Kritik von Farman
Zodiac - Die Spur des Killers
"Ich wollte schon immer mal japanisch essen - Dieses rohe Zeug".
Finchers neuer Vertreter des mittlerweile todlangweiligen Genres des Serienmörder-Thrillers handelt nicht gerade von Essgewohnheiten. Aber dieses Zitat habe ich mir nicht Nachts erträumt, es stammt vom Film. Der Film handelt von einer Menschenjagd - der Mensch sei, so wörtlich wiedergegeben, das "wildeste Tier von allen", die es zu jagen gibt.
Finchers neuer Film handelt, ähnlich wie alle seine Filme im Allgemeinen, sein Meisterwerk "Fight Club" im Speziellen, von Sehgewohnheiten. Wong Kar-Wai sagte mal, ein guter Film sei wie ein gutes Essen. Selten konnte ich eine Speise so schwer verdauen wie die roh zubereitete Fincherspeise, selten das Gesehene so einfach abhaken wie die Bilderwelten Finchers - das gilt für "Sieben", den bereits erwähnten "Fight Club" und ebenfalls -hier werden womöglich gerade jene Fincher-Fans widersprechen, die ein zweites "Sieben" erwarten- den soeben im Kino gesehenen und noch immer nicht verdauten "Zodiac".
Ob auch Essgewohnheiten einen radikalen Umbruch erlangten zur Zeit der ausgehenden Sechziger und der beginnenden Siebziger, zur Zeit der gerade in Gang gesetzten Emanzipation und sexuellen Revolution, zur Zeit der kollektiven Flucht aus autoritären Normen hinweg von den Schranken einer geregelten Zivilisation, das weiß ich nicht. Sicher ist, dass das Zerstören von bislang existierenden Tischritualen Raum schafft für einen Hunger auf das Rohe.
Genau zu dieser Zeit taucht in der Gegend um San Francisco ein Serienkiller auf. Dieser Serienkiller, "Zodiac", existiert wohl -in der Wirklichkeit, die wir im Film nicht zu sehen bekommen- als ein von uns losgelöstes Individuum für sich, dass durch seinen animalischen Hunger nach roher Gewalt zu einem Monster geworden ist. In der Wirklichkeit der Medien, der Außenwelt und Gesellschaft um den Mörder herum, der Wirklichkeit, die wir im Film zu sehen bekommen, existiert dieses Monster als Symbol unserer Zeit. Finchers Film handelt mehr von der Frage nach unserer "rohen" Lust als der des Serienkillers, dessen Motive uns nie wirklich greifbar gemacht werden.
Dass es sich hierbei um eine authentische Geschichte handelt, hat man selten so deutlich in einem (!) Suspense-Thriller sehen können. Hätte ich es nicht vorher gewusst und würde im Film davon kein Wort stehen, beim Anschauen wüsste ich es. Selten habe ich eine stilistisch so virtuose Selbsthinterfragung der dramaturgischen Möglichkeiten des Kinos gesehen. "Zodiac" lässt durch seine aufregende Unaufdringlichkeit thematisch verwandte Holzhammerfilme wie Stones "Natural Born Killers" oder Hanekes "Funny Games" reichlich dumm aussehen.
Zodiac handelt von der Semiotik, der Kunst des Zeichenlesens. Und er handelt von der Willkür unserer Zeichenwelt und unserer geradezu obsessiven Wolllust nach der Erkenntnis, nach dem Knacken des Codes. Wir als Zuschauer werden in jeder einzelnen Szene aktiv dazu aufgefordert, die filmischen Codes zu knacken, den Film zu hinterfragen, unsere Sehgewohnheiten zu hinterfragen, um letztendlich herauszufinden, wie sehr unsere kollektive Sinnstiftung über die Motive eines Mordes, die Funktionsweisen einer Gesellschaft, die ästhetischen Möglichkeiten eines Filmes einem totalitären Selbstzweck dienen. Doch der Film fordert uns anhand seines immer in die Irre geführten, dennoch in seiner Wahrheitstreue seine Würde behaltenden Hauptcharakters gespielt von Jake Gyllenhaal auf, mit einem vom Zynismus befreiten Blick hinter die Vorhänge des Verborgenen zu schauen, die auch unsere eigenen sind. Hier erinnert "Zodiac" an Alfred Hitchcock und vor allem Fritz Lang.
Erwartet bloß kein apokalyptisches Suspense-Szenario a la Sieben.
Die wenigen Mordszenen sind nüchtern inszeniert, aber gerade deswegen unglaublich verstörend. Um nicht drumrum zu reden: Etwas in seiner psychologischen Wirkung derartig Abscheuliches habe ich selten auf der Leinwand gesehen - auch nicht in Sieben. Wir kommen raus ohne die in einigen von uns ausgeprägte Lust nach Schocks befriedigt zu sehen, aber genau das will der Film, und genau deswegen bringt er dieses mir verhasste Genre in absolut neue Höhen. Trotz gewisser Vorhersehbarkeiten, und, naja, "Längen", die ich in Anführungszeichen setze, weil ich sie nicht so empfinde. Ich weiß auch, wie viele Schaulustige den Film schwach und langweilig finden werden, aber ich bin stolz darauf, dass mich dieses radikale Experiment nicht kalt gelassen hat und schmunzel über die vielen Kritiken, die dem Film Langatmigkeit vorwerfen.
Fazit: Sehen!