AW: Hexenkessel
Nie da gewesene Kameraeinstellungen und ein toller Soundtrack ließen schon damals mehr als erahnen, zu was der Mann noch im Stande sein würde.
Jep. Der wird oft so anerkannt wie eine Art Schulprojekt, in dem man das Talent sieht.
Allerdings ist es der Scorsese, der mir mittlerweile am meisten bedeutet (Scorsese persönlich übrigens auch). Es ist etwas schwierig zu erklären, was an diesem ziemlich richtungslos wirkenden Film so großartig ist. Beim ersten Sehen konnte ich mich auch irgendwie gar nicht so richtig mit dem identifizieren.
Aus Gründen, die den Regisseur betrafen, habe ich ihn aber öfter geschaut und die Magie dieses kleinen Juwels kam irgendwann ganz alleine zum Vorschein.
Es ist zuallererst dieser Mikrokosmos in Little Italy, der von Scorsese einerseits total konkret und echt inszeniert und gefilmt wird, so, dass man ihn riechen kann, andererseits aber durch Scorseses nur bedingt "realistische" Inszenierungsweise zu einem kleinen Ort wird, in dem sich die ganze Welt und sein eigenes Leben irgendwie auch drin befindet. Genau so wie die Charaktere: Sie sind einerseits konkrete, echte Charaktere und andererseits aber auch ziemlich allgemeine Charaktertypen. Was dann daraus wird, ist so etwas wie eine Alltagsbeobachtung von Kleinkriminellen, die ganz sichtlich jemand gedreht hat, der ein Filmfreak ist und es nicht auf die Dokumentation sondern auf den Genrefilm abgesehen hat. In "Mean Streets" kommt alles vor, was es seit "Little Ceasar" von 1931 bereits im Gangstergenre gibt: Wo aber in "Little Ceasar" die Erzählung total geschlossen ist und von daher stocksteif und veraltet wirkt, wirkt es hier offen, lebensnah, echt.
Der Film handelt im Grunde von verschiedenen Welten und ihren Kontrasten: Die Welt der Nachtclubs und Stripperinnen und die der Kirchen und Priester, die Welt im Privaten Zuhause und die Welt draußen auf der Straße, die Welt amerikanischer Pop- und Rockkultur und die der italienischen Oper, die Welt der Italoamerikaner und der der Schwarzen oder Juden, die Welt als Kleinkrimineller und die als Großkrimineller, die Welt der Freundschaft und die der Liebe, die (wie Keitel und Scorsese selber sagen) spirituelle Welt (der Sünde) und die körperliche, die Welt des Films und die reale Welt etc.
Das Ganze ergibt eines der lebensechtesten Filme über das Erwachsenwerden, über die Jugend, über die Freundschaft überhaupt. In der Oberstufe, als ich immer am Wochenende auf irgendner Party war und man (etwas arg bedeutungsschwanger ausgedrückt) sozusagen das gemeinsame Erwachsenwerden zelebriert hat und ich mir nicht über viele Dinge Sorgen gemacht hab, war dieser Film eine Art persönlicher Begleiter, ich hab mich sehr darin wiedergefunden obwohl ich keinem Charakter konkret glich und nicht in Little Italy wohnte. An einem Sonntag mit nem Kater konnte ich immer aufs neue in diesen Mikrokosmos eintauchen und über allerlei Sachen sinnieren. Er bedeutet mir immer noch ne ganze Menge.
btw: hier ist Synchronisation übrigens keine Option.