Es kann Ihnen peinlich sein, lieber Leser, aber seien Sie ehrlich: Sie können es pfeifen. Sobald Sie hier die Worte „Wind Of Change“ lesen, geht’s schon los in Ihrem Kopf. Und, Entschuldigung dafür, es geht so schnell auch nicht wieder raus. „Täähääke miii...“
Die „Scorpions“. Europas erfolgreichste Rockband, Erfinder der Powerballade und vom deutschen Feuilleton etwa so spöttisch bedacht wie „Modern Talking“ oder „Pur“.
Aber, Respekt: mehr als 100 Millionen verkaufte Platten. 200-mal Gold, Platin und Diamant, 3000 Konzerte weltweit. Und jetzt die Nachricht: In dieser BILD am SONNTAG verkünden die „Scorpions“ nach 40 Jahren Rockehe ihre Trennung.
„Ja, wir hören auf“, sagt Bandgründer und Gitarrist Rudolf Schenker, als er mit Sänger Klaus Meine (beide 61) und Gitarrist Matthias Jabs (54) in dieser Woche zu Gast in unserer Redaktion war. „Wir arbeiten gerade an unserer letzten Platte und bereiten die letzte Tour vor.“
Die „Scorpions“ werden Rentner, warum? „Wir wollen nicht, dass es unwürdig wird“, sagt Schenker. Er meint: Man ist ja auch nicht mehr ganz so jung. Sänger Klaus Meine sagt das dann auch: „Wir haben ein bisschen gerechnet. Jetzt kommt das Album, dann zwei, drei Jahre Tour. Dabei werden wir ja nicht jünger.“
Stimmt natürlich.
Und: „Wir wollen nicht, dass unsere Fans sagen: ‚Damals haben sie noch geile Platten gemacht . . .‘“, erklärt Klaus Meine weiter. „Wir gehen lieber jetzt mit einem Hammeralbum und folgen unserem Herzen.“ Und das kollektive Herz klopft dazu im Takt: Besser kann’s nicht werden! Dieses Album, dann die Tour über fünf Kontinente, zwei, drei Jahre lang – das ist der Höhepunkt, alles danach nur Wiederholung.
Das erwähnte Hammeralbum soll „Sting In The Tail“ (Stachel am Schwanz) heißen und erscheint am 19. März. Das letzte Album, das letzte von 22. Etwa 200 Konzerte werden sie noch spielen. Das allerletzte vielleicht im Madison Square Garden in New York. „Wir wollen es zum Abschluss richtig krachen lassen und diese Karriere mit einem starken Album und einer spektakulären Tour zu Ende bringen“, sagt Meine und ballt die Faust, wie sonst auf der Bühne bei einer seiner Powerballaden wie „Wind Of Change“ oder „Still Loving You“.
Die Antworten auf die Frage nach dem Warum klingen unterschiedlich.
• „Weil wir körperlich und kreativ auf dem Höhepunkt sind.“ (Klaus Meine)
• „Ein Konzert hat auch mit körperlicher Betätigung zu tun. Irgendwann bringt der Körper nicht mehr das hervor, was man will. Bevor es soweit ist, sollte man gehen. Es ist besser, wenn es bis zum Schluss geil ist, als abtreten zu müssen.“ (Rudolf Schenker)
• „Entzugserscheinungen werden auftauchen, nur wie sie sich auswirken, ist unklar.“ (Matthias Jabs)
Gegründet wurden die „Scorpions“ 1965 von Rudolf Schenker und Schlagzeuger Wolfgang Dziony (nur bis 1973 dabei). Nach ein paar Trennungen sang Klaus Meine Silvester 1969 zum ersten Mal für die Band bei einem Auftritt im „Beat Club“ in Langelsheim bei Goslar. 1971 nahmen sie das erste Album „Lonesome Crow“ auf, das 1972 erschien. Der erste Top-10-Hit 1984 war „Still Loving You“ – allerdings erst mal nur in der Schweiz.
Das erste Nummer-1-Album war 1990 „Crazy World“. Heute gehören neben Schenker, Meine und Jabs der polnische Bassist Pawel Maciwoda zur Band und der amerikanische Schlagzeuger James Kottak. Vier Bassisten wurden ausgetauscht, sechs Schlagzeuger, zwei Gitarristen (Michael Schenker, Bruder von Rudolf, und der legendäre Uli Jon Roth).
