AW: Taxi Driver
Beitrag von Farman:
@Travis: Vielen Dank für diesen höchst unterhaltsamen und interessanten Einblick. Könnte man verfilmen Durch einen Umweg genetisch vorherbestimmt, Kinoliebhaber zu werden, weil du das Glück hattest, mit Dreizehn 1,80 zu sein: Die Wege des Herrn sind unergründlich. Als jemand der MTV-Generation, der Jugend, die mit dem Fernseher erzogen wurde, spricht aus mir der blanke Neid. Ich hab dieses "Reinschmuggeln" in Kinos in jungem Alter bei Filmen mit hoher Altersbegrenzung allerdings ebenfalls exzessiv betrieben, allerdings bin ich im Alter von 10-15 fast gar nicht gewachsen, hatte es also deutlich schwerer. Meine Erinnerungen daran sind nicht so schön nostalgisch: Einst wurde ein hochgewachsener Freund reingelassen und mir hat man ins Gesicht gelacht. Der Penner ist tatsächlich reingegangen und hat mich stehen lassen, wofür ich damals meine bescheidene Größe vergaß und später in einem Emotionsausbruch die Fäuste fliegen ließ. Zum Glück ist diese Zeit vorbei. Nur leider lohnte sich der Kinobesuch in meinen hochgewachsenen Jahren immer weniger. lol, soviel dazu.
Bei mir hat sich allerdings nicht der EINE Film herauskristallisiert, der bis heute meine unumstößliche Nummer Eins geblieben ist. Aber ich kann sagen: Was für dich "Taxi Driver" ist, ist für mich wohl "Spiel mir das Lied vom Tod". Als ich den mit Elf oder so gesehen habe war ich dermassen parallelisiert, verstört und beeindruckt, dass ich stunden-, wenn nicht tagelang kaum sprechen konnte. Das Interessante ist: Man war noch klein, hatte von kaum was ne Ahnung, um wirklich sagen zu können, worum es geht, aber dennoch habe ich diesen Film auf meine Art und Weise verstanden. Henry Fondas blaue Augen wenn er das Kind abknallt und die Rückblende am Ende lösten Empfindungen aus, die in Zeitlupe bis heute kontinuierlich existieren. Wenn ich mehr schreibe, werde ich richtig pathetisch. Ähnliches kannst du bestimmt über Taxi Driver sagen. In meiner hochkomplexen Erinnerungsarbeit würde ich den Film als den einen küren, der mich zum Filmliebhaber gemacht hat (vielleicht noch neben Chaplins "Moderne Zeiten").
Später kamen allerdings auch immer wieder Erlebnisse, bei denen man denkt "Wenn das jetzt ein Film war, was habe ich dann all die vorigen Jahre gesehen?", ob nun Peckinpahs "Wild Bunch", dann Godards "Pierrot le Fou", dann Kitanos "Hana-bi", dann Tarkovskys "Stalker", und so einige andere. Deswegen hab ich wohl nicht DEN Lieblingsfilm.
@The Count/Nemesis88
Der Taxifahrer höchstpersönlich hat ja seine komplexen Motive veranschaulichend erklärt. Und das ist tatsächlich die Frage schlechthin.
Tatsache ist ja: Der Film nennt keinen Grund. Das ist wie bei einem Buch mit einem sog. "unreliable narrator", einen Erzähler, dem man nicht glauben kann, den man hinterfragen und eigenständig verstehen muss. Folglich geht es dem Charakter Travis Bickle und dem Film an die Substanz, wenn man diese Frage beantworten müsste. Ich geb zusätzlich zu Travis' exakter Erklärung nochmal ein paar Anhaltspunkte, die er eventuell so beglaubigen oder ausführen kann, falls Interesse besteht und das den Rahmen nicht sprengt:
-Vorher die Kurzfassung: Er macht Palantine als Symbol für sein Leid verantwortlich. Wie es dazu kommt, versuch ich kurz zu erklären:
-Erstmal müsste euch ja aufgefallen sein, dass der Film aus zwei Hälften besteht, deren Übergang die Wandlung des Charakters festsetzt. Anfangs ist er eher "Travis", der sich nach Vietnam -trotz seines Hasses auf den Dreck in der Stadt- "anpassen" möchte, der sein Plätzchen sucht, ausgedrückt in seiner "Liebe" (oder was auch immer) zu Betsy. Danach ist er eher "Bickle", der seine imaginäre Mission erfüllen will. Die "Liebe" zu Betsy verwandelt sich in Hass. Dementsprechend natürlich auch die Zustimmung für Palantine, die sich in Ablehnung verwandelt. Das nenne ich den psychologischen Ansatz. Diese Widersprüchlichkeit, die sich in dem Namen "Travis Bickle" schon zeigt, wird ständig symbolisch aufgegriffen und in der Handlung selbst auch deutlich: Anfangs gegen Waffen, danach waffenfanatisch, anfangs "Mir macht es nichts aus, Nigger zu fahren", später offensichtlich rassistisch. Nicht zu vergessen Bernard Herrmanns Score mit seinem Dualismus Melancholie/Sehnsucht <=> Gefahr/Aggression.
