AW: In Einer Besseren Welt
In Einer Besseren Welt
„So entsteht Krieg...“
Was Recht und was Unrecht ist und wie der Einzelne, oder auch der Staat, auf diese Dinge reagieren soll, beschäftigt seit Jahrhunderten die Philosophen, Juristen und andere Geisteswissenschaftler dieser Erde. Eine einfache Runterbrechung des Themas wäre: wenn mir Unrecht widerfährt, reagiere ich mit starker Hand und schaffe (aus meiner Sicht) Recht oder halte ich die andere Wange hin? Diese makrokosmischen Fragen im Hinterkopf behaltend, liefert uns die dänische Regisseurin Susanne Bier einen familiären Mikrokosmos, mit dem sie keine Antworten liefert (bzw. liefern will), sondern den Zuschauer zu eigenen Gedankengängen verleiten will.
Die Mutter der 12jährigen Christians (William Jøhnk Juels Nielsen) ist jüngst an Krebs gestorben, weswegen er mit seinem Vater (Ulrich Thomsen) von London zurück nach Dänemark zieht. Elias (Markus Rygaard) wird von seinen Mitschülern gehänselt und muss außerdem mit der Trennung seiner Eltern zurechtkommen. Sein Vater Anton (Mikael Persbrandt) ist dabei die meiste Zeit des Jahres als Arzt in einem Flüchtlingslager in Afrika beschäftigt, wo er das geballte Leid der armen Bevölkerung vor Augen geführt bekommt. Irgendwann können diese Menschen die Ungerechtigkeit um sie herum nicht mehr ertragen. Doch wie werden sie auf sie reagieren?
Susanne Bier und Drehbuchautor Anders Thomas Jensen haben mit In Einer Besseren Welt ein Meisterstück des Weltkinos erschaffen. Minutiös begleiten sie die Charaktere auf ihrer Suche nach den „drei Punkten“, die man sich imaginär hinter den deutschen Titel denken muss: In einer besseren Welt würde Christians Mutter noch leben. In einer besseren Welt wären Elias‘ Eltern noch zusammen. In einer besseren Welt würde es jedem Menschen gut gehen - sei es in Afrika, Dänemark oder sonst wo. Dass dies (zumindest in zwei der drei Fälle) naives Wunschdenken ist, muss dabei nicht erwähnt werden. So verliert sich dann auch jede Figur zunächst in verhaltenstechnischen Extremen: Gewalt, Angst, Aufgabe, Ruhe...
Der Originaltitel wird da deutlicher: Hævnen heißt Rache. Diese Rache ist weder vorprogrammiert, noch wird sie von jedem Charakter exekutiert werden. Sicher ist jedoch, dass im Laufe des Films jede der Personen zumindest an sie denken wird.
Es mag dabei zynisch wirken, dass Bier uns diese Welt in wunderschönen Bildern präsentiert. Doch bilden sie einerseits natürlich einen Kontrast und haben andererseits (vor allem in den immer wieder eingestreuten Naturaufnahmen) eine Botschaft: nicht die Welt muss besser werden - sie ist bereits wunderschön und unangreifbar - sondern die Menschen, die diese Welt bevölkern.
Die Darsteller überzeugen, was in Skandinavien seit Jahren gang und gäbe ist, auf ganzer Linie. Nicht Wenige haben Probleme mit Jungdarstellern in ernsten Rollen. Diese Bedenken werden hier bereits nach wenigen Minuten entkräftet. Nielsen als auch Rygaard harmonieren wunderbar und sorgen für einige der ergreifendsten Momente des Films.
Die Chemie der erwachsenen Schauspieler stimmt ebenfalls, was bei den komplizierten Beziehungen ihrer Figuren auch essenziell für den Film ist. Leider ist Ulrich Thomsen relativ wenig zu sehen, was aber seiner Rolle als mehr oder wenig absenter Vater geschuldet ist.
Wie eingangs erwähnt regt der Film zum Nachdenken über das Gesehene an. Er geht somit weiter als sonstige Familiendramen, ohne jedoch eine alleinige Wahrheit für sich zu beanspruchen. Susanne Bier ist keine Philosophin und keine Juristin, sondern eine Geschichtenerzählern. Und wenn auch nur ein paar Zuschauer nach der Sichtung des Films, die (wiederum meiner subjektiven Wahrnehmung nach)
richtigen Schlüsse gezogen haben, dann hatte ihre Erzählung einen Sinn. Ich war paralysiert...
(9/10)