AW: Reconstruction
Kritik von Vince
RECONSTRUCTION
Die Dänen mal wieder; hauen uns hier ein herrlich alternatives Stück über die Liebe vor den Latz. “Reconstruction” geht in die Analyse. Analyse bedeutet bekanntlich, dass nichts Neues hinzugefügt wird, sondern das Bestehende lediglich einer Tiefenkontrolle unterzogen wird. Und das ist die ganze Stärke und Schwäche dieser metaphysischen Betrachtung des Genres Liebesfilm, der sich zu Recht auch selbst mit dieser Genrebezeichnung schmückt. Wer also schon bei “In the Mood for Love” über Sterilität und Gefühlskälte verärgert war, wird seine Bedürfnisse wohl auch bei Christoffer Boe nicht stillen können. Die Rekonstruktion der Anatomie einer Liebeskonstellation ist eiskalt. Im Gegenzug bekommt man allerdings einige Wahrheiten über das Wesen der Liebe und seine Beschaffenheit (die je nach Liebespaar variiert) serviert. Und vor allem: Obwohl “Reconstruction” ein knallernstes Drama ohne Ironie ist, wird ein ironischer Blick auf die Filmmechanismen und auf erfundene Roman- bzw. Drehbuchcharaktere mitgetragen. Film und Leben, Fiktion und Realität vermischen sich.
Eigentlich stimmt alles; Die Regie ist kunstvoll, ohne zu sehr nach gewollter Kunst auszusehen, die Bildkompositionen sind malerisch und die kühlen Farben untermauern die Aussage, während die Darsteller um Nikolaj Lie Kaas und Maria Bonnevie kaum besser spielen könnten. Problematisch ist nur eines: Das Werk kann die eigens postulierte Emotionalität selbst nicht transportieren, um an ihrem Beispiel zu zeigen, was der Schmerz bedeutet. Die episodische Struktur, das stetige Wechselbad der Gefühle zwischen Glück und Enttäuschung verweigert es, wirkliche Gefühle zuzulassen, zumal die Herzen vieler Menschen gebrochen werden und sich dabei alle jeweils gegenseitig im Weg stehen. Wird der Autor betrogen, ist Alex dafür der Grund; fühlt sich die Frau des Autoren vernachlässigt, liegt das wiederum an der ominösen Bekannten, die stets aus der Lobby des Hotels anruft und den Autoren zu sich bittet. Man hat gewissermaßen Mitleid mit allen beteiligten Figuren und kann das Mitgefühl nicht auf eine Figur bündeln, muss es an alle Beteiligten gleichmäßig verteilen. Und dann konzentriert man seine ganze Verzweiflung gegen das Konstrukt Liebe, das in diesem Universum scheinbar nur dafür geeignet ist, Schmerz zu bringen.
Das ändert alles nichts daran, dass die Dänen mal wieder gezeigt haben, wie man sich einem Genre auf innovative Weise nähert. Natürlich sind Vorbilder auszumachen, doch trotzdem schafft es Christoffer Boe, dass der Zuschauer nochmals genau darüber nachdenkt, was er eigentlich unter der Bezeichnung “Liebesfilm” zu verstehen hat. Dieses Wort wird im Laufe der eineinhalb Stunden eine semantische Erweiterung erleben, die es in sich hat, das ist sicher. Und mehr will “Reconstruction” sowieso nicht.
8/10