für Europa, wenn du fertig bist.« Gesagt, getan.

Der Rest ist Geschichte. »Dawn Of The Dead«, nach »Night Of The Living Dead« der zweite Zombiefilm von George A. Romero, schockiert in seiner drastischen Gewaltdarstellung und abgrundtief nihilistischen Grundstimmung eine ganze Generation und geht als der Zombiefilm schlechthin ins kollektive Bewusstsein der Menschheit und die Filmgeschichte ein. Alles, was sich danach an diesem Thema versuchte, muss sich an »Dawn« messen lassen. Und sind wir doch mal ehrlich: alle scheitern sie daran. Mit einem X-Rating versehen (in den USA eigentlich für Pornos reserviert und für gewöhnlich der finanzielle Todesstoß eines Films), weltweit verbannt, geächtet, beschlagnahmt und verboten, entwickelt sich der hierzulande treffend als »Zombie« betitelte Film zu einem gewaltigen Erfolg und sollte endgültig den Filmzombie definieren, wie wir ihn heute kennen. Oft kopiert, nie erreicht. Mit »Dawn Of The Dead« schließen wir eine sehr kreative und produktive Phase des Horrorfilms ab.

Nichts Neues aus Deutschland? – Check.

Die 1980er.
Die 80er sind vor allem durch eines geprägt: Fortsetzungen, Fortsetzungen und nochmals Fortsetzungen. Wir verbuchen vier »Halloween«-Sequels, deren interessantestes Konzept »Halloween III: Season Of The Witch« leider schon nach einem Eintrag wieder eingestampft wurde.

Gleich drei moderne Horrorikonen erblicken das Licht der Welt: 1980 erweist sich einer der ersten »Halloween«-Trittbrettfahrer als enorm erfolgreich – »Freitag, der 13.«, in dem die spätere neue Galionsfigur des Genres noch gar nicht so richtig vorkommt. Jason Voorhees, seines Zeichens Hockeymaskenträger und Machetenschwinger, taucht erst im zweiten Teil auf und wird just gar erst in Teil 3 zum Mythos, der er heute ist. Es ist halt nicht ein jeder Meuchelmörder so formvollendet wie Michael Myers, der gleich zu Beginn perfekt aus dem Horror-Überraschungsei schlüpft. Es folgen bis 1989 satte sieben (!!!) Fortsetzungen.

1984 erweckt Wes Craven, dem wir einige semi-populäre Genrebeiträge wie »Last House on the left« oder »The Hills have Eyes« zu verdanken haben, ein neues Horrorgesicht zum Leben: den Kindermörder Fred Krueger, von Fans liebevoll »Freddy« genannt, der dem Genre ganz neue Impulse einhaucht – und dem in den 80ern noch vier Fortsetzungen folgen sollten.

Auch nicht untätig sind die Europäer, wie ein Blick nach England offenbart. Dort hat nämlich ein Horrorautor die Nase voll davon, dass sich andere an seinen Werken filmisch versuchen und das Ergebnis regelmäßig verkacken. Nämlicher Autor, Clive Barker, wie seine Eltern ihn genannt haben, will deshalb selbst Regie führen und einen seiner Romane cineastisch für die Nachwelt konservieren. Das Ergebnis: »Hellraiser«, der 1987 eine völlig unvorbereitete Öffentlichkeit mal so richtig an den Eiern packt und nach Jason und Freddy eine dritte Horrorikone etabliert: Pinhead, stark in der S/M-Subkultur verankert, lässt die selbsternannten Jugend- und Gutgeschmacksschützer weltweit auf die Barrikaden gehen. Fortsetzungen inklusive.

