Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Sam Spade

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Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)


Kennt ihr das? Ein Film, bei dem man während dem Schauen das Gefühl hat, dass er nicht ganz die hohen Erwartungen erfüllen kann. An den man dann aber nach der Sichtung mit einem wohltuenden Gefühl zurückdenkt. Wie an einen schönen Ort wo man sich gerne aufhält. An den man gerne auch wieder sofort zurückkehren möchte, wenn es denn der volle Kalender erlauben würde. In diese Kategorie fällt Birdman für mich.

Doch zunächst war da eben die Befürchtung der Enttäuschung. Der Film stand schon seit dem
ersten Trailer ganz oben auf meiner "Muss-ich-sehen"-Liste, und die Auszeichnung als "Bester Film" bei den Oscars 2015 hat ihn dann natürlich nicht davon verdrängt, im Gegenteil. Doch fangen wir von vorne an.

Das Werk handelt von der Geschichte um Riggan Thomson (Michael Keaton), der in der Rolle des Superhelden Birdman in der gleichnamigen Filmreihe in den 90ern für klingelnde Kinokassen sorgte und zum Star wurde. Doch nach den drei Birdman-Filmen wurde es ruhiger um Thomson. Gute Rollen blieben aus, die Ehe zerbrach und seine Tochter Samantha (Emma Stone) hatte mit Drogenproblemen zu kämpfen. Doch um es den Leuten und sich selbst nochmals zu beweisen, versucht er sich als Theaterregisseur und Schauspieler am Broadway, mit einem adaptierten Stück von dem Schriftsteller Raymond Carver. Dabei muss er aber gegen voreingenommene Kritiker-, nicht ganz einfache Schauspielerkollegen- und vor allem gegen sich selbst kämpfen.

Handwerklich kann es hier keine Zweifel geben, der Film ist genial gedreht. (K)einen einzigen Schnitt - zumindest soll das der Zuschauer glauben - und großartig dargestellt. Obwohl fast alles nur in diesem erwähnten kleinen Theater spielt, wird man von den Bildern nie müde. Von der kleinen Garderobe auf die lichtüberflutete Theaterbühne. Es ist immer ein Genuss, der Kamera zu folgen. Ein Genuss ist es auch, den Schauspielern zuzusehen, die hier sichtlich Spaß an der Sache haben und Leistungen zeigen, die man teilweise schon längere Zeit so von ihnen nicht mehr gesehen hat. Michael Keaton, der allein aufgrund von seiner Batman Historie wie die Faust aufs Auge in diese Rolle passt, wodurch alles ja beinahe autobiografisch wirkt. Edward Norton, der hier den leicht arroganten aber trotzdem irgendwie coolen Broadway-Star Mike Shiner mimt und dabei wiedermal ganz groß auftrumpft. Genauso wie Emma Stone - die hier einmal mehr ihr großes Talent unter Beweis stellt - oder Zach Galifianakis, der nicht nur den verblödeten Deppen in irgendwelchen Komödien spielen kann.

Die Erwartungen waren wie gesagt hoch, und so war ich mir lange Zeit nicht sicher, was ich von diesem Kammerspiel halten soll. Inhaltlich konnte er mich zunächst nicht so richtig ansprechen, trotz der genannten schauspielerischen Leistung und den richtig guten und wortgewandten Dialogen. Möglicherweise habe ich hier alles etwas verschachtelter, komplexer erwartet. Doch im Grunde zeigt und sagt der Film genau das, was er sagen möchte, geradeheraus. Er hält uns, dem Blockbuster-Kino, den Kritikern und den Stars, den Spiegel vors Gesicht. Uns, die wir auf Twitter und Facebook surfen um den Stuss der Stars zu lesen oder jedes Skandälchen mit einem #hashtag kommentieren müssen. Der Filmbranche, in der Krach-Bumm-Effekte wichtiger sind, als der Inhalt. Den Stars, die sich in eben diesen oben genannten Medien tummeln um Aufmerksamkeit zu erregen. Den Kritikern, die im Grunde schon vor der Premiere ihren Zeitungsartikel geschrieben haben. Das alles macht der Film großartig, lässig aus dem Ärmel.
Den Film empfinde ich daher auch irgendwie als ein Sunset Boulevard unserer Zeit. Die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Eine Abrechnung mit dem Showgeschäft und ein verglühter Stern, der immernoch leuchten will.

