Mulholland Drive
Viele Menschen denken, das diejenigen denen "Mulholland Drive" gefällt, das nur behaupten um intelligenter dazustehen als sie selbst. Die Theorie wird gerne untermauert, indem man dem Film eine komplette Zusammenhangslosigkeit unterstellt und man glaubt, das die Verehrer des Films viel zu viel rein interpretieren.
Ich denke mal das der Film nichts mit Intelligenz zu tun hat. Er ist für eine ganz bestimmte Zielgruppe gedacht, die sich eher auf emotionaler Basis mit dem Film auseinandersetzt. Das ist wie in der Musik, wenn ein Künstler seinen Fans ein neues Album präsentiert. Er transportiert eigene Emotionen die seine Hörer in sich aufnehmen und verarbeiten. Liebhaber von anderen Musikstilen können dagegen überhaupt nichts mit der Platte anfangen, da sie emotional völlig anders gepolt sind. Sie reagieren eben widerum auf andere Eindrücke. Wieder andere möchten gar nichts durch Musik empfinden und sich lieber berieseln lassen.
David Lynch hat seine eigene Zielgruppe und dieser einen Leckerbissen serviert. Ohne Kompromisse und ohne das Ziel möglichst viele Außenstehende hinzuzugewinnen. Trotzdem haben sich genügend eingefunden, da sie seine gesendeten Signale empfangen konnten. Die Anderen haben ihren Empfänger eben einfach auf einer anderen Bandbreite.
Natürlich wird man aber trotzdem ohne ausreichender Konzentration und den Blick für unscheinbare Dinge, an "Mulholland Drive" scheitern. Um ihn nebenbei zu schauen ist er viel zu verschachtelt. Wenn man aber den Einstieg gefunden hat, erhält man eine künstlerische Offenbarung. Wenn man auf das Musikbeispiel zurückkommt, ist es wie bei einer guten Platte. Mit mehrmaligem Durchhören wächst das Verständnis für das Gehörte. Beim ersten Durchgang ist noch alles etwas ungewohnt, aber bei jedem Durchlauf wächst das Verständnis.
Wenn man trotz geringem Verständnis für das Gesehene emotional berührt war, hat man die erste Tür gefunden. Der Einstieg in die Handlung kann schon kurz danach, oder beim nächsten Durchgang erfolgen. Ganz entschlüsseln wird man ihn aber wohl nie.
Das hier aber wesentlich mehr als nur eine Aneinanderreihung von Szenen vorliegt, erkennt man an der Detailverliebtheit. Beispielsweise bekommt Rita ihren Namen durch ein Filmplakat des Film-Noir Klassikers "Gilda". Die Hauptrolle spielt Rita Hayworth, die im Alter übrigens an Alzheimer erkrankte. Natürlich kann man jetzt auch da einen Zusammenhang zum Gedächtnisverlust der Hauptdarstellerin herstellen. Zumindest ist das Plakat nicht zufällig gewählt, da David Lynch sehr viele Bezüge zum Film Noir aufweist. Zusätzlich sehen sich die beiden Ritas auch noch sehr ähnlich und es ist gar nicht so verkehrt wenn man den Film schonmal gesehen hat.
Als nächster Punkt wäre die Kritik an den Mechanismen in Hollywood anzumerken. David Lynch sah die Traumfabrik immer äußerst kritisch und nicht selten gab es unterschwellige, aber auch gut sichtbare Kritik. Ich bin völlig davon überzeugt das der Name des Films nicht einfach nur einen Straßenzug oberhalb von Hollywood beschreibt. Es ist eine Hommage. Eine Verbeugung vor Billy Wilders Meisterwerk "
Sunset Boulevard". Der Film beinhaltete schon 1950 eine unglaubliche Kritik an den Machenschaften der so sauber anmutenden Scheinfassade der Studiogiganten. Eine Kritik die Lynch in "Mulholland Drive" ebenfalls deutlich hervorhob. Nicht umsonst ist neben dem Straßenschild vom Mulholland Drive kurz darauf das Straßenschild vom Sunset Boulevard im Hauptblickfeld der Kamera. Ich denke Mal das es in dieser Form viele Dinge gibt, die im Film zu finden sind. Da man allerdings nicht alle Filme bzw. Bücher gelesen hat die der Regisseur kennt, wird man vielleicht immer wieder Mal eine Metapher mehr im Lauf der Zeit entdecken.
Was aber die meisten am Film verwirrt sind die drei verschiedenen Ebenen. Oder sind es mehr? Es gibt eine Vergangenheit die real ist, eine reale Gegenwart und eine Traumwelt. Allerdings gibt es innerhalb der Traumwelt genügend Rückschlüsse die man in Verbindung mit den anderen beiden Ebenen sehen muß, da hier die Grundlagen des Traumes gebildet wurden. Hier kommen natürlich die Interpretationsspezialisten zum Zug. Viele Deutungen sind möglich und eventuell ist keine richtig. Wenn man aber den Eingang in die Chronologie findet, ist der Plot plötzlich gar nicht mehr so schwer zu verstehen.
Das was aber die Genialität des Filmes am meisten ausmacht ist gar nicht mal so sehr die Handlung, sondern vielmehr die geschaffene Atmosphäre. Selten hat mich ein Film so dermaßen in den Sitz gedrückt. Bei meiner Erstsichtung gab ich irgendwann einfach auf, der Handlung zu folgen, da mich vermehrtes Nachdenken nur um meine eigene emotionale Achterbahnfahrt gebracht hätte. Ich wollte ihn gar nicht verstehen, ich wollte ihm erliegen.
In den nächsten Tagen hatte ich nichts anderes mehr im Kopf als diesen Film und begann ihn dabei aus meiner Erinnerung heraus aufzuschlüsseln. Er ließ mich nicht mehr los, die Szene im "Club Silencio" begann mich innerlich aufzufressen.
Nach den ersten erstellten Theorien kam die zweite Sichtung und das Bild wurde klarer. Bei jeder Sichtung etwas mehr, ohne das ich meinen Gefühlszustand während dem Filmgenuss ändern mußte.
Ganz entschlüsseln werde ich ihn aber wahrscheinlich nie können, das wird nur David Lynch selbst vorbehalten sein. Muß ich aber auch gar nicht. Der Film soll für mich seinen unantastbaren Charakter beibehalten. Die brillante Musik von seinem Haus und Hof Komponisten Angelo Badalamenti, das fantastische Spiel der beiden Hauptdarstellerinnen, die zum Teil grothesken Szenen und die kaum greifbare Surrealität die über allem schwebt, ergeben für mich als Ganzes eins der größten Meisterwerke der Filmgeschichte.