AW: Vergiss mein nicht!
Kritik von Vince
VERGISS MEIN NICHT
Ausschnitte aus meiner
ofdb-Kritik
Ich hätte es ja eigentlich nach “Being John Malkovich” und “Adaption” besser wissen sollen, ja müssen, als diese Perle aus biochemisch erzeugten neuronalen Reizen eines verliebten Menschen so lange Zeit zu ignorieren. Charlie Kaufman ist nun endgültig mein Gott der verquasten Erzählung, ein Mann, dem es in Zukunft blind zu folgen gilt.
In einer undefinierten Position irgendwo im infiniten Sternenfeld unseres Gedankenraums finden wir uns wieder, verunsichert und durch optische Tricks der Realität entzogen. Würde man diesem Erlebnis als Genre zusätzlich noch die Marke “Horror” anhaften, wäre das nicht verkehrt, denn das Irren durch die eigenen Hirnwindungen mit verzerrter Sensitivität ist hausgemachter Horror, frisch aus der Hirnrinde. Liebe, Glück und Horror verschmelzen zu einem grotesken Klumpen, als Joels Hirn gebraten wird.
Charlie Kaufman hat offensichtlich sämtliche Dimensionen in seinem Drehbuch berücksichtigt, zeitliche Ebenen wie Abstraktionsebenen. Während Joels Verstand gegen den Eingriff zu rebellieren beginnt und sich in die Vergangenheit zurückzieht, wechseln wir zwischenzeitlich auch mal auf die reale Ebene, entsteigen Joels Hirn, um die Behandlung objektiv mitzuerleben. Hier gibt es echte Probleme, Dramen auf menschlicher Basis, die Auswirkungen dessen, was wir soeben live von den besten Plätzen aus (mitten in Joels Hirn mit seinen Augen als Sichtfenstern vor uns) miterleben durften. Das Wissen nun auch, dass die Realität hier zur Metaebene ausgerufen wird, in der auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.
Die Wissenschaft steht hier nicht unter Anklage, vielmehr wird ein Szenario entwickelt, das dem unergründlichen Wesen der Liebe einen Grund geben soll. Die Liebe soll definiert werden mit dem erfrischend biologischen Ansatz, der am Ende nicht die Erleuchtung über uns bringt. Schließlich nennt sich Michel Gondrys Werk “Eternal Sunshine of the Spotless Mind”. Das Gehirn ist nun einmal als biologische Masse nicht der Ewigkeit verbunden, aber es ist eben ein alternativer Ansatz, der sich mit Erfolg vom Einheitsbrei thematisch ähnlich gelagerter Liebesfilme emanzipiert. Genau das hängt diesem Werk das “Meister” vornean. Das ist es, was einen Charlie Kaufman ausmacht. Wie es sich schon in “Adaption” andeutete, existieren der Mut und die Fähigkeit, sich eines Gegenstandes auf hermeneutische Weise zu nähern, auch wenn dies mit den Regeln eines Filmes kollabieren muss. Und Michael Gondry, nach “Human Nature” erneut mit Kaufman beruflich verbandelt, hat das Drehbuch offenbar genauso gut verinnerlicht wie Spike Jonze und wie das Hauptdarstellergespann Carrey und Winslet. Ein notwendigerweise etwas kalter, aber großartiger Film.
9/10, schon fast mit der Tendenz zur 10.