In Italien tun sich Heerscharen an »Dawn Of The Dead«-Epigonen auf. Die Italos lassen ungehemmt allerlei untotes Zombiegesocks auf die Menschheit los und schrecken hierbei vor kaum einer Geschmacklosigkeit zurück. Besonders ein Kollege namens Lucio Fulci tut sich hierbei hervor, dem der Fan das sog. »Zombie-Evangelium« zu verdanken hat: »Woodoo«, »Ein Zombie hing am Glockenseil«, »Das Haus an der Friedhofsmauer« und »Über dem Jenseits«. Billig runtergekurbelt und viel besser aussehend, als sie es eigentlich sind und überhaupt sein dürften, spielen sich die Filme in die Herzen der Fans (und, nur meine Zweieurofuffzich, bei »Über dem Jenseits« haben wir es mit einem gottverdammten Meisterwerk zu tun!!!). Selbst Zombie-Vater George A. Romero kann nicht vom Thema lassen und liefert mit »Day Of The Dead« einen düsteren, pessimistischen, durch geniale Masken Tom Savinis glänzenden Genrevertreter ab, dessen Publikumssympathien sich eindeutig von den Menschen fort Richtung der Untoten verlagern.

Nicht unerwähnt sollte ein kleiner, schräger Filmemacher aus Michigan bleiben, der mit Verwandten und ein paar Kumpels 1981 einen enorm fiesen, richtig bösen Genre-Beitrag abliefert, inkl. eines Hauptdarstellers mit prägnantem Kinn, der zu einer weiteren Ikone werden sollte, wenn auch nicht ganz in den Größenordnungen eines Michael Myers, Jason, Freddy oder Pinheads. Gemeint ist natürlich der durchgeknallte Nerd Sam Raimi respektive sein filmisches Alter Ego Bruce Campbell, dessen »Tanz der Teufel« das Genre aufmischen würde. Eine Fortsetzung folgt noch in den 80ern. Und da man kaum noch übertreffen kann, was im Erstling aufgefahren wurde, ohne sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben, wurde gleich eine völlig überdrehte Cartoon-Satire draus, was das enorme Blutbad glatt ins Parodistische hievt.

Dann gibt es da noch Stuart Gordon, der mit dem ultra-gorigen »Re-Animator« und dem etwas angeferkelten »From Beyond« (beide nach H.P. Lovecraft) durchaus Akzente setzen kann und einmal mehr beweist, dass man nicht viel Geld braucht, um einen gelungenen Film zu drehen, während John Carpenter mit »The Thing« den ultimativen Alien-Terror-Film erschafft (und von den Kritikern niedergemacht und als Gewaltpornograph beschimpft wird) und sein Kollege David Cronenberg Jeff Goldblum zur gewaltigen »Die Fliege« mutieren lässt, womit beide aufzeigen, dass auch Remakes das Zeug haben, selbst zu Klassikern zu werden.

Außerdem: wenn man den Film mal auf seine Essenz runterbricht, was ist James Camerons 1984er »The Terminator« anderes als ein Slasher mit einem Cyborg als maskiertem Killer, der sich seinen Weg zum Final Girl durchmetzelt?

Lohnt es sich, nach Deutschland zu schauen? Ähm… nein.
 
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Die wilde 13

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Vielen Dank, Russel, für dieses toll geschriebene Essay über die chronologische Entwicklung des Horrorfilms. :bet::rock:

Einige Klassiker des Genres habe ich bis heute leider noch nicht gesehen aber ich bekomme hier wieder große Lust, das nachzuholen. Und jene, die ich gesehen habe, bereiten mir bis heute bei jeder Sichtung eine wohlige Gänsehaut und auch Spaß (darf man den eigentlich haben beim Horrorfilm? Klare Antwort: Jaaaa!!).
Ich freue mich auf die nächsten vier Jahrzehnte! :)
 

Russel Faraday

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Vielen Dank, Russel, für dieses toll geschriebene Essay über die chronologische Entwicklung des Horrorfilms. :bet::rock:

Einige Klassiker des Genres habe ich bis heute leider noch nicht gesehen aber ich bekomme hier wieder große Lust, das nachzuholen. Und jene, die ich gesehen habe, bereiten mir bis heute bei jeder Sichtung eine wohlige Gänsehaut und auch Spaß (darf man den eigentlich haben beim Horrorfilm? Klare Antwort: Jaaaa!!).
Ich freue mich auf die nächsten vier Jahrzehnte! :)
Danke. :hoch:
Natürlich darf und muss man Spaß an Horrorfilmen haben. Meines Erachtens nach gibt es kaum ein Genre, daß der Komödie so nahesteht, wie es der Horrorfilm tut. In beiden Welten kommt es vor allem auf das richtige Timing an. Wenn man sich Audiokommentare oder Dokumentationen zu Horrorfilmen anhört bzw. ansieht, ist es auch immer so, daß alle Beteiligten während der Dreharbeiten meist eine Mordsgaudi hatten. Ok, mit Ausnahme vielleicht von Shelley Duvall bei "The Shining", aber das steht auf einem ganz anderen Blatt.
 

