Riff-Piraten
Im Jahre 1939 entstand mit der Verfilmung von „Riff-Piraten" der letzte englische Film von
Alfred Hitchcock. Den Drang nach Hollywood zu gehen hatte Hitchcock schon seit Jahren und warum er nicht eher ging, ist ihm selbst im späteren Interview mit
François Truffaut nicht ganz bewusst. Vermutlich wurde seine Entscheidung im Jahre 1939/1940 dadurch begünstigt, dass die englische Filmindustrie am Boden lag und viele große Filmgesellschaften Konkurs anmeldeten oder ihre Produktionen drastisch zurückschraubten.
In Hitchcocks englischer Tonfilm-Phase entstanden insgesamt 16 Filme, in denen er verschiedenen Themen anging und mit vielen Ideen experimentierte. Im Gegensatz zu seinen frühen Stummfilmen hat er seine sehr deutliche Vorliebe für Thriller und außergewöhnlichen Suspense mehr Ausdruck verliehen und nur einige Filme wollen sich nicht gänzlich in diesem Hitchockschen Paradigma einfügen. Einer dieser Filme ist „Riff-Piraten".
Am Ende des 18. Jahrhunderts senden Strandräuber an den Küsten von Cornwalls falsche Signale, um Kaufmannsschiffe vom Kurs abzubringen und sie an den Riffs zerschellen zu lassen.
Die wenigen Überlebenden der Besatzung werden daraufhin getötet und alle nennenswerten Güter werden geplündert. Als Unterschlupf der Räuber dient eine alte und verfallene Harfen-Taverne, deren Wirt (
Leslie Banks) der vermeintliche Anführer der Bande ist. Eines Tages wird seine Frau von ihrer Nichte (
Maureen O'Hara) aufgesucht, welche nach und nach hinter dem Komplott über diese schrecklichen Überfällen kommt und daraufhin mithilfe eines verdeckten Ermittlers und dem Friedensrichter (
Charles Laughton) die Räuber überführen will.
Nach „Waltzes from Vienna“ handelt es sich erst um den zweiten Kostümfilm von Alfred Hitchcock, der in einer längst vergangenen Vergangenheit spielt. Das Genre des Films lässt sich nicht eindeutig festlegen, denn sowohl typische Abenteuerelemente als auch melodramatische Ansätze sind nicht von der Hand zu weisen und diese gehen Hand in Hand mit dem eigenwilligen englischen Humor. Da Hitchcock seine Schauspieler einzig als eine Art Material verwendete, gab es deutliche Differenzen zwischen ihm und dem Hauptdarsteller und Produzenten
Charles Laughton, welcher nach dem Filmkritiker Howard Barnes nur eine Selbstdarstellung lieferte und dazu keine gute dazu. Laugthon galt als ein Perfektionist und wollte jeden Schritt und jede Bewegung perfekt vollziehen und genau das widersprach den Ansätzen von Alfred Hitchcock, welcher vor allem mit Schauspielern arbeitete, welche nur seinen Anweisungen gehorchen sollten.
Auch zu dem deutschen Produzenten des Films
Erich Pommer („
Der blaue Engel“) hat Hitchcock sich nur reversiert geäußert, was auch keine gute Zusammenarbeit deuten lässt. Somit stand die Produktion des Films unter keinem guten Stern und Hitchcock hat offen zur Tage gelegt, dass der Film vollkommen absurd sei, weil die Handlung des Films seiner Meinung nach ein typischer Vertretet des „Whodunit“ sei, aber mit dem Unterschied, dass das Rätsel nicht am Ende des Films gelüftet wird, sondern schon zu Beginn des Films ersichtlich ist.
So wurde auch der Film bei seiner Veröffentlichung von den Kritikern verschmäht, wurde aber an den Kinokassen ein Erfolg. Wenn man nach über 70 Jahren diesen Film zum ersten Mal sieht, nimmt man eine divergente Rezeptionshaltung ein und genau die Kritikpunkte von Hitchcock gegenüber seinen eigenen Filme sind für mich positive Aspekte, da sie selbst heute noch unkonventionell und anders sind. Hätte man das Geheimnis am Ende des Films gelüftet, hätte viele Zuschauer sowieso schon das Ende vorher in Erfahrung gebracht und wären vermutlich sogar enttäuscht, weil jeder mit so einem Ende gerechnet hätte. Dadurch, dass kein Mysterium aufgebaut worden ist, kann der Zuschauer in dieser Hinsicht gar nicht mehr enttäuscht werden, denn der Fokus des Films liegt auf den Widerstand der Nichte und dem verdeckten Ermittler, deren gemeinsame Dialoge schon beinahe an die amerikanischen Screwball-Komödien erinnern, und dem überzogenen Spiel von Charles Laughton als Friedensrichter.
Übrigens ging die damals achtzehnjährige Maureen O'Hara nach diesem Film mit ihrem Förderer Charles Laughton nach Amerika, wo sie zusammen in dem Filmklassiker „Der Glöckner von Notre Dame) mitwirkten. So nahmen nach „Riff-Piraten“ gleich zwei amerikanische Karrieren ihren Lauf und zwar von Maureen O'Hara und Alfred Hitchcock.
Alles in allem ist „Riff-Piraten“ ein unterhaltsamer Film, welche aus visueller Sicht durch gut beleuchtete Schwarzweiß-Bilder und eine stimmungsvolle dunkle Atmosphäre bestechen kann und mit einem spielfreudigem Ensemble aufwartet. Von den späteren Meisterwerken des Master of Suspense ist der Film noch weit entfernt, aber die englischen Frühwerke können zum großen Teil als eine Experimentierphase angesehen werden, welche zum Großteil gute und solide Filme hervorbrachten, einige schlechte Filme und meines Erachtens ein Meisterwerk („The Lodger“).