AW: Es war einmal in Amerika
Kritik von Farman
ES WAR EINMAL IN AMERIKA
Ich war schon immer ein Mensch mit einer ausgeprägten nostalgischen Ader. Wenn ich mich grad beschissen fühle, weil nichts in meinem Leben so läuft wie gewünscht, weil Ich selber nicht ganz dem Ideal entspreche, das ich mir selbst ausgedacht habe - das einzige was übrigbleibt, ist dann für kurze Zeit die Flucht ins Innenleben. Das Innenleben ist ein Ort der Erinnerungen und Träume, der Ort, wo beides aufeinanderprallt und sich zerstören kann - was einem übrigbleibt, ist seine Erinnerungen zu schönen und sie mit seinem Wunschtraum, seinem wunschgeträumten Selbstbild in Einklang zu bringen. Vielleicht auch daher meine große Leidenschaft für das Kino. Das Kino liefert einem Bilder für das Unterbewusstsein, Bilder, mit denen man etwas Persönliches verbinden kann. Wenn sie bis ins Innenleben vordringen, werden sie seltsam real. Gleichzeitig führt die Tatsache, das diese Bilder nicht real sind, nie real waren sondern schon immer tot, dazu, dass man gezwungen wird, den Realitätsbezug seines Innenlebens zu hinterfragen. Ebenso wie die geschönte Erinnerung können Kinophantasien grausam sein, wenn man ihre Brüchigkeit erkennt.
Es war einmal in Amerika ist ein vierstündiges Spiel mit der Brüchigkeit von Kinobildern, mit der Brüchigkeit von narrativer Kontinuität, mit der Brüchigkeit des Einklangs von Traum und Nostalgie, mit der Brüchigkeit von Identität, die auf einem idealistischen Traum aufgebaut wurde. Das ganze ist ein Mafiafilm von den 20ern bis zu den 60ern, der primär von zwei Freunden handelt -gespielt von Robert de Niro und James Woods-, die sich als Kleinkriminelle im New Yorker Ghetto bis zu angesehen Gangstern aufarbeiten, wofür sich der Eine für den Anderen opfern muss. Die Freundschaft endet mit einem fraglichen Verrat, der vorweggenommen, jedoch erst am Ende wirklich geklärt wird.
Der idealistische Traum ist der American Dream - der Traum von der paradoxen Harmonie zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit in dem Kampf des Einzelnen für seine Individualität innerhalb einer individualitätslosen, selbstgerechten Gesamtheit. Wie auch bei "Spiel mir das Lied vom Tod" benutzt Sergio Leone Amerika als Metapher für die ganze Welt. Der gesamte Film ist aufgebaut als eine nicht entschlüsselbare Vermischung des Innenlebens des von De Niro dargestellten Hauptcharakters Noodles und der tatsächlichen Geschichte seiner Gangsterkarriere. Der Zuschauer wird zum Komplizen auf der Suche nach Noodles Schuld innerhalb seines geschönten Innenlebens, der Kinobilder, und er wird zu seinem Gegner beim Entdecken einer Grausamkeit und Kälte, einer Selbstzerstörung, die dem Ideal, das aus den geschönten Kinobildern spricht, entgegensteht.
Die Geschichte der großen Liebe wird zur Geschichte von maskuliner Destruktivität, die Geschichte der Männerfreundschaft wird zur Geschichte von maskulinem Masochismus, die Geschichte des materiellen Aufstiegs wird zur Geschichter maskuliner Barbarei.
Wie Noodles Schuld darin liegt, durch seine kompromisslose Rückbesinnung in ein Ideal das Ideal selbst verfälscht zu haben, fühlt der Zuschauer eine Schuld durch seinen Glauben an ein Kinoideal, das brüchig ist. Es war einmal in Amerika ist ein stark realitätsbezogener Film über das Kino selbst, ein Märchen über das Märchen. Man sollte nicht versuchen, den Film mit dem Paten oder anderen Epen zu vergleichen, Es war einmal in Amerika ist experimentelles Kino, das eher musikalisch denn narrativ funktioniert.
Fazit: Wenn es einen Film gibt, der meine Leidenschaft für das Kino zusammenfassen kann, dann ist es dieser.