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Ok, mit Ausnahme vielleicht von Shelley Duvall bei "The Shining", aber das steht auf einem ganz anderen Blatt.
Und Tippi Hedren bei „Die Vögel“ :D
Heutzutage absolut undenkbar.

Wieder ein sehr geiler Abstecher in die 70er und 80er, dem ich mich nahezu bedingungslos anschließe. Lediglich das Jahr 1979 hätte noch eine kleine Erwähnung verdient gehabt :hoch:
 

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Tut mir leid Russel das ich mich hier noch nicht ausführlich zu Wort gemeldet habe, das kommt aber noch. Ich habe Deine sehr lesenswerten Beiträge aber alle schon durchgelesen. Vielen Dank dafür! Ich werde mich hierzu noch ausführlicher zu Wort melden!
 

Russel Faraday

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Die 1990er.
In den 90ern erlebt der geneigte Fan die letzten Zuckungen seiner geliebten Horrorfilmreihen, die sich allmählich selbst überflüssig gemacht haben. Freddy treibt zum sechsten Mal sein Unwesen – von den gelangweilten Fans abgestraft. Jason ist zum neunten Mal am Start – von den gelangweilten Fans abgestraft. Selbst Michael Myers, ehemals auch von der Kritik geliebter Vorzeigepsycho, fällt der Belanglosigkeit anheim – von den gelangweilten Fans 1995 im sechsten Teil abgestraft.

Was sich an der »Hellraiser«-Front so tut, darüber hüllen wir mal lieber den Mantel des Schweigens.

Herrscht also Durststrecke, wenn es ums Genre geht?
Mitnichten, denn mit »Candyman«, einer weiteren Clive-Barker-Verfilmung, an der der Meister höchstselbst zwar Producer-Credits einheimst, die aber mehr oder weniger komplett auf dem Mist anderer gewachsen ist, haut Regisseur Bernard Rose 1992 ein absolutes Meisterwerk raus, das bis 2021 immerhin drei Fortsetzungen nach sich ziehen sollte. Von stark schwankender Qualität.

Einmal mehr treffen wir auch auf alte Bekannte, die uns schon lange begleitet haben, an die wir aber dennoch eher selten zu denken belieben: »Dracula« und »Frankenstein« ploppen mal wieder auf und erfahren, wie man uns erklärt, ihre ultimativen Adaptionen. 1992 durch keinen Geringeren als Francis Ford Coppola (»Dracula«) und 1994 durch Kenneth Branagh (»Frankenstein«, von Francis F. produziert), nach der kongenialen Shakespeare-Verfilmung »Henry V« Publikums- und Kritikerliebling, der sich in seiner Frankenstein-Variation vor allem durch einen filmisch ausgelebten Ego-Trip (und aufgemaltes Bauch-Sixpack) hervortut und das Kunststück vollbringt, den besten Schauspieler der Welt und aller Zeiten als Monster zu verpflichten – John Cleese. Sorry, ich meinte natürlich Robert DeNiro. Filme, die für sich gesehen, so schlecht nicht sind (gerade »Dracula« ist ein cineastisches Meisterwerk), die aber keinerlei Fußspuren hinterlassen haben, was wirklich schade ist, da ich persönlich beide sehr mag.

Dem will auch Roger Corman genüge tun und entfesselt 1990 seinen erstaunlich prominent besetzten »Frankenstein Unbound« in seiner bis dato letzten Arbeit als Regisseur. Natürlich tut er dies vor seinen Kollegen Coppola & Branagh (ersterer war einmal sein Zögling) und beweist damit ein letztes Mal deutlich, wie effektiv seine Fähigkeiten als Produzent und Regisseur sind.