-Dann gibt es den religiös angehauchten, den politischen, und den das amerikanische Kino reflektierenden Ansatz, bei dem es nicht rational nur um Travis' Psyche geht, sondern um das, wofür seine Psyche steht. Kurz gesagt: Anfangs geht es ihm um seine Erfüllung im Diesseits, also Anpassung an bestehende Formen, danach um seine Erlösung von den Qualen des Diesseits, die Erfüllung im Jenseits, und damit verbunden der Hass auf die bestehenden Formen, die Erlösung, indem er die Sünde in Gewalt "reinwäscht". Die bestehende Form = Charles Palantine.
Hinsichtlich Politik und amerikanisches Kino kann man schwer trennen. Hier kann man gut Betsy zitieren, die im Restaurant Kristoffersen zitiert: "He's partly true, partly fiction". Natürlich meinen sie und der Film Travis. Es geht darum, dass dieser "reale" Charakter, der in Vietnam für sein Land getötet hat und sich seiner Heimat verbunden fühlt ("Eine Kommune ist nichts für mich", er will schließlich nicht weg), und dieser fiktionale Charakter, der in so vielen Filmen bereits zelebriert wurde, dort aber in die Version von Amerika gepasst hat, hier im realen Amerika der Gegenwart nicht nur das Retten im Sinn haben kann, sondern das Zerstören. Palantine ist ein Bild von Amerika und Travis ist es auch, und beide streben den Status als fiktionale Figur an: Der Politiker sowieso, der sich zum Retter erkoren hat, ebenso Travis, der das gleiche tut. Das muss schiefgehen. Was also im Mordversuch von Travis an Palantine ausgedrückt wird, ist der Übergang des Privatens ins Politische und des fiktionalen Amerika ins Reale, und beides kann nur mit Gewalt geschehen.
-Außerdem muss noch erwähnt werden, dass sein Amoklauf im Puff quasi ein "alternatives Ende" von Travis selbsterdachter Mission ist. Das macht den versuchten Mord an Palantine nochmal zusätzlich interessant. Denn: Aus einem Charakter, der einen Zuhälter, seinen Assistenten und einen Freier abknallt, um ein kleines Mädchen zu retten, hätte man eine Heldengeschichte machen können. Wir hätten sie auch alle angenommen. Heutzutage kann sowas sogar Familienunterhaltung sein. Sowas wäre im klassischen Western mit pathetischer Musik, sogar mit Slapstickeinlagen realisiert werden können. Hier ist es brutal, und dass er vorher etwas plante, und zwar den Mord am Präsidenten, das Staatsverbrechen schlechthin, das moralisch nicht hätte rechtfertigt werden können, gibt dem ganzen nochmal die radikale Würze, nicht zu vergessen, dass die Presse aus dem Amoklauf tatsächlich eine Heldentat gemacht hat.
Weiterhin sollte man mal diese beiden "Missionen" vergleichen: In Travis' Psyche sind sie ein und dasselbe. Oder noch radikaler: Für ihn ist zum Zeitpunkt seiner Gewaltpläne Betsy die Hure, nicht Iris, sie ist das verlorene Kind. Und wenn Betsy die Hure ist, dann ist Palantine ihr Zuhälter (Man verweise auf den Anfang, als Travis in Betsys Büro auf ihren Tisch zeigt und sagt "All of this means nothing to you": Er sah in ihr das unschuldige Mädchen, das in Gefangenschaft ist, exakt das, was er später bei Iris sieht).
Travis (unser Travis, nicht der im Film, verdammt ist das ein Durcheinander) könnte sicherlich noch Seiten dazu schreiben. Zu erwähnen bleibt für mich natürlich: Alles subjektiv und ohne Gewähr.