AW: 21 Gramm
Kritik von Farman
21 Gramm
Bedeutungsschwere und Sinnstiftung sind der Grund und das Übel des Filmemachens. Ob man das Zusammensetzen des gefilmten Materials als "Schnitt" oder als "Montage", als Zerhacken oder als Aufbauen interpretiert, die Entscheidung für eine der beiden Sichtweisen entlarvt das ganze schon als Dilemma: Ich kann kaum ein Haus bauen, ohne mir seine Bauteile zurechtzuschneiden. Es muss passen, und es passt nicht von alleine.
Erzählen wir, so setzen wir zusammen und zerschnibbeln, ein mathematischer Vorgang zum Errechnen des Aha-Effekts unseres Zuhörers. Zeigen wir dabei, dass der Aha-Effekt nur das Entdecken eines relativen Sinnzusammenhangs ist, den wir selber als Erzähler durch unsere eigenen zurechtgeschnittenen Bauteile erbaut haben, lassen wir somit den Zuhörer unsere zurechtgeschnittenen Bauteile als zurechtgeschnitten
erkennen, so trauen wir ihm was zu. Manchmal nennt sich das sogar Poesie. Wollen wir ihm aber zeigen, dass das ganze ohne weiteres so zusammengehört, beuten wir seinen Erkenntnisdrang durch unseren abgekarterten "Aha-Effekt" aus. Oft nennt sich das Kitsch.
Alejandro Gonzalez Inarritu ist ein sehr ambitionierter Häuslebauer. Er errichtet geometrisch präzise einen Kartenturm anhand von Fragmenten dreier Geschichten dreier Charaktere, die mit ihrem Seelenstriptease unserem Gemüt schon in der ersten Sekunde mit dem Holzhammer auf die Pelle rücken wollen, und zwar so aufdringlich, wie es sonst nur mein Darm ist nach dem Besuch beim Mexikaner (Inarritus Heimatland, was für ein bedeutungsschwerer Sinnzusammenhang!). Einer von den Charakteren ist Mathematiker. In einem Dialog erklärt er, wie mathematisch zufällige Begegnungen sind. Und wie mathematisch Emotionen und Sinnzusammenhänge sind, erklärt uns Inarritu mit diesem Film. Nur ist seine Mathematik die Mathematik des Erzählers und nicht die der Wahrheit, und auch die Ausflüchte des Films in solche Dialogszenen, die das Anliegen des Films reflektieren wollen, ändern nichts an Inarritus Gleichschaltung zweier verschiedener Logiken: Der Logik der Natur und der Logik des Häuslebauers, der die Natur pragmatisch nachahmt, damit sein Haus steht.
Der Film hat bewegende Szenen, ist von Del Toro, Penn und Watts blendend gespielt. Doch über dem Ganzen lastet eine religiöse Bedeutungsschwere und eine überladene Sinnstiftung, deren Ausgang nur die Flucht in den Kitsch sein kann. Der Film ist eine Zusammensetzung aus Handlungsfetzen, die man später nicht mehr als Hinweis zur fehlerhaften menschlichen Wahrnehmung sondern als gottgegebene Hinweise für den Aha-effekt, für die göttliche Erleuchtung ansieht. Und diese Erleuchtung ist eine Katharsis, die einen von jeglichem Denken reinigt und einen bloß vom Phrasenschwein rausgefurzte, bedeutungsschwangere Fragen umherschmeißen lässt, a la "Wie viel wiegt der Mensch? => Wie viel ist er wert?". Wie Del Toros Charakter richtet sich Inarritu mit seinen Fragen gen den Allmächtigen im Himmel, doch der pustet mit einem lauen Lüftchen Inarritus Kartenturm um.
Fazit: Bedeutungsschwere und Sinnstiftung a la Hollywood - wegen einigen starken Szenen sehenswert, macht einen aber kaum schlaue