Einen richtigen Elektroschock Marke »Defibrillator 1996« erfährt unsere liebste Filmgattung, als Wes Craven, seines Zeichens Schöpfer von Fred »Freddy« Krueger, seinen Slasher »Scream« auf die Öffentlichkeit loslässt, sich hierbei gleichzeitig lustig über das Genre und seine allbekannten Mechanismen macht und doch eine wertvolle Beigabe liefert, die in einer ganzen Welle von Nachahmern mündet. Ganz egal, ob ich nun weiß, was du letzten Sommer getan hast oder ob meine finale Destination mir wirklich bewusst ist: Wes Craven haucht einer sich beinahe selbst überlebten Filmgattung noch einmal Leben ein. Und fügt der ganzen Chose etwas hinzu, was bislang sträflichst vernachlässigt wurde: eine selbstreferenzielle Meta-Ebene. »Scream« kann man nicht genießen oder vollends erfassen, wenn man das »Halloween«- oder »Freitag, der 13.«-Konzept nicht aus dem Effeff beherrscht. Bis dato vier Fortsetzungen inklusive. Der Film belebt den Teenie-Slasher neu, beschert in dessen Sogwasser 1998 gar dem filmisch totgeglaubten Michael Myers in »Halloween: H20« einen neuen Auftritt. Etwas, woran vermutlich niemand mehr geglaubt hat.

Richtig beliebt sind in den 1990ern Vampire: einer kaum bekannten Horrorkomödie um eine jugendliche Vampirjägerin folgt eine sehr erfolgreiche TV-Serie: »Buffy« ist über Jahre hinweg ein richtiger Fan-Favorit. Im Kino metzelt sich Wesley Snipes als »Blade« durch Heerscharen von Spitzzähnen. John Landis mixt eine »Bloody Marie«. Robert Rodriguez' Vampirkneipe ist »From Dusk Till Dawn« geöffnet. John Carpenter nennt seinen Ausflug ist Fast-Westerngenre schlicht »Vampire«, während Brad Pitt sein »Interview mit einem Vampir« gibt.

Auch eine neue Show, mit dem mysteriösen Namen »Akte X« betitelt, bedient immer wieder mal deutliche Horrorelemente (inkl. einer eigenen »The Thing«-Episode), kann gar Stephen King für ein Drehbuch gewinnen.

1999 füllt »The Sixth Sense« die Kinokassen, etabliert Bruce Willis für eine kurze Zeit als ernstzunehmenden Schauspieler und macht seinen Regisseur M. Night Shyamalan über Nacht schlagartig weltberühmt, während es aus Deutschland noch immer nichts Neues zu vermelden gibt.


Die 2000er.
In den 2000ern versucht man augenscheinlich gar nicht erst, sich etwas Neues einfallen zu lassen und setzt ganz auf eine einsetzende Nostalgiewelle, was im Klartext bedeutet: es ist das Jahrzehnt der Remakes. »The Hills have Eyes«, »Texas Chain Saw Massacre« (der immerhin erfolgreich genug für eine ganze Reihe an Fortsetzungen und Prequels ist), selbst Genreklassiker wie »Halloween« (der wieder einmal letzte echte »Halloween«-Film »Resurrection« entsteht 2002) und die heiligste aller Zombiefilmkühe »Dawn of the Dead« sind vor dem Neuverfilmungswahn nicht sicher, schlagen sich mitunter recht wacker an den Kinokassen und können auch Punkte bei den Fans sammeln.

Im Vereinigten Königreich entsteht 2004 ein kleines Filmchen namens »Shaun of the Dead« (gedreht von zwei Spaßvögeln, die erste Akzente mit ihrer TV-Serie »Spaced» setzten), Parodie, Liebeserklärung und reinrassiger Zombiefilm in Personalunion, der dem schlurfenden, ächzenden, gehirnfressenden Untoten einen gehörigen Popularitätsschub verpasst und es gar dem Altmeister Romero ermöglicht, mit »Land of the Dead« nach über 20 Jahren einen neuen Teil seiner »Dead«-Reihe zu inszenieren (in dem »Shaun«-Regisseur Edgard Wright und sein Hauptdarsteller Simon Pegg kleine Cameos als Zombies haben).

