Orca, der Killerwal
Eben erst hatte „Der weiße Hai“ für volle Kinos und leere Strände gesorgt, als auch schon alle Nachzügler und Trittbrettfahrer in den Startlöchern standen und ein Stück vom Einspielkuchen abhaben wollten. Der Hai war bereits für die folgenden Jahre und Jahrzehnte rufgeschädigt, und so schien nichts näher, als ein Tier anzugehen, der das Böse schon im Namen trägt: den Mörder- oder Killerwal.
Die Handlung ist schnell erzählt: Hochseecaptain Nolan will einen Orca fangen, um die stattliche Prämie für das Abliefern eines selbigen zu ergattern. Doch bei der Jagd trifft's nicht das Männchen, sondern dessen trächtige Angetraute, die auf Nolans Schiff nebst Baby jämmerlich eingeht. Der stattliche Wal-Rüde schwört Rache und führt fortan mit Nolan einen Psychokrieg.
„Orca, der Killerwal“ ist ein Film, der mich seit frühester Kindheit begleitet und wohl allein deshalb einen ziemlichen Stein bei mir im Brett hat. Würde ich ihn heute erstmals sehen, würde ich wohl nur die Hände an die Stirn klatschen und die DVD nach einer Viertelstunde aus dem Player nehmen. Denn „Orca“ ist, leider, einer der wohl hohlsten und teilweise schon beleidigend dümmsten Filme aus dem Bereich Tierhorror überhaupt. Was dem Zuschauer hier an Schwachsinn aufgetischt wird („Jaws“ war inhaltlich sicher auch nicht origineller, hat das Publikum aber nicht für dumm verkauft), ist teilweise schon übel: der Wal ist kein Tier, sondern ein gottgleiches Wesen von überragender Intelligenz, das schonmal bewußt eine Ölleitung sabotiert und anschließend ein Feuer entfacht, um die ganze Chose in Flammen aufgehen zu sehen.
„Orca“ ist nicht um Glaubwürdigkeit bemüht (im Film dargebrachte Informationen über die stattlichen Riesendelphine sind schlichtweg falsch), sondern will nur unterhalten, was ihm eigentlich auch hervorragend gelingt: die Darsteller, vor allem Richard Harris als besessener Mini-Ahab, gehen völlig in Ordnung. Charlotte Rampling ist stark unterfordert, kann aber mit ihrer kühlen, fast schon geheimnisvollen Schönheit fesseln, und eine blutjunge, bildhübsche Bo Derek in einer kleinen Nebenrolle darf ebenfalls etwas für's Auge bieten (und sich ein Bein abknabbern lassen).
Durststrecken überwindet der Film bei seinen knackigen 90 Minuten Laufzeit schnell, und eigentlich kann sich das alles wirklich sehen lassen, wenn nur die allgegenwärtige Dummheit nicht wäre, die der Film immer und überall versprüht. Das nervt, hier hätte etwas Feinschliff ab Drehbuch nicht geschadet (aber dafür war vermutlich keine Zeit mehr, da der „Jaws“-Rahm noch abgeschöpft werden mußte). Optisch kann der Film vollends überzeugen. Hier und da sind ein paar ausgesprochen schöne Bilder gelungen. Die Musik Ennio Morricones ist so eine Sache. Zum einen scheint sie aus nur einem Leitmotiv zu bestehen (und einem mißlungenen „Jaws“-Verschnitt in einigen Szenen), zum anderen gibt es da diese
vokale Interpretation desselben über dem Abspann, die gegen alle Menschenrechte verstößt.
Ich bin bei „Orca“ immer zwiegespalten. Der Film ist blöd, teilweise regelrecht schwachsinnig, aber er bietet wirklich viel fürs Auge und ist schon so lange Teil meines Lebens als Filmangucker, daß es schwer ist, ihn niederzumachen. Mit fettem Nostalgie-Bonus bleibt ein Film aus den tiefsten Untiefen meiner Kindheit. Nüchtern betrachtet eine stumpfsinnige Ausschlachtung eines großen Vorbildes. Interessant bleibt allerdings, daß man tatsächlich versucht, dem Orca ein Motiv für seine Taten zu geben und Verständnis für seinen Rachefeldzug zu wecken; im Bereich Tierhorror durchaus eine Seltenheit, geht es doch zumeist nur um amoklaufendes Gekreuch und Gefleuch und seine dümmliche, zweibeinige Beute.