Wie eingangs erwähnt, kann ich über den Film daher kein schlechtes Wort mehr verlieren. In der Musik würde man hier vllt. von einem "Grower" sprechen. Auf jedenfall glaube ich, dass dieses Werk auch noch in Jahrzehnten geschaut wird - eben wie Sunset Boulevard - und dann immernoch aktueller denn je ist. Ich werde jedenfalls den nächsten Besuch im Broadway-Theater zeitnah einrichten, sofern es der Kalender erlaubt.
 

Willy Wonka

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Hat den Film denn noch keiner gesehen?

Erst einmal vielen Dank für die famose Kritik, der ich aktuell eigentlich nichts hinzufügen kann.


Die Erwartungen waren bei mir damals ähnlich hoch. Eine Kinobetreiberin, die den Film bereits vorab auf der Filmkunstmesse in Leipzig gesehen hat, fand das Ende einfach so großartig und diskussionswürdig, sodass ich in diesem Punkt natürlich leider nicht mehr ganz unvoreingenommen an die Sache gehen konnte. Dementsprechend war ich damals nach meinem Kinobesuch ein wenig enttäuscht, weil ich dann noch ein denkwürdigeres Ende des Films erwartet habe. Ich denke, dass sich dass bei mir aber bei einer zweiten und dritten Sichtung legen wird. Denn das Ende war meiner Meinung nach keinesfalls schlecht. Nur sahen meine Erwartungen eben wieder anders aus.

Doch im Grunde zeigt und sagt der Film genau das, was er sagen möchte, geradeheraus. Er hält uns, dem Blockbuster-Kino, den Kritikern und den Stars, den Spiegel vors Gesicht. Uns, die wir auf Twitter und Facebook surfen um den Stuss der Stars zu lesen oder jedes Skandälchen mit einem #hashtag kommentieren müssen. Der Filmbranche, in der Krach-Bumm-Effekte wichtiger sind, als der Inhalt. Den Stars, die sich in eben diesen oben genannten Medien tummeln um Aufmerksamkeit zu erregen. Den Kritikern, die im Grunde schon vor der Premiere ihren Zeitungsartikel geschrieben haben. Das alles macht der Film großartig, lässig aus dem Ärmel.

Mein einziger vermeintlicher Kritikpunkt in Bezug auf dieses Thema ist Deutlichkeit, wie „Birdman" den Zuschauer den Spiegel vor's Gesicht halten möchte. Auf mich wirkte das zunächst ein wenig nach der Holzhammer-Methode. Aber ich denke, dass man für viele Zuschauer es genau so deutlich machen muss, weil sie es sonst nicht verstehen würden.
 

Sam Spade

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Danke Willy! Schön, dass du dich zu Wort gemeldet hast :) Wenn ich mich recht erinnere, hatte Cable auch ein Problem mit dem Ende, was ihm dann die Höchstwertung vermasselt hat. Ich selbst war auch erst nicht sooo richtig begeistert. Hat irgendwie was von Black Swan.

Könnte aber auch nicht sagen, was ich stattdessen gut gefunden hätte. Hab dann nach dem Film auch paar Dinge darüber gelesen und die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten gefallen mir rückblickend doch recht gut. Meine Lieblings-Erklärung: Alles was sich im Krankenhaus abspielt ist nicht real und passiert im Bruchteil einer Sekunde in Thomsons Kopf, bevor er dann schlussendlich wirklich in den Himmel gleitet....:):nice:

Mein einziger vermeintlicher Kritikpunkt in Bezug auf dieses Thema ist Deutlichkeit, wie „Birdman" den Zuschauer den Spiegel vor's Gesicht halten möchte. Auf mich wirkte das zunächst ein wenig nach der Holzhammer-Methode. Aber ich denke, dass man für viele Zuschauer es genau so deutlich machen muss, weil sie es sonst nicht verstehen würden.

Jep, das hatte ich eben zunächst auch nicht so direkt erwartet. Denke aber auch, dass er nur so die (meisten) Leute damit erreicht und es für jeden verständlich ist.
 

tikiwuku

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Habe den Film bei amazon Video (im Kino leider versäumt) mal für 5€ geliehen und danach gleich gekauft, weil er mir eben so gut gefallen hat.

Wusste zunächst nicht was ich von dem Film erwarten soll, aber dieses Kammerspiel hat mich überrascht und ich war so in den Film drin dass ich um mich herum alles vergessen habe.