Paul Verhoeven versucht sich in »Hollow Man« an einer Neuinterpretation des »Unsichtbaren«, wird aber von Kritik und Publikum gleichermaßen negativ behandelt. Es sollte sein letzter US-Film sein.

Schon in den 90ern hat sich in Japan eine neue Horrorfilmkultur entwickelt, die nun nach Übersee schwappt: der Amerikaner synchronisiert nicht, der Amerikaner dreht einen nicht englischsprachigen Film gleich komplett neu. Es entstehen US-Versionen japanischer Vorbilder wie »The Ring«, »The Grudge« oder »Dark Waters«. Auch Freddy Krueger und Jason treiben sich noch in der Gegend herum und treffen in »Freddy vs. Jason« aufeinander (bevor der Mann mit der Hockeymaske in seinem zehnten Abenteuer einige Jahre später in den Weltraum reist), während in Frankreich eine Reihe ultraharter Terrorfilme entsteht, von denen sich besonders »Haute Tension« hervortut und einmal mehr die Grenzen des Mach- und Zeigbaren auslotet. Dessen Regisseur Alexandre Aja gilt für kurze Zeit als neue Hoffnung im Genre, wurde aber fortan mehr oder minder erfolgreich (oder eben nicht) als Neuverfilmer bereits existierender Stoffe verheizt. Eliza Dushku biegt 2003 in »Wrong Turn« falsch ab, im selben Jahr gibt Rockmusiker Rob Zombie mit der irren Horror-Achterbahnfahrt »Haus der 1000 Leichen« sein Debüt als Spielfilmregisseur und treibt das produzierende Studio und die Jugendschützer in den Wahnsinn.

Ein Film erhebt sich in den frühen 2000ern über allen anderen: James Wans »Saw« kommt aus dem Nichts, plättet Kritik und Zuschauer und erschafft das einzige echte Franchise, das dieses Jahrzehnt hervorgebracht hat. Fortsetzungen folgen.

Was tut sich in D? Noch immer nichts. Oh, Moment mal. Da gibt es tatsächlich ein Aufmüpfen der alten Germanen. Mehr oder weniger zumindest. Bernd Eichinger zeicht ( :D ) 2002 Interesse und schließt sich der gerade angesagten Zombiewelle an: »Resident Evil«, die Adaption einer beliebten Videospielreihe, entsteht in Deutschland, wenn auch in Co-Produktion mit dem Vereinigten Königreich und überwiegend mit internationalen Darstellern besetzt. Kritiker und Spielefans lehnen Paul W.S. Andersons Interpretation freilich rundweg ab, doch das leicht zombiefizierte Actiongekloppe um seine Ehefrau Milla Jovovich spült genug Einheiten der niegelnagelneuen Europawährung in die Kassen, um es bis 2016 auf satte fünf Fortsetzungen zu bringen.

Ziemlich genau achtzig Jahre, nachdem man in Deutschland den Horrorfilm definiert hat, lässt man also wieder einen kleinen Schluckauf von sich vernehmen.


Die 2010er.
Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. Kontakt würden wir vor allem gern mit dem Jenseits aufnehmen, denn für den Horrorfilmfan sind die 2010er ein schlechtes Jahrzehnt: Wes Craven, George A. Romero und Tobe Hooper gehen in die Ewigen Jagdgründe ein. John Carpenter ist im Ruhestand und erlebt seinen zweiten Karrierefrühling als Musiker – er geht erfolgreich auf Tournee und kassiert dann und wann einen Scheck, wenn mal wieder jemand einen seiner Klassiker verwurstet. Abgesehen davon zockt er viele Videospiele. Dario Argento ist nur noch ein kreativer Schatten seiner selbst.

Mit kostengünstigen, eher ruhigen und auf Buh!-Momente setzenden Produktionen wie »The Conjuring« oder »Insidious« wird gutes Geld verdient, während die Neuverfilmungen von »A Nightmare On Elm Street« oder »Carrie« nicht den Geschmack des Publikums treffen.

