AW: The Raid
Passt doch eigentlich auch als KK, oder? Sind ja nun auch schon ein paar mehr Zeilen.
Ich war hibbelig und habe meine KK noch zur Kritik ausgebaut:
The Raid
Der lebensmüde Stunt-Wahnsinn, den man in den letzten Jahren in so manch thailändischer Produktion bestaunen konnte, weicht einer reguliert wirkenden Choreografie, und doch wird die Action, reich in Anzahl und Qualität, mit einer maximalen Intensität präsentiert.
Das gelingt „The Raid“ vor allem durch die Konzentration auf die komprimierte Raumsituation. Befleckte, unverputzte Decken und Wände, kahle Wohnungseinrichtungen und niedrige Decken erzeugen ein beengendes Raumgefühl, das die Waffen- und Martial-Arts-Konfrontationen zur architektonischen Herausforderung macht. Die Umgebung tritt aus ihrem Schattendasein als hübscher Hintergrund heraus und wird direkt in die Kämpfe einbezogen. Diese wiederum werden stets mit extrem brutalen Pointen abgeschlossen, die perfekt in die schmuddelige Situation passen: Ob Kopfschüsse in Nahaufnahme oder Messer, die im Oberschenkel angesetzt und dann bis zum Knie gezogen werden, Gareth Evans vierter Film fährt auf klaustrophobisch engem Raum eine ziemlich harte Linie.
Es ist ein Musterbeispiel an Konzentration auf das Wesentliche, mit dem man unvermittelt konfrontiert wird. Das in Stockwerke, Flure und Wohnungen aufgegliederte Innere eines Reihenhauses ist einziger Schauplatz eines Films, bei dem man zunächst gar nicht so recht weiß, wie einem geschieht. Allenfalls in Grundzügen ist das Szenario mit "Stirb Langsam" oder "Hard Boiled" vergleichbar, und wenn man schon so weit geht, muss man sich eingestehen, dass "The Raid" wohl die vielleicht originellste "Stirb Langsam"-Variation überhaupt ist.
In der Erkenntnis, dass ausladende Dialogszenen seinem schlichten Handlungskonstrukt nichts Gewinnträchtiges hinzufügen können, ist Gareth Evans dem zeitgenössischen Action-Mainstream bereits zwei Schritte voraus. Also setzt er seine Charaktere ohne Umschweife der Ausnahmesituation aus. Damit folgt er einerseits der Marschrichtung realismusgetränkter Antikriegsfilmszenarien, andererseits aber auch nicht, denn die Kamera versetzt sich keineswegs in die Lage der Spezialeinheit, die hier in die Hölle geschickt wird. Die Figuren bleiben bis zum Ende unterentwickelt und arm an Identifikationseigenschaften, erheben aber auch nie den Anspruch, dass man sie verstehen muss. Ihre Rätselhaftigkeit ist ihre Stärke, denn ihrer Kampfhaltung, ihren Entscheidungen und daraus resultierenden Bewegungen wohnt man mit dem Blick eines „Godzilla“-Publikums bei: Man feuert sie an wie zwei fremde Spezies und wähnt sich in erster Linie in einem Spektakel. Die nur langsam ins Rollen kommende Verschwörungsgeschichte bleibt Beiwerk im Hintergrund.
Bei ein, zwei Figuren stilisiert sich das Spektakel gar zu einem "Über"-Effekt, durch den eine gewisse Unbezwingbarkeit behauptet wird, wie man sie aus Comicverfilmungen kennt. Ins Comicfach schlittert "The Raid" dennoch nicht, weil er die typischen "Comic Villain"-Eigenarten mit dem Realismus von Männern erdet, die in einer Extremsituation über sich hinauswachsen. Als ein solcher Moment auf die Spitze getrieben wird, gibt es im Kino sogar kurz Szenenapplaus. Dieser resultiert zum Teil auch daraus, dass der „Über-Kämpfer“ nicht etwa ein muskelbepackter Hüne ist, wie man ihn – nicht selten europäischer Abstammung – oft in chinesischen Genreproduktionen als Klischee vorgesetzt bekommt, sondern ein kleiner, unscheinbarer Kerl, der eher einem Phantastik-Film von Stephen Chow („Kung Fu Hustle“) entsprungen zu sein scheint, weil man stets dazu neigt, ihn zu unterschätzen. Er gewinnt sich den Respekt des Publikums, indem er sich mehrfach freiwillig aus einer dominierenden Position löst, um sich auf das Niveau eines fairen (und seinen körperlichen Fähigkeiten entsprechenden) Kampfes zu begeben.
So gesehen ist „The Raid“ auch ein Film, der Schusswaffenduelle bewusst mit Körperakrobatik aufwiegt. Das Verhältnis verschiebt sich während des Films deutlich zugunsten der Martial Arts. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen (insbesondere historischen), die den ästhetischen Verlust durch den Einsatz von Waffengewalt bedauern, gelingt es „The Raid“ in einer Szene tatsächlich, diesen Verlust greifbar zu machen: Hätte der Bösewicht, wie es das Klischee verlangt, in seiner Gier nach Zerstörung sofort von seiner Waffe Gebrauch gemacht, wäre dem Zuschauer ein intensiver Zweikampf und ein Höhepunkt des Films entgangen. Dabei wird nicht einmal bestritten, dass Schusswaffen-Action spätestens seit „Matrix“ ihre ganz eigene Ästhetik besitzen kann; schließlich wird eine der ersten verschossenen Kugeln unter Verwendung von Bullet-Time-Effekten im Flug eingefangen - einschließlich des unschönen und vor allem halb unabsichtlichen Eintreffens im Ziel allerdings, und so bleibt die Kritik an reiner Waffengewalt bestehen.
Für all dies benötigt Evans kaum mehr als ein heruntergekommenes Wohnhaus und ein paar saubere Choreografien. Weder muss er einen Stuntman nur Zentimeter neben den fahrenden Reifen eines tonnenschweren LKWs auf den Boden fallen lassen (vgl. „Born To Fight“, 2004) noch braucht er einen Shane Black, der ihm einen schönen Rahmen mit griffigen Charakteren zimmert. „The Raid“ ist Shooting- und Martial-Arts-Action pur, mitreißender, treibender Rock ohne unnötige Ausschweifungen.
8/10