AW: Bringing Out the Dead
Kritik von Vince
BRINGING OUT THE DEAD - NÄCHTE DER ERINNERUNG
Ausschnitte aus meiner
ofdb-Kritik
Die hektische Begleitung eines Notarztes durch die tiefschwarze Nacht ist eine unübersehbare Rückbesinnung an alte Zeiten, als Travis Bickle in seinem Taxi auf Tour ging. Paul Schraders erneutes Mitwirken als Drehbuchautor nach “Taxi Driver”, “Wie ein wilder Stier” und “Die letzte Versuchung Christi” macht sich bemerkbar. Nicolas Cage ist als desillusionierter Krankenwagenfahrer das Medium in “Bringing Out The Dead”. Egoperspektiven von der Fahrt durch die blauroten, von den Sirenen beleuchteten Hintergassen New Yorks wechseln sich ab mit Close Ups von Cages triumphal gesteuerter Mimik, die ein Gefühl davon vermittelt, dass sich Cages Figur irgendwo auf der Schwelle befindet zwischen dem idealistischen Greenhorn und dem alten Hasen, der die Hoffnung verloren hat - und die folgenden Nächte werden das Zünglein an der Waage sein.
Die dringendste Frage, die sich stellt, lautet: Ist “Bringing Out The Dead” wirklich nichts weiter als die Übertragung von “Taxi Driver” ins Krankenhausmilieu? Der Blick auf die Stadt ist absolut identisch, die Erkenntnisse beider Figuren gleichen sich im Ansatz ebenfalls bis aufs Haar: Nutten, die man nicht mehr von Fußgängerinnen unterscheiden kann, verrückte alte Männer, die sich jede Nacht vollaufen lassen und einscheißen, bis der Krankenwagen kommen muss, Schwarze, die sich mitten auf der Straße gegenseitig niederschießen und Psychisch Kranke, die in den Gassen abhängen und Autoscheiben einschlagen, weil selbst die Gefängnisse und Anstalten sie nicht haben wollen. Wir stellen objektiv fest: Die Welt ist in dieser Hemisphäre ein hoffnungsloser Sündenpfuhl.
Doch im Gegensatz zu Travis Bickle sträubt sich der Sanitäter dagegen, etwas zu unternehmen. Bickle war ein Einzelgänger, der sich selbst aufstachelte - er agierte im Angesicht seiner Umwelt. Frank hingegen reagiert, weil er von seiner Umwelt nicht in Ruhe gelassen wird - sie brüllt ihn voll mit Signalen, zwingt ihn zum Handeln, während er, tiefschwarze Ringe unter den Augen, einfach nur schlafen will. Doch der Peeper meldet sich zu Wort, die Kollegen sind voller Ehrgeiz, der Chef sträubt sich gegen eine Entlassung Franks... es ist nicht seine Entscheidung.
Grundsätzlich kann man “Bringing Out The Dead” willig über sich ergehen lassen wie ein gewaltiger Sturm, der mit Getöse über einen hinwegrollt. Die gebotene Perspektive fasziniert bis ins Mark und Bein, es handelt sich um ein absolut dichtes Werk voller Atmosphäre, das gleichermaßen anklagt wie Verständnis zeigt und die Stadt gnadenlos aufdeckt mit all ihren dunklen Seiten, die so alt sein müssen wie der Urschlamm, aus dem sich Amerika formte (ein Thema, dessen sich Scorsese gleich als nächstes mit “Gangs of New York” annahm). Insofern ein unter Wert verkauftes Stück Filmgeschichte, von dem man allerdings das Gegenteil behaupten müsste, würde es umjubelt werden wie “Taxi Driver”.
(noch)
8/10