Dafür tut sich einiges im TV, denn dort treiben die Untoten äußerst erfolgreich ihr Unwesen: »The Walking Dead« oder »American Horror Story« stehen (noch) hoch in der Gunst des Fans, selbst Ashy Slashy tanzt noch immer mit den Teufeln und lässt das Splatter- und Spaßherz in »Ash vs. Evil Dead« höher schlagen. Auch »Der Exorzist« geht in Serie, wenn auch weniger überzeugend.

2022. Und: Quo vadis, Horrorfilm?
Das neue Jahrtausend ist etwas über zwei Jahrzehnte alt, der Horrorfilm begleitet den Zuschauer seit nunmehr über 100 Jahren und hat allerlei Wandlungen und Variationen erlebt. Was gibt es also Neues im Jahr 2022? Es sollte sich doch viel, viel, viel getan haben.

Nun, eigentlich nicht: 2022, buchstäblich erst vor wenigen Wochen, muss sich das leidgeplagte Haddonfield mal wieder dem Bösen an sich stellen – es wird zum dreizehnten Mal (Notiz an die Erbsenzähler: ich weiß, dass »Halloween III« nicht gilt) vom Schweratmer mit der William-Shatner-Maske heimgesucht. Leatherface ist im selben Jahr zum achten Mal unterwegs, während »Hellraiser«-Dämon (für andere ein Engel) Pinhead, nunmehr geschlechtsumgewandelt, zum elften Mal auf Seelenfang geht. Viel Neues gibt es also wirklich nicht. Nur von Jason fehlt seit einer Weile jede Spur; um den wurde es 2009 nach dem Remake erstaunlich ruhig.

»Saw X« startet, »Conjuring« geht in die dritte Runde. Ein neuer »Evil Dead« ist in der Vorproduktionshölle, und ich bin ziemlich sicher, dass wir nicht das letzte Mal Nachrichten aus Haddonfield vernommen haben.

Was hält unser liebstes Genre also noch in der Zukunft bereit? Wird es weitere Fortsetzungen, Neuverfilmungen, Prequels, Reboots oder Irgendwas-quels geben? Auch die Horror-Ära im TV geht so langsam ihrem Ende entgegen – was wird diese Lücke füllen?

Die 30 und 40 Jahre zuvor aufgetauchten Anarchofilmemacher Sam Raimi und Peter Jackson sind mittlerweile echte Regie-Schwergewichte. David Cronenberg, der in den 80ern den Körperhorror perfektionierte, dreht lieber langweilige Dramen und überlässt das Horrorfeld dem Sohnemann. Monsterfilme gibt es immer noch: »Godzilla« und »King Kong« haben sich eben erst gehörig was aufs Maul gegeben, doch dies sind reine Actionfilme mit Figuren, die mal im Horror begonnen haben.

Jason Blum hat mit seiner Billigfilmschmiede »Blumhouse« seit den frühen 2000ern ein paar interessante Variationen altbekannter Stoffe erschaffen: »Der Unsichtbare«, »Black Christmas« oder auch die aktuelle »Halloween«-Trilogie gehen auf seine Kappe. Dabei ging die Rechnung ob der mehr als überschaubaren Budgets bislang nahezu immer auf und machen den Mann zu einer nicht zu unterschätzenden Konstante im Geschäft, der immer mal wieder für eine Überraschung gut ist. Sein »Get Out«, vage dem Genre verbunden, war ein Kritiker- und Publikumsliebling. Wer weiß, was wir von ihm noch zu erwarten haben?

Mike Flanagan, Regisseur der »Shining«-Fortsetzung »Doctor Sleep«, sollte ebenfalls nicht unter den Tisch gekehrt werden, denn zumindest eine seine Gruselserien ,»Spuk in Hill House«, eine lockere Adaption des Genre-Klassikers »Bis das Blut gefriert« (dessen erstes Remake »The Haunting« wir mal lieber gar nicht erst erwähnen), glänzt mit ein paar großartigen Gruselmomenten und einem der fiesesten Jump Scares seit »Der Exorzist III«. Da setzte mein Herz bei Sichtung tatsächlich kurz aus.

