Berberian Sound Studio
Filme im Film, in denen ein Bezug auf die Prozedur der Filmentstehung genommen wird, haben eine lange Tradition. Schon Cooper und Schoedsack ließen 1933 ein Filmteam – und nicht etwa einen Helden vom Schlage Douglas Fairbanks Sen. - ihr Abenteuer um „King Kong und die weiße Frau“ erleben und machten den Dreh auf der Leinwand selbst sichtbar, wenngleich dieses Team zum fiktionalen Rahmen der Handlung gehörte; möchte man noch weiter gehen, kann man sogar die ersten Filmaufnahmen überhaupt anführen, in denen zur Dokumentation der einsetzenden Industriellen Revolution Eisenbahnen gefilmt wurden – gewissermaßen ging es schon in diesen Aufnahmen um das Drehen selbst, weniger darum, was gedreht wurde.
Eine neue Ebene erreichte der Film-im-Film nach Abebben des italienischen Neorealismus, als sich beispielsweise Frederico Fellini mit „Achteinhalb“ (1963) einem an die Nouvelle Vague erinnernden Surrealismus zuwandte. Fortan war das unvermittelte, direkt erfahrbare Geschehen hinter der Kamera der konstruierten Fiktion vor der Kamera gleichgestellt und verschmolz mit ihr direkt auf der Leinwand, so dass nicht mehr zwischen einem erfundenen Charakter und dem Menschen aus Fleisch und Blut auf dem Regisseursstuhl zu unterscheiden war.
Die postmodernen Neunziger begnügten sich in Genrebeiträgen wie „Scream“ wieder damit, jede Art von Selbstreferentialität in den fiktiven Kontext einzubetten; Der Film offenbarte also seine Funktionsweise nicht mehr länger durch irreführende Hinter-den-Kulissen-Auszüge, sondern durch das metaphysische Spiel mit den Filmregeln, die sich irgendwann über Klischees gebildet hatten. Doch dafür interessiert sich Peter Strickland in seinem zweiten Film nach „Katalin Varga“ schon nicht mehr – dass „Berberian Sound Studio“ im Italien der Siebziger angesiedelt ist und einen Film zum Gegenstand hat, der von Foley Artist / Geräuschemacher und Hauptfigur Gilderoy schlicht als „Horrorfilm“ eingestuft wird – sehr zum Missfallen des Regisseurs – verortet ihn in die große Zeit des Giallo. Ein Blick auf das an Argentos „Vier Fliegen auf grauem Samt“ anspielende Coverartwork untermauert diesen Eindruck.
Mit sichtbarem Vergnügen lässt Strickland seinen eigenen Film hinter der Produktion des Film-im-Films, genannt „The Equestrian Vortex“, unsichtbar werden. Wie sich bald herausstellt, verfügt „Berberian Sound Studio“ nicht einmal über einen eigenen Vorspann; stattdessen wird der Vorspann von „The Equestrian Vortex“ eingespielt, mit Namen von Darstellern, die es eigentlich gar nicht gibt, und ohne jegliche Sichtbarwerdung des Mediums – man könnte meinen, der Vorspann gehöre zu dem Film, den man sich gerade ansieht, und doch gehört er nur zu dem Film, der innerhalb des Films gerade gedreht wird.
Noch größere Irritationen folgen, als deutlich wird, dass „Berberian Sound Studio“ über keinerlei eigenen Soundtrack verfügt. Zwar funktioniert er gemäß seiner Prämisse vorwiegend über seine intensive und verstörende Soundkulisse, diese aber ergibt sich ausschließlich durch die Geräusche, die Gilderoy abgestimmt auf die Filmrolle produziert. Was Strickland nun bewirkt, ist eine permanente, fast schon zuverlässig auftretende Verunsicherung des Zuschauers – wie schon beim Vorspann macht er auch beim Einsetzen der Soundkulisse zunächst nicht bemerkbar, dass die anschwellenden Chöre und das Geifern und Kreischen von Goblins, Hexen und gemarterten Jungfrauen nur inszeniert ist. Mit Vorliebe steigert er die Intensität im fieberhaften Ausmaß, nur um sie gerade auf dem Höhepunkt zu brechen und dadurch zu banalisieren, dass er die Technik offenbart – ein Schnitt nur vom stets verstört wirkenden Gesicht des Foley Artists auf seine Gerätschaften, und schon kann man sicher sein, was die Quelle der unangenehmen Kulisse ist. Das Sounddesign wird bis auf die Knochen freigelegt und der Zuschauer fühlt sich manipuliert, denn er ist letztlich nur auf einen Trick hereingefallen und bekommt diesen auch noch vor die Nase gesetzt.
