AW: Public Enemies
Public Enemies
Viele Kritiker und Kinogaenger wissen nicht so recht was sie zu diesem Film sagen sollen: Wir werden mit der Frage zurueckgelassen, wer John Dillinger *wirklich* war? Nun, die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz so einfach und offensichtlich: Der Film ist nicht ueber John Dillinger, sondern ueber die Ikone John Dillinger's und wie wir auf diese reagieren. Es geht darum wie die Leute aus den 30ern darauf reagieren, wie Billie Frechette, John Dillinger selbst und wie WIR als Nation darauf reagieren. Der Kern des Film ist eine starke Love Story und Michael Mann hat diese mit Bravour umgesetzt. Public Enemies ist ohne Zweifel ein Stueck Kunst, wird aber mit Sicherheit von der breiten Masse unterschaetzt.
Wer sind die wahren "Public Enemies"? Das ist relativ einfach zu beantworten: Dillinger war ein Held der Nation für die Leute der 30er. Wir sehen es in Dillinger's beruechtigten Presse Konferenz, wo er das Sagen hat. Er leitet die Show. Die Leute auf den Straßen jubeln und winken ihm zu. Es ist die große Depression, er kommt vom Land und raubt Banken aus, und er ist cool und charismatisch. Aber wer ist er wirklich? Sie wissen es alle nicht und es ist auch egal – denn er ist eine Ikone.
Billie Frechette ist das Herz und die Seele des Films. Doch auch sie reagiert mehr auf die Ikone als auf den Mann dahinter: Dillinger zieht fuer sie eine Show ab und erzaehlt ihr nur die minimalistischsten Einzelheiten ueber ihn. Warum er nicht tanzen kann? Ganz einfach – Er hat gerade 9 Jahre abgesessen. Er ist wie ein Matador, der sein rotes Tuch hoch haelt und sie hat keine andere Wahl als darauf reinzufallen, obwohl es ihr Untergang ist. Jedes mal wenn sie versucht der Realitaet in die Augen zu blicken, leitet Dillinger sie in eine Illusion ueber: "Sag, dass du es weißt. Sas es einfach." Marion Cotillard's Schauspiel ist dem ganzen Film ueber aeußerst beeindruckend.
John Dillinger wird perfekt von Johnny Depp verkoerpert – einfach zu moegen, unauffaellig, der einfache Mann hinter der Ikone. Er ist jung und naiv, aber stellt sich selbstbewusst seiner unausweichlichen Mauer des Schicksals. Wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt aus seinem Leben, denn mehr gibt es nicht. Alles was wir wissen ist, dass seine Mutter verstorben ist als er 3 Jahre alt war, sein Vater ihn verpruegelt hat, und das er zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde (9 hat er abgesessen), weil er 50 Dollar gestohlen hat. Dort wurde er zudem was er nun ist: Ein Dieb, ein harter Krimineller, aber heiter und loyal seinen Freunden gegenueber. Nach seiner Entlassung wurde er schnell zu einem "larger-than-life icon". Er steht im Rampenlicht, laesst seinem Charme freien Lauf und winkt seinen Fans zu. Es geht schnell: Er raubt ein paar Banken aus, kostet es aus, kommt damit davon, aber all der Zauber ist in ein paar Monaten vorueber. Er hat im Grunde nur 1 Jahr lang "wirklich" gelebt: Vom Zeitpunkt seiner Entlassung aus bis zu dem Moment, in dem er erschossen wurde. Wer ist John Dillinger? Seine Klischeehaften Worte gegenueber Billie scheinen oft direkt von der Kinoleinwand eines alten 30er Jahre Films zu kommen. Aber als Billie von der Polizei abgefuehrt wird, sehen wir ploetzlich nicht mehr die Ikone, sondern den hilflosen jungen Mann. Letztendlich scheint es so, als wuerde er sich dieselbe Frage stellen: Wer ist John Dillinger? Er marschiert direkt ins Polizeidepartment um sich selbst zu sehen - er sieht sein Erbe in Form von Fotos am schwarzen Brett. Und in der unterschwelligen Biographie eines Kinofilms, erkennt er sich selbst in Clark Gable.
Purvis ist Dillinger's Gegenspieler. Dillinger tut das Falsche, ist aber erfolgreich. Purvis versucht das Richtige zu tun, versagt aber. Obwohl wir für Dillinger sind, soll Purvis der echte Held des Films sein. Aber wir wissen kaum etwas ueber ihn oder über die anderen Charakterer. Ihre Dialoge verraten uns nicht viel. Das ist viel mehr eine visuelle Geschichte, mit Ereignissen, Kostuemen, reich ausgestatteten Hintergruenden, Kameraeinstellungen und kleinen Gesten, die uns Informationen ueber die Charaktere liefert.
Mann schickt uns mitten ins Geschehen mit minimalen Erlaeuterungen. Ein bisschen mehr Handlung und Hintergrund waere nett gewesenen, aber wir befinden uns halt in dieser "in the moment" Phase von Dillinger's Leben. Und zwar in dem Moment, wo er beschließt dieses 1 Jahr seines Lebens zu leben. Viele Szenen wurden dort gedreht, wo die Ereignisse wirklich stattgefunden haben: Depp bricht aus Dillinger's echter Gefaengniszelle aus, schießt aus denselben Fenstern und rennt durch denselben Wald in Little Bohemia und stirbt auf demselben Buergersteig wie der echte John Dillinger. Wenn das Flugzeug mit Dillinger an Bord in Indiana landet, sehen wir fuer einen kurzen Augenblick echte S/W Aufnahmen. Die Kamera folgt dann den Charakteren so, dass der Eindruck ensteht, wir seien Reporter und mitten im Geschehen. Anstatt von alten, koernigen, sepia-farbigen Film sehen wir oft neue, scharfe, kalte und klare HD Bilder. Der Film spielt manchmal mit dem Selbstbewusstsein der Zuschauer, besonders in der Szene, in der wir Dillinger auf der großen Kinoleinwand sehen, und das Publikum nach rechts und links gucken soll, um eventuell Dillinger ausfindig zu machen. Und das ist nur ein Teaser für das eigentliche Kunststueck am Ende des Films- Die Selbsterkennung: WIR sehen einen Film mit einer Ikone (Depp), die eine Ikone spielt (Dillinger), die einen Film mit einer Ikone sieht (Gable), die einen ikonischen Kriminellen spielt. Wer ist John Dillinger? Das ist wahrlich ein schweres kleines Puzzle, das jeder Zuschauer für sich selbst loesen muss!
Michael Mann ist mit "Public Enemies" ein Meisterwerk gelungen!
10/10