Abseits großer Zahlen zieren auch beeindruckende Namen die Bandgeschichte. „,Bon Jovi‘ sind bei uns in die Lehre gegangen“, erzählt Meine „Die waren unsere Vorband und mussten sich bei unserer Tour 1984 in den USA jedes Konzert anschauen. Dazu hatte sie ihr Manager verdonnert. Aber uns ging es ja genauso. Wir haben 1979 bei unserer ersten Tour in den USA im Vorprogramm von Ted Nugent gespielt. Da haben wir uns auch viel abgeschaut, wie jemand wie Ted Nugent mit dem Publikum umgeht.“
„Iron Maiden“ waren Vorband. „Sepultura“ nennen die „Scorpions“ als Vorbild, genau wie Axl Rose, Frontmann von „Guns’n’Roses“, von dem die Geschichte überliefert ist, dass er wegen der „Scorpions“ beschlossen hat, Musiker zu werden. Und Shakira drehte im Scorpions-T-Shirt einen Werbespot für einen Getränkeriesen.
Was tut man, wenn man nach 40 Jahren auf einmal kein Scorpion mehr sein wird? „Wer weiß schon, was er in drei Jahren macht?“, fragt Matthias Jabs zurück. „Wir nicht. Es wird dann etwas anderes geben, das uns ausfüllt.“
Rudolf Schenker, der kürzlich auf Anzeigen für eine Wäschemarke seinen durchtrainierten Bauch zeigte, benutzt einen sportlichen Vergleich: „Wenn einer in der Steilwand klettert, denkt er auch nicht darüber nach, was er morgen frühstückt.“ Sänger Klaus Meine ahnt: „Das ist ein komplett neuer Lebensabschnitt.“
Immerhin, für die Familien, sagt er, sei die Trennung sicherlich willkommenen. Mit seiner Frau Gabi ist Meine fast so lange zusammen wie mit den „Scorpions“. 1972 haben sie sich kennengelernt, 1977 geheiratet, Sohn Christian Julien kam 1985. Rudolf Schenker trennte sich von seiner Frau Margret nach 37 Jahren und liebt jetzt Tanja, 27, ehemalige Miss Nowosibirsk. Matthias Jabs ist in zweiter Ehe mit Beate verheiratet, sein Sohn Nicolas, damals 18, war Trauzeuge.
„Zum Glück ist die Freundschaft, die diese Band ausmacht, nie auf der Strecke geblieben“, behauptet Meine. „Ich denke, das ist ganz außergewöhnlich.“ Es war aber nicht immer alles sauber gepfiffen bei den fünf Musikern. 1999 beispielsweise, als sie „nicht weit davon entfernt“ waren, alles hinzuschmeißen. „Ende der 90er, als die Alternativmusik aufkam, mussten wir kämpfen“, erinnert sich Meine. „Die musikalische Welt hatte sich verändert und wir trafen den Nerv dazu nicht mehr.“
Jabs: „Damals haben uns alle reingeschwätzt, was die Musik anging. Es wäre doch old fashioned was wir machen. Wir müssten mal was neues tun. Deshalb haben wir Musik gespielt, die uns nicht lag – wie waren eine Zeit lang orientierungslos.“ Meine: „Atmosphärisch keine leichte Phase für die Band. Es hat eine Weile gedauert, bis wir zurück ins Fahrwasser kamen.“
Was für Träume bleiben nach 40 Jahren Musikkarriere? „Wir haben unseren Traum total gelebt“, sagt Meine. „Wir haben alles erreicht, was man als Rockband erreichen kann.“ Sie haben auf allen Kontinenten und vor allen Prominenten gespielt (z. B. 1991 bei Michail Gorbatschow im Kreml). Und finanziell? Wie reich sind die „Scorpions“ heute? Schenker macht einen Spardosenmund: „Es reicht fürs Leben.“
Was bleibt zu sagen: „Wir sind glücklich, dass wir als deutsche Band die Möglichkeit hatten, Karriere zu machen und in der weiten Welt so viele Fans zu finden. Es bedeutet uns besonders viel, die Tour in Deutschland zu starten. Dort, wo alles angefangen hat. Das Herz schlägt besonders schnell, wenn man zu Hause spielt.“
Ein wirklich schöner Schlusssatz. Jetzt noch die richtige Musik dazu, und wir pfeifen alle mit.