AW: Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte über Schneewittchen
Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen
Vor ein paar Jahren war ich sehr verwundert, dass gleich zwei Studios eines der berühmtesten Märchen der Filmgeschichte erneut verfilmen wollten und beide Studios haben vollkommen unterschiedliche Ansätze (Komödie und Action/Thriller) gewählt. Dass die gleiche Geschichte aus so vielen verschiedenen Perspektiven erzählt werden kann, hat Grimms Märchen schon mit mit den kontrastreichen und differenzierten Verfilmungen „Schneewittchen und sieben Zwerge“ von Walt Disney und die Horror/Fantasy-Verfilmung mit Sigourney Weaver aus dem Jahre 1997 unter Beweis stellen können und nun hat Regisseur Tarsem Singh mit seiner Verfilmung „Spieglein Spieglein“ auch bewiesen, dass man der alten Geschichte weiterhin neue Facetten abgewinnen kann.
Die Geschichte von Schneewittchen ist als Vorwissen der meisten Zuschauer schon im Gedächtnis verankert, aber Tarsem bleibt nicht der ursprünglichen Geschichte treu, sondern ändert sie an vielen Stellen und Passagen enorm ab. So bekommt der Prinz deutlich mehr Raum und auch das Verhältnis zwischen der bösen Königin und Schneechen sowie deren Entwicklung sind von anderer Natur. Auf genaue Einzelheiten möchte ich nicht genau eingehen, denn es nimmt dem Zuschauer einfach die Vorfreude an den Film, wenn man bereits weiß, welche Änderungen in der Geschichte vorgenommen worden sind. Jeden Augenblick war ich gespannt, was sich die Drehbuchautoren Neues ausgedacht haben und wie denn genau die Geschichte weiter verlaufen wird. (Damit habe ich im Vorfeld überhaupt nicht gerechnet!) Und ich muss ehrlich gestehen, dass die Geschichte in sich sehr schlüssig, sinnvoll und nachvollziehbar bleibt und mir zum Teil besser gefallen hat als die ursprüngliche Erzählung der Gebrüder Grimm!
Der nächste Punkt, der beim Film wunderbar harmoniert, ist die Auswahl der Schauspieler. Die junge
Lily Collins spielt mit einer Leichtigkeit die naive und unerfahrene Schneewittchen und ihr Anblick ist während des gesamten Films einfach nur bezaubernd. In der Rolle der Gegenspielerin brilliert Julia Roberts als herrschsüchtige, egozentrische und narzisstische Königin, welche wirklich so gut wie jeden Menschen im Königreich verachtet. Ihre hedonistische Lebensweise versüßt sie sich sich mit sarkastischen und ironischen Befehlen und Untertönen, die vor allem beim Zuschauer für eine gute Stimmung sorgen werden. Sie spielt ihre eine Rolle mit einer Hingabe, die ich in dieser Form niemals erwartet hätte. Sie spielt die überzeichnete Reinkarnation des Bösen par excellence und verdient meines Erachtens mindestens eine Erwähnung bei den Golden Globes.
Diesen beiden Hauptprotagonisten werden weiterhin von einem sehr spielfreudigen Ensemble unterstützt, welche in ihre Rollen aufgehen, aber die verständlicherweise die Aura von Lily Collins und Julia Roberts nicht erreichen können, was auch nicht das Ziel des Films ist.
Ein Fehler des Films ist in seinem Marketing zu suchen, denn er wurde fast ausschließlich als Familienfilm beworben, was aufgrund der Geschichte und dem Märchenhintergrund auch durchaus nachvollziehbar ist, aber der Film besitzt mehr Lesarten, denn neben der guten Unterhaltung für die ganzen Familie, bietet der Film auch vor allem für Erwachsene einen bissigen, ironischen und auch anzüglichen Humor, welche die meisten Kinder wohl nicht vollständig verstehen können. Des Weiteren enthält der Film auch kaum kindliche Albernheiten und selbst die Darstellung der Zwerge ist nicht albern, sondern nur in Ansätzen überzeichnet.
Als letztes möchte ich noch einmal kurz auf die Ausstattung, das Design und die Optik des Films eingehen. Wer sich mit den frühen Filme von Tarsem auseinandergesetzt hat, weiß, dass er einen ausgesprochen markanten Sinn für eine farbenfrohe Ästhetik besitzt. Die bunten Farben und die liebevollen Details der Ausstattung machen fast jeden Film von Tarsem zu einen visuellen Augenschmaus, aber im Gegensatz zu früheren Filmen lebt der Film nicht einzig von seiner visuellen Pracht, sondern bietet darüber hinaus komödiantische und schauspielerische Substanz.
Seine visuelles Gespür ist durchaus auf seine Arbeiten als Musikvideo-Regisseur zurückzuführen und sehr wahrscheinlich auch auf seine indische Herkunft, die er in diesem Film sogar auf eine besondere und kongeniale Weise ehrt.
I believe 9/10