Lincoln

crizzero

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Lincoln

Abraham Lincoln ist für alle Zeiten eine der wichtigsten Figuren in der amerikanischen Geschichte. Mit diesem Film errichtet Steven Spielberg nun knapp 150 Jahre nach dessen Ermordung neben dem Lincoln Memorial in Washington ein zweites, mediales Denkmal für den 16. Präsidenten der USA.

Der Film spielt hauptsächlich Anfang 1865, also nach Lincolns Wiederwahl und gegen Ende des Civil War. Kritik und Kritiker gab es seit jeher genug. Lincoln hatte genug Gegner. Einer davon brachte ihn ja letztlich auch um. Lincoln wollte zwei Jahre nach der Emancipation Proclamation, welche die Sklaven der Konföderation zu freien Menschen machte, die er aber lediglich als Commander-in-Chief im Kriegszustand verhängt hatte, die Sklaverei gänzlich abschaffen und diesbezüglich einen 13. Zusatzartikel zur Verfassung verabschiedet wissen. Nach Kriegsende wären ohne diesen Artikel die befreiten Schwarzen wieder Sklaven gewesen und wäre es nach den damaligen Demokraten gegangen, wäre auch genau dies der Fall gewesen. Ein Bewusstsein für Gleichberechtigung gab es in der breiten Bevölkerung noch längst nicht, also musste irgendwie die Zweidrittelmehrheit im Senat errungen werden, um das Verbot der Sklaverei in die Gesetzgebung einpflegen zu können. Von dieser schwierigen und von Lincoln mit unnachgiebigem Anlaufen forcierten Aufgabe handelt Spielbergs Historienfilm.

Dahingehend war die Emancipation Proclamation von 1863 ja bereits die politische Vorstufe und letztlich ein bilaterales Mittel zum Zweck: Einerseits sollte sie dazu dienen, dass die Union - also der Norden - den Krieg gewinnt, andererseits war sie der erste Schritt zur Abschaffung der Sklaverei in sämtlichen Staaten Amerikas.
Beides auf einmal erschien aber unmöglich, zumal viele Politiker der Emancipation Proclamation nur zugestimmt hatten, weil Lincoln deutlich machte, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, die Konföderation zu bezwingen. Dem war eigentlich nicht so. Die letztlich besser ausgerüsteten Truppen des Nordens hätten den Krieg früher oder später ohnehin entschieden. Aber die Politiker und das Völk drängten nach zwei Jahren des Blutvergießens und gewaltiger Verluste auf beiden Seiten auf ein "Früher". Die Proklamation galt dahingehend als der eine strategisch geniale Schachzug Lincolns, um den Krieg für den Norden zu entscheiden. Als Oberbefehlshaber im Kriegszustand (oder "Diktator auf Zeit", wie ihn die Demokraten nannten) konnte er diese Proklamation auch ohne größere Probleme auf eigene Faust durchsetzen. In die Legislative im Friedenszustand kann ein amerikanischer Präsident jedoch nicht eingreifen.

Erschwerend kam nun aber noch hinzu, dass der Süden Anfang 1865 seine Chancen schwinden sah und Konföderationspräsident Jefferson Davis seinen Vizepräsidenten und zwei Berater aussandte, um mit dem Norden über Friedensmodalitäten zu verhandeln. Hätte Lincoln diese Herrschaften sofort empfangen und mit ihnen Bedingungen zur Kapitulation des Südens ausgehandelt, wäre der Krieg vorbei gewesen. Und mit dem wiedervereinten Süden im Senat, wäre der 13. Zusatzartikel niemals akzeptiert worden, da die Plantagen im Süden von Sklaven bewirtschaftet wurden und stets große Gewinne für ihre weißen Grundbesitzer versprachen. So musste der 13. Zusatzartikel also unbedingt vor dem Kriegsende verabschiedet werden und genau das war das schwierige Unterfangen, welches der Film exzellent aufarbeitet.