Das lag natürlich nicht nur an den grandiosen Darstellern, sondern auch an der Geschichte des Films bei der es sich mal nicht um eine Verfilmung eines mittelmäßigen Romans handelt der sich so simpler Sätze und Schriftgröße 16 bedient dass sogar Analphabeten den verzapften Stuss verstehen oder um eine lahme Entschuldigung für Riesenroboter die die Erde zerlegen.

Nein, die Geschichte rund um die Darsteller wie sie versuchen ein schwieriges Stück auf die Bühne zu bringen um gegen Krawumm CGI Overkill Hollywood zu bestehen und die Hauptfigur wie sie versucht an alte Erfolge anzuknüpfen ohne erneut in die Paraderolle zu schlüpfen, ist mal richtig erfrischend im Hollywoodeinerlei.

Während andere Filme stundenlang reden um nichts zu sagen, sind die längeren Dialoge von Birdman ein wahrer Genuss zum zuhören und jeder rausgestrichene Satz, um der Aufmerksamkeitsspanne des Whatsappers willen ;), wäre ein Verbrechen.

Birdman ist großes Theater auf der Leinwand oder im Fernsehen und hier beweisen die grandiosen Darsteller dass Hollywood nicht dauernd CUT ruft falls mal was in die Hose geht.

Just my two cents. :)
 

Cable

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Stimmt, ich konnte mit dem Ende auch nicht so recht warm werden. Das hat irgendwie nicht so recht reingepasst, außer man legt es so aus, dass seine Tochter den gleichen Dachschaden hat. :nice:
 

tikiwuku

Filmvisionaer
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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Oder wieder auf Drogen ist. ;)
 

2moulins

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Sam Spade, tolle Kritik und sehr treffend umschrieben - insbesondere auch die Einleitung kann ich sehr gut nachempfinden :hoch:

Gestern zum ersten Mal - aber sicher nicht zum letzten Mal - gesehen. Fand die Kameraführung wirklich faszinierend. Auch wenn technisch nachgeholfen wurde, um den Eindruck zu vermitteln, dass alles aus einem Guss kam, so sind die Idee und die Umsetzung super gelungen! Und die Schauspieler sind durch die Bank mit viel Laune und Engagement bei der Sache.

Innaritu-Filme fand ich schon immer toll, wobei sich dieser von den früheren Episoden-Filmen unterscheidet.

Vorerst 9/10 - mit Tendenz zur 10.
 
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Willy Wonka

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AW: Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

Innaritu-Filme fand ich schon immer toll, wobei sich dieser von den früheren Episoden-Filmen unterscheidet.

Das stimmt. Auch „The Revenant" unterscheidet sich von seinen früheren Arbeiten. Bei der aktuellen Popularität um Alejandro González Iñárritu finde ich es ein wenig schade, dass seine Episodenfilme aktuell unter den Tisch fallen.
Ist ja geil!!! :lol::lol::lol:
Dabei trifft es ja gar nicht zu. :)

Der Spitzname ist wirklich klasse. :D
 

2moulins

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Sam Spade

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Die wilde 13

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Heute endlich auch in den Genuss dieses Films gekommen. Und der Wort "Genuss" ist wirklich wörtlich zu nehmen. Ich habe jede Sekunde dieses famosen Streifens aufgesogen und jede Menge Spaß dabei gehabt. Schlicht und ergreifend ein Meisterwerk!!

Die KK von Sam kann ich mit jedem Wort unterschreiben und auch dick unterstreichen. Einer der besten Kritiken, die ich hier im Forum je gelesen habe und somit perfekt zum Film passt. :hoch:

Mein einziger vermeintlicher Kritikpunkt in Bezug auf dieses Thema ist Deutlichkeit, wie „Birdman" den Zuschauer den Spiegel vor's Gesicht halten möchte. Auf mich wirkte das zunächst ein wenig nach der Holzhammer-Methode. Aber ich denke, dass man für viele Zuschauer es genau so deutlich machen muss, weil sie es sonst nicht verstehen würden.
Ich befürchte, die meisten werden diesen Holzhammer gar nicht erst wahrnehmen, falls sie mal über diesen Film stolpern sollten. :D
 

Sam Spade

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Freut mich wirklich sehr, dass dich der Film ebenfalls so begeistert hat. Ein wahrlich tolles Werk. Wäre super wenn ich den dieses Jahr nochmal einlegen kann.

Vielen Dank auch für deine Worte bzgl. der KK, die mich sehr gefreut haben (auch wenn ich es selber natürlich etwas anders sehe :) ).
 
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