AW: In guten wie in schweren Tagen
In guten wie in schweren Tagen
Indische Filme sind sehr mit Vorurteilen belastet und die ersten Assoziationen, die mit Bollywood in Verbindung gebracht werden, sind eine kitschige Handlung und natürlich das „permanente“ Singen und Tanzen. Dass Indien auch fernab dieser klassischen Filme noch deutlich mehr bietet, wissen oder ignorieren die meisten. In dem Fall von „In guten wie und schweren Tagen“ treffen aber fast alle Vorurteile zu, denn der Film kann fast als Inbegriff des aktuellen indischen Unterhaltungsfilms angesehen werden. Der Film war in Deutschland der Auslöser für das erhöhte Interesse an indischen Filmen und gehört auch international zu den erfolgreichen indischen Filmen aller Zeiten.
Regisseur Karan Johar erzählt in ungefähr 200 Minuten die Geschichte der Familie Raichand und insbesondere die Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Sohn Rahul (Sha Rukh Khan), welcher sich in eine Frau verliebt, die nicht seiner gesellschaftlichen Schicht entstammt. Dadurch entsteht Streit zwischen dem Vater - dem Familienoberhaupt – und seinem Sohn, was zur Folge hat, dass Rahul nicht mehr als sein Sohn anerkannt wird. Im Zentrum der Geschichte steht nicht die Liebe zwischen Mann und Frau, sondern die Liebe der Kinder gegenüber ihren Eltern und die Liebe der Eltern gegenüber ihren Kindern.
Die Geschichte bietet auf den ersten Blick nicht sehr viel Potenzial, um den Zuschauer 200 Minuten zu unterhalten, aber Regisseur Johar nimmt sich genug Zeit, um die Gefühle der einzelnen Familienmitglieder genau zu durchdringen, auch wenn vor allem gen Ende viele Wiederholungen vorkommen. Das ist ein vollkommen konträrer Ansatz zu den gängigen Hollywood-Dramen und Romanzen, die meist in kurzen 90 Minuten abgehandelt werden und somit kaum Raum bieten, um ihre Charaktere zu entfalten. Diese Vorgehensweise verlangt für den (westlichen) Zuschauer viel Muße, da ihm das Präsentierte erst einmal fremd vorkommt.
Das bezieht sich unter anderem auf die Tanz- und Gesangseinlagen, die sehr gut integriert wurden und nicht einmal so künstlich inszeniert worden sind, wie es in den Musicals der klassischen Hollywood-Ära der Fall war, was vielen vielleicht nicht auffallen wird, weil selbst die gesungenen Lieder und die Tänze nicht unserem Kulturkreis entsprechen und somit als gewöhnungsbedürftig eingestuft werden.
Die nächste Diskrepanz zum Hollywoodfilm ist im Schauspiel und in der Inszenierung zu suchen, denn die Schauspieler agieren in ihren Rollen oft stark überzeichnet und lassen die Emotionen sehr deutlich werden. Auch die Inszenierung ist keinesfalls subtil, was an vielen Aspekten festzumachen ist. Ob es das Geräusch eines Blitzes ist, welcher den Zorn des Vaters unterstreichen soll, oder andere musikalische Überdramatisierungen und Kamerafahrten. All diese Merkmale sind beim aktuellen Hollywoodfilm einzig in Komödien und insbesondere in Parodien zu finden, welche damit andere Hollywoodfilme karikieren wollen. Hingegen verwenden die indischen Filme diese Techniken meist wirklich aus einem ernsthaften Hintergrund, welcher aber von vielen westliche Zuschauern nicht mehr ernstgenommen werden kann, da sich im Hinterkopf schon Parodien und Satiren abspielen.
Aber selbst „In guten wie in schweren Tagen“ verwendet ironische Spitzen und lieferte eine überzeichnete und überspitzte Interpretation des westlichen Schönheitsideals und weiterer Merkmale der westlichen Kultur ab. Diese Szenen sind deutlich auf Komik ausgelegt und können auf eine vortreffliche Weise unterhalten.
Dieser Film kann als Feuerprobe für den Bollywoodfilm angesehen werden, denn wer es durchhält 200 Minuten in die dargestellte indische Welt einzutauchen und danach den Film gar nicht schlecht findet oder sogar begeistert ist, sollte sich auf jeden Fall mit weiteren Filmen aus Bollywood beschäftigen. Alle anderen sollten den populären indischen Bollywoodfilm meiden, aber nicht den Trugschluss unterliegen, dass alle indischen Filme gleich seien, denn fernab des trivialen Kinos wird es noch einiges zu entdecken geben.
Für mich war dieser Film der erste richtige „Bollywoodfilm“ (neben „
My Name is Khan“) und auch wenn der Film gut eine halbe Stunde kürzer hätte ausfallen können und ich mit mehr Musik und Tanz gerechnet habe, hat er mir gefallen. Aus diesem Grund werde ich mich auf jeden Fall noch mit weiteren Filmen beschäftigen. Ein wirklich finales Urteil mag ich noch nicht abgeben, da ich noch ein Neuling in dieser filmischen Kultur bin und erst nachdem ich tiefer in der Materie bin, kann ich den Film besser einschätzen und im Kontext zu anderen Filmen und der indischen Kultur einordnen.