Lincoln "parkte" die Gesandten des Südens auf einem Dampfer bei General Ulysses S. Grant, welcher sie dort einige Tage hinhalten sollte. Währenddessen hatte Lincoln fleißige Helfer, die seit Wochen um Stimmen der Senatoren im Demokratenlager kämpften. Schlussendlich wurde das Verbot der Sklaverei mit gerade mal 2 Stimmen über der Zweidrittelmehrheit errungen. Der 13. Zusatzartikel wurde bis Ende 1865 mehrheitsfähig von allen nötigen Staaten ratifiziert und Anfang Dezember in die Verfassung der USA aufgenommen.
Schon Anfang April hatte man allerdings den genialen Kriegsstrategen des Südens, General Robert E. Lee, zur Kapitulation gezwungen, so dass der amerikanische Bürgerkrieg fast auf den Tag genau 4 Jahre nach den ersten Schüssen bei Fort Sumter in South Carolina und nach weit über 600.000 Toten endete. Gleiches galt kurz darauf leider auch für das Leben des siegreichen Präsidenten, welcher am 14.04.1865 im Ford's Theatre in Washington von John Wilkes Booth - einem Schauspieler, der mit dieser Tat den Süden unterstützen wollte - ermordet wurde.

"Lincoln" bietet lebendige und perfekt inszenierte US-Geschichte zum Miterleben. Die Kostüme und die Sets sind ein Traum und wirken total authentisch. Man fühlt sich wirklich in das 19. Jahrhundert zurückversetzt. Erstklassige Kameraeinstellungen lassen Lincoln geradezu ikonisch über die Leinwand wandeln. Es ist ein Genuss, Daniel Day-Lewis in diesen perfekt eingefangenen Momenten in der Rolle seines Lebens zu sehen. Sein Abraham Lincoln ist eine perfekt gespielte Jahrhundertrolle, die nicht nur in Sachen Gestik und Mimik alles von ihm abverlangt hat, sondern auch in der Art und Weise der Dialog- und Monologführung. Dazu die leicht gebückte Körperhaltung, der aufschauende Blick und der wippende Schritt und fertig ist eine wirklich besondere Oscar-Rolle. Das ist alles atemberaubend gut gespielt.
Gleiches gilt aber auch für die Nebendarsteller, die allesamt im Schatten Lincolns stehen und dennoch am Limit spielen. Allen voran gilt es dabei Tommy Lee Jones lobend zu erwähnen, der so eindringlich, herzerfrischend direkt und den Geist wachrüttelnd spielt. Sein Thaddeus Stevens war ein einzigartiges Erlebnis, der im Senat für den nötigen argumentativen Schwung und die nachhaltige Gewichtung der Gleichberechtigung gesorgt hat.

Die zweieinhalb Stunden Spieldauer sind vorbei wie nichts, weil dieser pfiffige Historienfilm exzellente, lebhafte und intelligente Diskussionen über Politik und Ethik enthält, die einfach nur fesseln und auch als Hörspiel blendend funktionieren könnten. Zudem ist dieses herausragende Kammerspiel historisch und menschlich absolut authentisch und lässt auch viel Raum für Kritik an der geschichtlichen Figur des Abraham Lincoln. Einen so differenzierten Film über die vielleicht wichtigste Person des 19. Jahrhunderts muss man jedenfalls gesehen haben.

10/10
 
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kelte

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AW: Lincoln

klasse Kritik Crizzo, schöne Geschichtslektion die du wunderbar wiedergibst:hoch: allerdings machst du hier auch genau das, was du anderen vorwirfst,- du verrätst zuviel. Ich habe nun das Gefühl den Film gesehen zu haben, so toll hast du es geschrieben. Natürlich werde ich ihn mir trotzdem noch anschauen :)
 

crizzero

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Ja, danke! :)

Das ist eigentlich keine Inhaltswiedergabe, sondern letztlich die US-Geschichte selbst. Der Film hat durch seine Dialoge und Monologe weitaus mehr als nur die hier geschilderten geschichtlichen Abläufe zu bieten... vor allem eine grandiose Schauspielerei. :hoch:

Aber diesen Streifen zu verarbeiten, ist nicht einfach. Er ist ein Brett, das extrem viel zu bieten hat. Meine Herangehensweise ist letztlich jene, auf reale geschichtliche Ereignisse Rückschlüsse zu ziehen und da diese in Spielbergs Meisterwerk erstklassig wiedergegeben werden, gibt es natürlich extrem viele Überschneidungen. Unabhängig davon ist dies aber alles längst bekannt, nur konnte ich den Film nicht anders packen, als meine Geschichtskenntnisse aus dem Englischstudium mit einzubringen. Es hat mir letztlich geholfen, den Film für mich einordnen zu können. Nämlich ganz weit oben!

Fühlt euch daher bitte nicht gespoilert! Ich umreiße hier nur den geschichtlichen Ablauf, nicht aber den Filminhalt.
 

kelte

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AW: Lincoln

im Grunde bin ich jetzt sogar noch neugieriger auf den Film, man kennt sicherlich Eckpunkte dieser Geschichte aber nicht jedes Detail und in Zusammenhang mit diesem Ensemble freu ich mich auf den Film :) Karte ist bereits im Cinexx reserviert...Daniel Day-Lewis...da kann ich gar nicht anders :)
 

Louis Cyphre

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AW: Lincoln

Sehr gut gemachte Geschichtsstunden, bis in die kleinste Nebenrollle Top besetzt.
Schauspielerisch der Wahnsinn. Daniel Day Lewis sticht dabei heraus. Der Mann hats einfach drauf. Daneben gefiel mir James Spader super. Ich finde seinen Gesichtsausdruck
genial. Eine Mischung zwischen Spott und Arroganz.
Meine Güte ist Tommy Lee Jones alt und faltig geworden. Dessen Gesicht kann man ja als Karte für den Grand Canyon benutzen. :)
Ich muss den Film auf jeden Fall noch paar mal sehen, um alles zu verstehen. Das ist ja ein Dauerfeuer von Infos. Da mir auch Hintergrundwissen fehlt, sind mir nicht alle Zusammenhänge sofort klar.

8/10 Mit starker Tendenz nach Oben, nach weiteren Sichtungen.
 

crizzero

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AW: Lincoln

Sehr gut gemachte Geschichtsstunden, bis in die kleinste Nebenrollle Top besetzt.
Schauspielerisch der Wahnsinn.

Auf Jeden!

Ich muss den Film auf jeden Fall noch paar mal sehen, um alles zu verstehen. Das ist ja ein Dauerfeuer von Infos. Da mir auch Hintergrundwissen fehlt, sind mir nicht alle Zusammenhänge sofort klar.

Meine Kritik hilft da doch auch schon... ;)
Stehe dir aber gerne für Frage zur Verfügung, falls du sie von mir erklärt haben willst. Für mich ist das mit die interessanteste Epoche in den USA. Einfach faszinierend, wieviel Leid und Tod das große Gute gekostet hat.
 

Louis Cyphre

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AW: Lincoln

Danke für das Angebot. Werde ich drauf zurück kommen. Bin noch beim nachwirken lassen und den Fakten und Daten Overkill zu ordnen.
Auf jeden Fall ein Film, der nachwirkt, wie schon lange keiner mehr.
Das Ach der ist auch dabei Spiel war echt heftig und lustig. Soviele Top-Darsteller in einem Film gab es schon länger nicht.
Schade war nur, das nur ca. 10 Leute im Kino waren.
Dabei hatten wir noch Glück, 3096 ist ausgefallen, wegen technischer Defekte und ein anderer Kinosaal musste Großreinegemacht werden.
Da war richtig was los im Cinemaxx Bienenstock. Alle wuselten hin und her und quakten dauernd in ihre Handys.
 

crizzero

Filmvisionaer
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Auf jeden Fall ein Film, der nachwirkt, wie schon lange keiner mehr.
Das Ach der ist auch dabei Spiel war echt heftig und lustig. Soviele Top-Darsteller in einem Film gab es schon länger nicht.