Durch Netflix & Co. hat auch die Kinolandschaft eine enorme Wandlung vollzogen, die man nicht vernachlässigen sollte. Was sich hier noch tun wird, steht in den Sternen.

Letzte Worte.
Das soll es von meiner Stelle fürs Erste gewesen sein. Ich weiß, dass ich nicht alles abgedeckt habe, was der Horror in Film- oder Serienform für den Fan bereithält: »Das Omen«, Found-Footage wie »The Blair Witch Project« oder Horrorkomödien wie »Ghostbusters« oder Mel Brooks' »Frankenstein Jr.« und subtile Grusler wie »The Others« blieben unerwähnt, auch Genrehybriden wie »Alien« oder die wilden Welten eines David Lynch, wie er sie uns in »Eraserhead« vorstellt (und die wir durch ihn auch in »Mulholland Drive« oder der letzten »Twin Peaks«-Staffel besuchen konnten, die ebenfalls starke Horrorelemente in sich bergen), glänzen durch Abwesenheit. Es sollte aber auch keine reine Aufzählnummer werden, und ihr könnt gern ergänzen, was euch selbst noch wichtig ist und auf dem Herzen liegt. Vielleicht fällt euch ja auch noch ein, was sich in deutschen Landen zum Thema zugetragen hat.

Ich entschuldige mich auch ausdrücklich dafür, »The Shining« unterschlagen zu haben, jenen Horrorfilm, der das Grauen nicht in Schatten und Dunkelheit versteckt, sondern ins grelle, sterile Licht zerrt.

Fühlt euch also frei, eigene Gedanken und Ergänzungen vorzunehmen.
 

BladeRunner2007

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@Russel Faraday Jeder einzelne Beitrag ist Weltklasse von dir geschrieben. Habe es genossen jede einzelne Zeile zu lesen und hat mir erneut vor Augen geführt, warum Horror mein Lieblingsgenre ist, was ich daran liebe, was mir an den verschieden Äras gefällt oder eben auch missfällt. Genau so eine Hingabe und diesen Stil würde ich sehr gerne häufiger in Horrorfachzeitschriften lesen.
 

Firefly

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@Russel Faraday Jeder einzelne Beitrag ist Weltklasse von dir geschrieben. Habe es genossen jede einzelne Zeile zu lesen und hat mir erneut vor Augen geführt, warum Horror mein Lieblingsgenre ist, was ich daran liebe, was mir an den verschieden Äras gefällt oder eben auch missfällt. Genau so eine Hingabe und diesen Stil würde ich sehr gerne häufiger in Horrorfachzeitschriften lesen.
Musst du nur seine Bücher lesen :nice: :kiss:
 

Russel Faraday

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@Russel Faraday Jeder einzelne Beitrag ist Weltklasse von dir geschrieben. Habe es genossen jede einzelne Zeile zu lesen und hat mir erneut vor Augen geführt, warum Horror mein Lieblingsgenre ist, was ich daran liebe, was mir an den verschieden Äras gefällt oder eben auch missfällt. Genau so eine Hingabe und diesen Stil würde ich sehr gerne häufiger in Horrorfachzeitschriften lesen.
Seien Sie bedankt. Nachdem ich den letzten Beitrag abgeschickt habe, fiel mir auf, daß ich die TV-Miniserien nach Stephen King, allen voran "Es", total vergessen habe, Mea und auch ein wenig culpa dafür.
 

Alexboy

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Seien Sie bedankt. Nachdem ich den letzten Beitrag abgeschickt habe, fiel mir auf, daß ich die TV-Miniserien nach Stephen King, allen voran "Es", total vergessen habe, Mea und auch ein wenig culpa dafür.
Ich hebe mir Deinen Roman für die Weihnachtszeit auf. Danach können wir darüber diskutieren.:evil:
( Ein wirklich "großes Werk"! )
 

Die wilde 13

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Auch wenn das Horrorgenre nicht mein absolutes Lieblingsgenre ist, kann ich deine Zeilen nur ganz dick unterstreichen. :)

Russel, das war ganz großes Kino! Danke dafür. :bet:
 
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