AW: Slumdog Millionär
Ich kann es mir so vorstellen, dass Boyle mit dem Film primär ein kleines modernes (Liebes-)Märchen erzählen wollte und dieses zum Teil in einem Stil eines klassischen Bollywoodfilms. Während des Films hat er dem Zuschauer dann die harte und bittere Realität in Indien kurz „angedeutet", denn um es einmal metaphorisch auszurücken, braucht jedes Märchen auch die böse Hexe oder Zwillingsschwester. Dieses Symbol des Bösen hat Boyle dann aus der Realität Indiens genommen und es im Kontrast zum märchenhaften Ende gesetzt. Das kollidieren zwischen Realität (das Leben in Indien) und Fiktion (Schicksal von Jamal) bestimmt den Inhalt des Films, wobei die meisten Menschen vielleicht wirklich nur kurz über die schreckliche Realität schockiert sind.
Ich sehe das sehr ähnlich und kann alles was du sagst absolut nachvollziehen. Das einzige Problem bin ich dabei selbst. Ich persönlich fand die Mischung abstoßend. Das grausame, realitätsnahe Schicksal von Kindern zu zeigen, um eine "böse Hexe" zu haben, damit mein "Superultrahappyend" funktioniert.
Doch ich glaube auch nicht, dass es Boyle Intention war, dass er mithilfe des Films das Leben in Indien verbessern will bzw. die Menschen dazu zu bringen, dass sie sich für die schreckliche Realität in Indien einsetzten.
Das heißt für mich, das er als Mittel zum Zweck die Realität "ausgenutzt" hat, um sein Märchen besser an den Konsumenten zu bekommen. Vielleicht nicht bewußt, aber wie schon erwähnt fand ich die Mischung eben abstoßend.
Das ist für mich hauptsächlich die Aufgabe von Dokumentationen.
Die schaut sich ja kein Mensch an
Man will ja schließlich unterhalten werden und nicht auch noch nachdenken. Auch etwas was ich halt nicht so gut fand. Zu Beginn wird es den ein oder anderen gegeben haben, aber dann wurde das Schicksal der Kinder zunehmend verwässert um ein Good-feel Movie zu bekommen.
Die Realität was der Konsument sehen will drückt diese Rezension bei Amazon ganz gut aus:
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Nach den Ankündigungen hatte ich einen vielleicht etwas seichten aber unterhaltsamen, etwas sozialkritischen Film mit einem Hauch von Bollywood erwartet. Zum Teil trifft das zu, aber zum Teil war ich geschockt. Elektroschockfolter, Kinder denen das Augenlicht ausgestochen wird, ein am lebendigen Leib brennender Mensch,usw... das sah alles ziemlich realistisch aus, fast wie eine Dokumentation...ich habe mich dabei nicht mehr unterhalten gefühlt sondern habe mit meinem Würgereiz gekämpft. Mir ist das zu roh. Und so richtig konnte ich mich über das Happy End auch nicht mehr freuen. Ich habe das Gefühl, dass wir so verroht sind wie die Römer in der Arena, wie die Schaulustigen bei Hexenverbrennungen.
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"Ich habe mich dabei nicht mehr unterhalten gefühlt" Das ist leider die Realität innerhalb der Konsumgesellschaft.
Danny Boyle benutzt also die harte Realität Indiens, um einen Gegenpol für seine fantasievolle Geschichte zu bekommen. Ich kann deine Meinung schon sehr gut nachvollziehen - und erst jetzt denke ich darüber intensiv nach. Ein bisschen pervers ist diese Vorstellung schon, aber richtig vorwerfen kann ich es ihm nicht, denn er war gewiss keine Böse Absicht versteckt und positive Nebenwirkungen hat der Film auf jeden Fall, denn das Thema „Indien" ist wieder ein bisschen mehr in den Medien vertreten und hätte Boyle eine zutiefst schlechte und depressive Geschichte erzählt, hätte der Film nie diesen Erfolg bekommen. Denn erst dies Gegensätzlichkeit zwischen Fiktion und Realität und diese perfekte Inszenierung des Films machen den Film meines Erachtens als „Film“ einfach gut.
Vorwerfen mag ich ihm das schon. Danny Boyle beginnt oftmals fantastisch, verliert sich dann in seiner Geschichte und bringt das Ende nicht mehr vernünftig hin. Es gibt einige Filme von ihm, bei denen ich die erste Hälfte wesentlich besser fand, als die zweite. Natürlich ist es gut das das nicht denkende Publikum auf diesem Weg etwas über Misstände in der Welt erfährt, aber ich glaube nicht das es sich wirklich dafür interessieren läßt. Wenn er eine depressive Geschichte erzählt, wäre der Film natürlich nicht so erfolgreich geworden. Da gebe ich dir völlig Recht. Aber auch das ist ein Punkt bei dem ich überlege einen "Vorwurf" anzubringen. Wieviel ist er in dem Film selbst und wieviel ist reines Marketing? Klischeeüberladene Rührstücke funktionieren nunmal in Amerika, sofern sie ein Happyend besitzen und man danach klatschen kann. Aber zu welchem Preis?