Ja, das stimmt. "Lincoln" ist für mich ein ganz, ganz großer Film. Diese Nachwirkung ist der Hammer! Deshalb musste ich doch auch ein paar Tage später ein zweites Mal rein. Bei der Zweitsichtung wurde mir dann auch klar, dass die anfangs etwas vorsichtig und überkritisch gegebenen 9/10 für mich nicht hinkommen. Das Teil ist in meinen Augen ein Meisterwerk.
 

2moulins

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AW: Lincoln

Meine Kritik hilft da doch auch schon... ;) ....

Davon habe ich gerade Gebrauch gemacht, nachdem ich den Film am Abend gesehen habe. Gewinnbringende Zusammenfassung, die das Verständnis in der Tat förderte! :hoch:

Daniel Day-Lewis ist wirklich perfekt in der Rolle. Man kann sich gar keinen anderen Schauspieler mehr als Lincoln vorstellen. Und die Ausstattung aus der Zeit um 1865, sowohl die Einrichtungen wie auch die Kleider bzw. das Erscheinungsbild aller Darsteller (Frisuren und Bärte) ist sehr detailgetreu. Dieser Tatsache ist es aber auch geschuldet, dass es viele Szenen in schummrigen, nur von Kerzen oder Öllampen beleuchteten Räumen gibt. Wenn man in Stimmung für den dialoglastigen Film ist, bekommt man 2 1/2 interessante Geschichtsstunden geboten. Man darf aber keine Biographie von Lincoln erwarten, da im Grunde nur ein sehr kurzer Zeitabschnitt aus seiner Amtszeit behandelt wird.

8-9/10
 

Sam Spade

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AW: Lincoln

Danke, crizzo, für diese ausführliche und wunderbare Kritik. Man merkt, dass dich das Thema generell begeistert. Auch ich bin sehr an der amerikanischen Geschichte interessiert, leider blieb es bisher aber nur beim Interesse, da ich es noch nicht geschafft hab mich intensiver damit zu befassen. Von demher wusste ich zwar ganz grob, was Lincoln damals durchgesetzt hat, aber im Detail hatte ich keine Ahnung davon. Da hat dieser Film - den ich gestern endlich eingelegt habe - sehr geholfen und mir eine sehr aufschlussreiche Geschichtsstunde verpasst.

Wie hier schon geschrieben, muss man wissen, dass der Film "nur" die letzten Monate - also das Bestreben Lincolns, den 13ten Zusatzartikel (Abschaffung der Sklaverei) in die Verfassung mit aufzunehmen - seiner Amtszeit erzählt, und man hier keine komplette Biografie bekommt.

Doch gerade dieses wichtige Stück Geschichte wird eindrucksvoll und - soweit ich das beurteilen kann - authentisch wiedergegeben. Optik, Schauspieler und Soundtrack sind grandios. Man glaubt wirklich man ist hier im Jahre 1865 zu Besuch. Was mir aber etwas fehlte, waren ein paar mehr "Gänsehaut"-Momente. Es kommt zwar sehr gut rüber, was für ein harter und schwerer Kampf es war, die knappe 2/3 Mehrheit im Repräsentantenhaus für den Zusatzartikel zu bekommen, aber die ganze Erzählung bleibt relativ "nüchtern" und hat mich nicht so mitgerissen, wie ich es mir im Vorfeld gewünscht hatte. Das muss nicht per se schlecht sein, ich brauch keine unnötige Effekthascherei. Vor allem dann nicht, wenn wahre Geschichte erzählt wird, aber ich glaub in Kombination mit dem genialen Soundtrack hätte man vllt. noch etwas mehr "Größe" da rausholen können.

Nichtsdestotrotz, ist das Kritik auf hohem Niveau und ich bin sehr froh den Film nun gesehen zu haben. Empfehlenswert für jeden, der sich mit einem Stück amerikanischer Geschichte auseinandersetzen mag.

8/10
 
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