Blutmond
Manhunter ist einer dieser Filme, die mich viele Jahre lang überhaupt nicht interessiert haben. Dafür gibt es exakt 3 Gründe:
1. Hannibal Lecter wird nicht von Anthony Hopkins verkörpert.
2. Ich wusste nicht, dass es sich um einen Michael Mann Film handelt und der Titel Blutmond klang sehr nichts sagend.
3. Ich wusste nicht, dass Manhunter chronologisch gesehen vor Das Schweigen der Lämmer spielt.
Nun habe ich ihn heute zum ersten Mal gesehen und bin sehr beeindruckt von Mann's Frühwerk. Optisch mag der Film zwar deutlich in den 80ern angesiedelt sein (Miami Vice) und dementsprechend leicht veraltet wirken, Mann's Inszenierung hingegen ist zeitlos. Seine Regie ist sowas von innovativ und einzigartig, einfach unverkennbar Mann. Die Kameraführung ist phänomenal und jede Einstellung sieht aus wie aus einem perfekten Gemälde genommen. Der Score ist sowas von intensiv und bedrohlich, dass er wahrlich unter die Haut geht und perfekt mit den Bildern verschmilzt. Dazu noch William Petersen's erschreckend überzeugend gute Performance. All dies sorgt für eine Atmosphäre, wie ich sie in noch keinem anderen Thriller erlebt habe. Überhaupt ist der Film mit seinen 120 Minuten doch sehr langsam und ruhig inszeniert, was mir ausgesprochen gut gefallen hat. Kaum Action, aber wenn es soweit kommt, hätte es nicht besser sein können. Der Schowdown mit In-A-Gadda-Da-Vida zählt zu den stärksten Szenen des Films.
Doch es gibt auch ein paar Sachen, die mich nicht ganz überzeugen konnten. Da wäre zum einen Tom Noonan in der Rolle der Zahnfee. Ich fand ihn leider total fehlbesetzt. Er hat einfach das falsche Aussehen für diese Rolle und sein Herangehen an den Charakter fand ich auch unangemessen. Ich dachte der Punkt seines Charakters sei der, dass er sich total hässlich fühlt, in Wirklichkeit aber ganz normal aussieht und überhaupt nicht hässlich ist. Hier bekommen wir einen 2 Meter Lulatsch mit Halbglatze und einem total irren Blick vorgesetzt. Da hat mir Ralph Fiennes in Roter Drache deutlich mehr zugesagt. Überhaupt wird die Zahnfee in Manhunter deutlich zu spät eingeführt. Somit kommt sein Handlungsstrang mit Reba viel zu kurz und unglaubwürdig daher. Roter Drache hat das viel besser und ausgewogener hinbekommen. Dort hatten die beiden mehrere Szenen, in denen sie sich näher gekommen sind und in denen Reba ihm von ihren Wünschen erzählt hat etc. Erst dann hat Francis sie zum Tiger gebracht. In Manhunter wird der Inhalt von diesen Szenen in bloß einer einzigen Szene untergebracht und das auch noch in ihrer allerersten. Somit wirkt die Szene sehr unglaubwürdig und alles, was danach noch folgt. Die Tiger Szene ist sehr schön gefilmt, ergibt aber keinen Sinn. Überhaupt fand ich Joan Allen's Darstellung von Reba sehr schlecht. Das ist aber auch schon alles, was ich dem Film wirklich negativ ankreide.
Brian Cox ist ein toller Schauspieler, keine Frage, aber er erreicht zu keiner Sekunde Anthony Hopkins' Intensität. Den Killer nehme ich ihn ab, aber nicht den hoch intelligenten, brillianten Psychiater. Aber er hat ohnehin nur sehr wenige Szenen in Manhunter und erscheint wirklich nur in einer Nebenrolle, die mehr oder weniger als Mittel zum Zweck dient. Leider versäumt der Film zu erwähnen, dass Hannibal ein Kannibale ist. Das ist doch praktisch DAS Markenzeichen von Lecter. Unverständlich.
Apropos unverständlich. Wenn man Roter Drache nicht gelesen oder die Neuverfilmung nicht gesehen hat, könnte Manhunter für den Laien doch recht wirr und zusammenhangslos wirken. Bei diesem Film muss man sich als Zuschauer vieles dazu denken. Imo keine schlechte Eigenschaft. So bleibt die Spannung erhalten, die Charaktere interessant und es entsteht ein hoher Wiederanschauungswert. Jedoch dürfte das nicht jedem schmecken. Kein Wunder also, dass der Film damals floppte. Aber er erlang schnell Kultstatus und das zu Recht.
Letztendlich bleibt zu sagen, dass ich Manhunter für einen sehr starken Thriller halte, der nur wenig falsch macht und imo einer der besten Genrevertreter überhaupt ist. Und zu der immer wieder aufkommenden Frage: "Welcher Film ist besser, Manhunter oder Roter Drache?" Meine Antwort lautet: "Beide!" Sie haben beide ihre Stärken und Schwächen, doch bei beiden überwiegt klar der positive Anteil. Manhunter hat einen besseren Score, bessere Regie, eine intensivere Atmosphäre, eine schönere Kameraführung und Petersen gibt einen besseren Graham ab. Roter Drache ist näher am Buch (ergibt mehr Sinn, ist weniger zusammenhangslos), Hopkins gibt den besseren Lecter ab, Fiennes ist die bessere Zahnfee, Emily Watson die bessere Reba und das Ende gefällt mir ein klein wenig besser.