AW: Der Höllentrip
Der Höllentrip
Ende der 1960er Jahre beginnt der brillante Wissenschaftler Jessup (William Hurt), mit Isolationstanks zu experimentieren, in deren Innern er im Selbstversuch heftige, meist zutiefst religiös geprägte Visionen erfährt. Als er heiratet und eine Familie gründet, verliert er diese Forschungen aus den Augen. Erst Jahre später reist er nach Mexiko und nimmt bei einem Eingeborenenstamm eine Droge, unter deren Einwirkungen er stark halluziniert. Er reist in die USA zurück, treibt einen neuen Isolationstank auf und kombiniert nun diesen mit der Droge. Die Folgen sind enorm.
Visuell überwältigend setzte Ausnahmeregisseur Ken Russell 1980 diesen, im wahrsten Sinne, filmischen Höllentrip um, der neben einer intelligenten Handlung vor allem durch grandiose Darsteller und psychedelische Effekte zu gefallen weiß. Die wirken zwar nach über 30 Jahren hier und da erwartungsgemäß leicht angestaubt, haben sich jedoch ihren faszinierenden Reiz über all diese Zeit bemerkenswert gut erhalten können. Jessups Trips in sein eigenes Bewusstsein, zunächst noch mit christlichen Symbolen komplett überfrachtet, die jedoch ursächlich tatsächlich in diesem Charakter selbst liegen, löst sich Ken Russell bald von jenem doch eher begrenzten Bedeutungsspektrum, das mit Kreuzen, dem Teufel und der Schlange schon komplett ausgereizt ist, um sich nunmehr in nicht mehr rational zu erklärenden Farben- und Formenspielen auszutoben, in denen primär vor allem biologische Muster zu erkennen, aber nicht zu erklären sind.
Gemeinsam mit Jessup steigt der Zuschauer in dessen Seele hinab, zurück zum Ursprung der Menschheit, in deren früheste Form, um schließlich selbst diese Grenze zu überschreiten und zum Anfang des Lebens selbst vorzustoßen, in dem es keine greifbaren Formen mehr gibt, sondern nur noch Farben und Töne. Und was für Töne! Komponist John Corigliano (übrigens für diese Arbeit oscarnominiert; es gewann „Fame“…
) begleitet Russells intensiven Bilderrausch mit nicht minder beeindruckenden Klangattacken, die nur selten echte Melodien zulassen. Äußerst experimentierfreudig reizt Corigliano aus, was es auszureizen gibt: Synthie, Orchester, krächzende Rasseln. Was zunächst anstrengend anmutet, fügt sich mit den Bildern (die teilweise als nicht minder anstrengend angesehen werden könnten) zu einer perfekten Symbiose zusammen, hinter der die tollen Darsteller fast nur noch Nebensache sind.
Die Betonung liegt auf „fast“, denn im Gegensatz zu manch anderem filmischen Effektoverkill, räumt Ken Russell auch seinen Charakteren viel Raum ein, allen voran William Hurt, der sein Leinwanddebüt gibt, und seiner Filmehefrau Blair Brown, die nicht minder zu beeindruckenden weiß. Da die Chemie zwischen ihr und Hurt wirklich stimmig ist, sind ihre charakterlichen Entwicklungen, der Beginn ihrer Beziehung, das Auseinanderdriften der beiden Über-Egos und schließlich die wiedergeborene Zusammenkunft im Finale absolut schlüssig und überzeugend. Ebenso weiß Bob Balaban zu gefallen, der Ende der 1970er und bis Mitte der 80er offenbar auf den Typus des netten, unauffälligen Wissenschaftlers („Unheimliche Begegnung der Dritten Art“, „2010“) festgelegt war. Und auch John Larroquette und der senile Chef der „Police Academy“ dürfen durchs Bild huschen.
„Der Höllentrip“ ist sicher kein einfacher Film. Er bietet viel für’s Auge (und Ohr), verlangt aber auch geistige Aufmerksamkeit vom Zuschauer. Heutzutage keine Selbstverständlichkeit, und so dürfte der eine oder andere Erstseher vom Bilderrausch vielleicht etwas überfordert sein. Aber wer sich darauf einlässt, bekommt einen kleinen, feinen, sehr beeindruckenden und zutiefst faszinierenden Film zu sehen, der auf vielen Ebenen funktioniert und zum Wiederansehen einlädt.
Ach ja: im Videoclip „Take on me“ von A-ha wurde Jessups finale Rückverwandlung übrigens komplett übernommen, als der Zeichentricksänger zum Menschen wird und jeden seiner Schritte zu dieser Menschwerdung mit einem Schlag gegen die Wand begleitet. Aber das wusstet ihr sicher.