Martin
Martin ist ein nicht ganz alltäglicher Heranwachsender. Er hat nämlich ein äußerst seltsames Hobby. Er überfällt Frauen, betäubt sie und hat mit ihnen Sex, während sie im Narkoseschlaf liegen. Allerdings ist das nicht der Hauptgrund für seine Taten. Er möchte nämlich ihr Blut trinken, ohne ihnen dabei Schmerzen zu verursachen. Eigentlich ist er also ein ganz lieber Junge. Ein wenig schüchtern, aber auf irgendeine Art und Weise auch gutherzig.
Nur dieses eine Laster ist eben nicht unbedingt unterstützenswert. Das meint auch sein Onkel, bei dem er wohnt. Er ist davon überzeugt das es sich bei ihm um einen alten Familienfluch handelt und Martin ein waschechter Vampir ist. Dies lässt der strenggläubige alte Herr ihn auch jederzeit spüren.
George A. Romero dreht einen Vampirfilm? Die Blutfraktion hatte sich schon gierig die Hände gerieben und wurde komplett enttäuscht. Das was sich hier auch in meiner Beschreibung ziemlich reißerisch anhört, ist nämlich eher ein unglaublich geniales Außenseiterdrama. Natürlich gibt es auch die ein oder andere Bluteinlage, aber die sind niemals Selbstzweckhaft oder gar auf Splatter und Gore getrimmt. Sie sind eher normal in Martin`s Leben und eben auch in dieser Art inszeniert. Dabei stellt Romero aber auch wieder viele Fragen. Ist Martin wirklich ein Vampir oder ein dazu gemachtes Produkt seiner Umwelt?
Er selbst sagt das er 84 Jahre alt ist und in schwarz/weiß Bildern werden immer wieder Erinnerungen an längst vergangene Zeiten eingestreut. Sind es aber vielleicht gar keine Erinnerungen?
Dabei nimmt Romero die klassischen Merkmale eines Vampirs gehörig aufs Korn und weist sie in die Fabelwelt zurück. Tricks mit Kruzifixen oder Knoblauch funktionieren nämlich nicht. Ein Spiegelbild hat Martin auch.
Deshalb fragt der Regisseur auch weiter und räumt Gedankenspiele ein, ob die Möglichkeit besteht aus einem normalen Menschen ein Monster zu erschaffen.
"Martin" hatte mich schon bei der Erstsichtung absolut fasziniert. Man merkt dem Film natürlich an, das es eine kleine Independent Produktion ist, aber genau hierin liegt auch der große Vorteil.
Stilistisch wäre jede andere Herangehensweise wohl schief gegangen. Die kargen Bilder, einer sich auf dem absteigenden Ast befindlichen Kleinstadt in der Nähe von Pittsburgh, geben den perfekten Hintergrund für die eher traurige Stimmung im Film ab. Die Filmcrew selbst bestand nur aus 15 Leuten und gedreht wurde in der Wohnung eines befreundeten Paares. Das Catering übernahm die Dame des Hauses, was Romero als das beste Essen am Set bezeichnete. Die komplette Crew war untereinander auch eher befreundet, was man dem Film auch anmerkt. Er ist sehr homogen und in sich geschlossen. Romero selbst bezeichnet ihn sogar als seinen Lieblingsfilm, der für ihn am persönlichsten ist.
Zudem war es auch die erste Zusammenarbeit mit Tom Savini, der eigentlich eher als Darsteller angeheuert wurde, aber irgendwann dann auch die Special Effects am Film beisteuerte. Ein Gebiet auf dem er letztendlich seine Bestimmung gefunden hat. Einen großen Fang hat man auch mit Hauptdarsteller John Amplas gemacht. Er verkörpert Martin unglaublich perfekt und man nimmt ihm die Rolle zu jeder Zeit ab. Einen Besseren hätte Romero da absolut nicht finden können. Auch musikalisch ist der Film unglaublich gut vertont. Seien es die kleineren Melodien die das Geschehen untermalen oder die seltsamen Töne die Martin begleiten. Noch dazu die ständigen "Martin" Rufe die mit Hall unterlegt wurden. Hier sei noch die kleine Abschweifung zur britischen Band Soft Cell gestattet, die "Martin" kongenial vertonten. Sie nahmen einiges aus dem Score, bauten es in ihren Song ein, während der Text sich mit dem Film befasst. Unter anderem auch die bereits erwähnten "Martin" Rufe, die fast zu einer Anfeuerung (Martin Kill!) mutieren.
Der Film ist aber trotz meiner Lobeshymnen nur einem kleinen Kreis von Zuschauern zu empfehlen. Man sollte in jedem Fall ein wenig aufgeschlossen für "das Andere" sein, da er mit normalen Filmkonventionen oder gar dem Mainstream nichts gemeinsam hat. Popcorn und Actionfans sollten ihn deshalb auch weiterhin im Regal stehen lassen.