Drive
Als großer Fan des dänischen Films war es im Vorhinein logisch, dass ich große Erwartungen an Nicolas Winding Refns Gangsterthriller mit Ryan Gosling in der Hauptrolle, den ich so verehre, hatte. Trotzdem wurde ich überrascht. "Drive" ist anders als erwartet, nämlich vor allem extrem vielseitig. Und das macht den Film zu etwas Herausragendem und in dieser Form nie Dagewesenem.
Der Hauptgrund dafür ist schnell auf den Punkt gebracht: Refns Regie ist grandios. Er gibt Großaufnahmen, lässt den Zuschauer in Goslings vielsagendem Blick lesen, bietet immer wieder Stille und Ruhe an, um begreifen und sinnieren zu können, was in den Protagonisten vorgeht. Dann wiederum dreht er auf, zeigt äußerst brutale Morde und zwar nicht furchtbar actionreiche, aber dafür unheimlich stilvoll umgesetzte Verfolgungsjagden im Auto. Überhaupt zieht sich Refns audiovisueller und dabei trotzdem unfassbar gehaltvoller Stil wie ein Markenzeichen durch den gesamten Film. Überragende Musikuntermalungen laden fast zum Träumen ein, dabei sieht man hier doch einen spannenden, dramatischen und durchaus derben Thriller. Und dennoch unterstützt ein grandioser Soundtrack die Gedanken, die man an die Figuren richtet und lässt den Zuschauer über Was-wäre-wenn-Konstellationen und mögliche Weiterentwicklungen der Geschichte nachdenken.
In diesem herrlich stimmigen Universum bewegt sich mit einer epischen Präzision einer der besten Schauspieler unserer Zeit, für mich sogar der beste Darsteller seit Sean Penn. Die Rede ist natürlich von Ryan Gosling. Abermals ist seine Darbietung ein Genuss. Wie schon in Clooneys Meisterwerk "The Ides of March" zieht Gosling die Aufmerksamkeit des Zuschauers vollends auf sich. Mit großen, blauen Augen schaut er als namenloser Fahrer seine Gesprächspartner an und erzählt ihnen damit wesentlich mehr als mit den wenigen, stets bedächtig gewählten Worten. Die Gegenspieler quasseln deutlich mehr und inwiefern das etwas über Stärke und Erfolg aussagt, entschlüsselt der Film ebenfalls ohne Umschweife. Der Fahrer ist eben ein Mann der Tat und er tut hauptsächlich das, was er am besten kann, nämlich fahren. Wenn dies dann in einer derart gekonnten und stets fahrerzentrierten Inszenierung und zu einer so wundervollen Synthiepopmucke geschieht, dann ist das einfach ganz großes Kino.
Auch die Nebendarsteller sind extrem gut. Die wahrlich zuckersüße Carey Mulligan ist als Nachbarin des Fahrers nicht nur eine Naturschönheit, sondern auch ein ganz großes Schauspieltalent. Je mehr Screentime sie hat, desto schöner wird die Welt. Die Mimik von ihr und Gosling, wenn sie sich auf dem Flur begegnen, minutenlang gegenüberstehen und eigentlich nur ansehen, weil sie die Augen nicht voneinander lassen können, ist absolut großartig. Das ist Attraktivität in ihrer reinsten Form.
Dazu kommen Bryan Cranston als Chefmechaniker und Kumpel des Fahrers, Oscar Isaac als aus dem Knast entlassener Ehemann der Nachbarin, Christina Hendricks als Gaunerschlampe, sowie Albert Brooks und Ron Perlman als knallharte Bösewichte. Der Cast ist wirklich perfekt gewählt und ist mit solcher Spielfreude dabei, dass man sich auf zukünftige Filme von Refn nur freuen kann. Er scheint mit den unterschiedlichen Szenarios, den Tempowechseln, den mal mimisch intensiven und mal dialoglastigen Aufeinandertreffen seiner Figuren Höchstleistungen aus den Schauspielern zu kitzeln. Und dies ist neben der Kunst so stilvoll inszenieren zu können ein zweites großartiges Talent, welches nicht jeder Regisseur zu bieten hat.
Dass Ryan Gosling ein Naturtalent ist, wusste man vorher. Er erweitert Stück für Stück sein Repertoire und glänzt nun erstmals als schlagkräftiger, zwielichtiger, aber natürlich nicht zwangsläufig unsympathischer Ganove. Der eigentliche Star dieses Films ist allerdings sein Regisseur. Nicolas Winding Refn hätte für dieses Meisterwerk nicht nur etliche Oscar-Nominierungen (Film, Regie, männliche Hauptrolle, Cinematographie, Musik) einstreichen, sondern wohl auch einige davon gewinnen müssen. Warum ein Film dieser Qualität derart wenig Beachtung bekommt, ist nicht nachvollziehbar. Refn mausert sich so jedenfalls zu einem von Hollywoods großen Regisseuren, ob er nun eine Lobby hat oder auch nicht, denn sein Talent ist offensichtlich und mit "Drive" nun auch auf einem Punkt angekommen, von dem aus es nur noch steil nach oben gehen kann.
10/10