Doch nicht nur das neckische Spiel mit der Filmtheorie dient Strickland zur Entmystifizierung des Films (seines eigenen und im Allgemeinen), auch die Zeichnung der Charaktere trägt dazu bei: Gilderoy ist als Identifikationsfigur ein eingeschüchterter, ängstlicher Mann, der in einem fremden Land an einem Projekt mitwirken muss, das nicht zu seinen gewohnten Aufgaben gehört, und die Italiener entsprechen in vielen Dingen dem, was man ihnen nachsagt: Sie können freundlich sein, aber auch sehr aufbrausend, und wenn man etwas von ihnen haben will, muss man sie anbrüllen und wild gestikulieren, sonst wird man von ihnen ausgenutzt. Entgegen der Aussage des Regisseurs, dass „The Equestrian Vortex“ ein ganz besonderer Film werden würde, macht permanenter Zeitdruck und ein unschönes Arbeitsklima aus der vermeintlichen Stätte der Magie eine Fließbandfabrik, in der Melonen zermalmt, Kohlköpfe aufgeschlitzt und Salate ersäuft werden müssen, um die Malträtierung von Körpern akustisch zu imitieren. Toby Jones spielt seine Rolle dabei sehr intensiv und doch bloß als Entsprechung seines Äußeren: Gilderoy ist ein kleiner Mann mit großen Augen, der auf Komplimente vorsichtig und auf Einschüchterungen empfänglich reagiert, so dass er im Laufe der Zeit immer kleiner wird und sein einziger kläglicher Ausbruch aus der Spirale nur deswegen geschieht, weil er das Gefühl hat, es muss geschehen; nicht etwa, weil er selbst davon überzeugt ist.
Es ist gerade die unangenehme Studioatmosphäre, die Strickland wiederum dazu nutzt, die Doppelbödigkeit von Gilderoys Geräuschexperimenten auf das Geschehen vor Ort zu übertragen. Weil sich Gilderoy in seinem Schaffen so unwohl fühlt, überträgt man die depressiv wirkenden Geräusche auf seine Situation. Interessanterweise erhascht man – abgesehen vom Vorspann – niemals einen Blick auf den Film-im-Film (John Carpenter hätte hier für seinen „Masters Of Horror“-Beitrag „Cigarette Burns“ in Sachen Selbstdisziplin noch etwas lernen können); im Umkehrschluss jedoch wird das Aufnahmestudio fast unmerklich in den Sog von „The Equestrian Vortex“ gezogen. Das Studio, ein sepiafarbenes Loch der Düsternis voller leerer Winkel, erinnert auf Anhieb an das asymmetrisch konstruierte und schwach beleuchtete Apartment, das Bill Pullman und Patricia Arquette in David Lynchs „Lost Highway“ bewohnten; auch „Mulholland Drive“ schwebt in der Atmosphäre.
Erst spät jedoch – zu spät vielleicht, und hier macht sich leider bemerkbar, dass „Berberian Sound Studio“ ursprünglich einem Kurzfilm zugrunde liegt - greift die Fiktion tatsächlich in die vermeintliche Realität ein und hat ein absurdes Szenario zur Folge, irgendwo zwischen Kafka und wiederum Lynch, das ein letztes Mal in einem absoluten Antiklimax aufgelöst wird, der endgültig die Filmtheorie greif- und erfahrbar macht. Denn es werden Bilder gezeigt, die nicht anders erklärbar sind als dadurch, dass es sich um manipulierbare Bildabfolgen handelt, die jederzeit nach Wunsch manipuliert werden und dadurch vom einen auf den anderen Moment schlichtweg alles Vorstellbare zeigen können. Und damit hat Strickland spätestens alle Mängel in der B-Note beiseite geschoben, denn ihm gelingt die vollständige Entkleidung der Funktionsweisen des Kinos.
8/10