Rachels Hochzeit
Schauspielerisch ist der Film bärenstark und gerade Anne Hathaway ist als Kym sowas von zurecht für den Oscar nominiert worden. Einfach zu schade, dass sie ihn nicht gewonnen hat. Diese Leistung ist grandios. In ihren großen, dunklen Augen möchte man versinken. Man beginnt zunehmend aus ihrem Blick zu lesen und fragt sich, was alles vorgefallen sein muss. Und Stück für Stück lädt uns Regisseur Jonathan Demme dazu ein, der Vergangenheit auf den Grund zu gehen und in der Gegenwart nach der Wahrheit zu forschen.
In dieser Geschichte über verschüttete Gefühle und verdrängte Aussprachen geht es längst nicht nur um die Hochzeit von Kyms großer Schwester Rachel. Nein, eigentlich ist der Filmtitel sogar nur Teil der immer wieder thematisierten und hier und da schamlos entblößten Fassade dieser vermeintlichen Familienidylle. Der Anlass ist Rachels Hochzeit, aber das Thema ist ein anderes. Die Szenen, in denen Kym bewusst oder unbewusst diese Fassade aufkratzt, sind emotional gesehen ein Orkan. Durch die authentische Atmosphäre, die Demme mit dynamischen Kamerafahrten und jederzeit nachvollziehbaren Beobachterblickwinkeln meisterhaft kreiert, sieht man sich immer wieder mit herausplatzenden Gefühlen konfrontiert, die man förmlich mit durchlebt, weil man in dieses Familiendrama von Beginn an ganz tief eintaucht. Besonders die Wohnzimmerszene nach dem schwesterlichen Friseurbesuch ist dahingehend herausragend und stellt ganz großes Emotionskino dar.
Was mich aber stört, sind die immer wieder mal eingestreuten Kurzszenen. Sie sind ganz offensichtlich dem Homevideo-Stil geschuldet, da es so wirkt, als hätte jemand die Kamera kurz ein- und dann schnell wieder ausgeschaltet. Natürlich verleihen sie dem generell ruhigen Geschehen eine gewisse Dynamik und variieren das Tempo, allerdings wirken sie stellenweise etwas überflüssig und stören dadurch geringfügig im Gesamtbild. Für mich erwecken sie den Anschein eines stilistischen Mittels, welches nur des Stils wegen genutzt wurde und nicht etwa, weil sie etwas transportieren oder erzählen wollen.
Auch muss ich die Musik kritisieren. Gar nicht mal so sehr die meistens klassischen und exotischen Klänge, denn die gehen eigentlich in Ordnung und sind letztlich sowieso Geschmackssache. Aber die Menge an Dudeleien, Klampfereien und Trommeleien ging mir besonders gegen Ende des Films etwas auf die Eier. Gerade am Hochzeitsabend, wenn alle feiern und tanzen, lässt Demme den Zuschauer mit gefühlten zehn Minuten Tanzmusik und der dazugehörigen Szenerie alleine. Mir ging in dieser Zeit etwas der dramatische Faden verloren. Manchmal sieht man Protagonistin Kym zwar, wie sie beispielsweise das Partyzelt verlässt, bekommt aber dann keine Außenszene serviert, um sehen zu können, was sie draußen macht oder wie es ihr geht. Vielleicht soll man sich in diesen musikalischen Untermalungen tatsächlich verlieren, allerdings erscheint mir diese Intention vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ereignisse dann doch etwas zu versöhnlich.
Generell muss man sich aber schon recht viel dazu- und manches weiterdenken, was aber auch einen wunderbar intensiven Nachgeschmack hinterlässt. Dieser Film wirkt nach und braucht seinen gedanklichen Raum, um verarbeitet zu werden. Denn es ist diese realistische Familienatmosphäre mit all ihren charakterlichen Makeln und menschlichen Dramen, die in den Bann zieht und trotz einiger weniger Längen fesselt. Dieses Hochzeitswochenende wirkt wie ein Ausschnitt aus einem hochinteressanten Mikrokosmos einer zerklüfteten Familie, in welcher jeder seine eigenen Wege gehen will. Und auch wenn uns Demme nur einen kurzen Einblick in dieses vielschichtige Familienkonstrukt gewährt, so ist dieser in jedem Falle erlebenswert.
7/10