AW: Good Bye, Lenin!
Good Bye, Lenin!
In den letzten 20 Jahren hat sich ein Deutschland ein neues Subgenre entwickelt, welches sich zur Aufgabe gemacht hat die Geschichte der DDR, die Teilung Deutschlands und den Mauerfall aufzuarbeiten und für neue Generationen zu rekonstruieren. Dieses große historische Ereignis war nicht nur das zentrale Thema für viele Dramen, sondern hat auch in Einzug in diversen Filmgenres (Komödien, Heimatfilmen, Actionfilmen, Thriller etc.) gehalten. Die bekanntesten und erfolgreichsten Vertreter gehören dem Drama oder der Komödie an und der vorläufige Höhepunkt dieser Filmentwicklung stellte im Jahre 2003 die Tragikomödie „Good Bye, Lenin!" dar.
Der Ausgangspunkt dieses Films war die Idee, dass ein Mensch, der im Koma liegt, dieses große geschichtliche Ereignis des Mauerfalls nicht mitbekommt und erst Monate nach dem Mauerfall wie durch ein Wunder aufwacht und dass aufgrund dieses Komas der Mensch keine große Aufregung erfahren darf , da sonst die Gefahr besteht einen weiteren Infarkt zu erleiden. Daraufhin versuchen die Angehörigen der Familie den Vorfall zu verschweigen und konstruieren eine „neue alte“ DDR.
Diese erste Idee ist bis zum finalen Film noch immer der zentrale Inhalt und sorgt in den Tragikomödie von Regisseur Wolfgang Becker für erheiternde sowie für sehr traurige Momente.
Der Chronist und Schöpfer dieser Geschichte ist die Hauptfigur Alex, der sich zu Beginn des Films an seine Kindheit in der DDR erinnert und auch das weitere Geschehen des Films in der Funktion eines Off-Sprechers kommentiert.
Doch schnell wechselt der Film in das Jahr 1989 und zeigt die fiktive Familie Kerner, in der die alleinerziehende Mutter mit ihren beiden erwachsenen Kindern (Alex und Ariane) zusammen lebt. Die Mutter, bravourös von Katrin Sass gespielt, ist eine höchst engagierte Sozialistin, welche am 7. Oktober 1989 einen Herzinfarkt erleidet, als sie ihren Sohn Alex (Daniel Brühl) bei einer Demonstration gegen den SED-Staat erblickt. Daraufhin fällt sie für acht Monate ins Koma und die Weltgeschichte nimmt ihren Lauf.
Nach den acht Monaten versucht vor allem Alex die DDR für seine Mutter in ihrer gemeinsamen kleinen Wohnung zu rekonstruieren, da er selbst davon überzeugt sei, dass es für ihn keine allzu schwere Aufgabe werde und es wie folgt kommentierte:
„
Wahrheit ist eine zweifelhafte Angelegenheit, die ich leicht Mutters gewohnter Wahrnehmung angleichen konnte.“
Alex
Die Idee bietet viel Potenzial und vor allem genug Potenzial für Humor, was man schon anhand der Suche nach alten Relikten aus der DDR erkennt, denn die Suche nach einem Glas von alten Spreewald-Gurken kann jemanden schon zur Verzweiflung bringen. Auch die Aufnahme der kapitalistischen Güter wie z.B. Coca-Cola, Burger King und Ikea sorgen für Probleme und führen dazu, dass Alex immer mehr improvisieren muss und sogar eigene Folgen der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ produziert. Diese Punkte bewogen vermutlich auch die Marketingstrategen den Films als Komödie zu „verkaufen“, sodass der Film mehr Zuschauer anlockt, da leichte und erheiternde Themen meist von größeren Erfolg gekrönt sind als melancholische und ruhige Dramen.
Aber neben den vielen humorvollen Problemstellungen und den ironischen Kommentaren vom Erzähler, bietet diese Tragikomödie mehr Tragik als Komödie, was am deutlichsten an der ruhigen und emotionalen Klaviermusik von Yann Tiersen wird.
Regisseur Becker exponiert in erster Linie ein Familienporträt und gibt seinen Figuren viel Tiefe und Glaubwürdigkeit. Die Mutter ist die zentrale und passive Auslöserin für die Entwicklung des Films und Sohn Alex ist die aktive Hauptrolle des Films, welcher auf der Suche nach seiner wahren Identität ist. Schon früh hat der Vater die Familie verlassen, sodass für Alex ein wichtiger familiären Baustein in seiner Sozialisation fehlte, welcher nur rudimentär von seinem Idol Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen Bürger im All, ersetzt worden ist. Durch den Zusammenbruch der DDR und der deutschen Wiedervereinigung ist Alex auch auf der Suche nach einer neuen nationalen Identität, denn einerseits sympathisiert er mit dem neuen Deutschland, aber auf der anderen Seite hat er noch viele romantisierende Erinnerungen an die alte DDR, welche auch gleichzeitig der Motor für sein Engagement zur Rekonstruierung der DDR für seine Mutter darstellt. In diesem Punkt unterscheidet er sich auch sehr von seiner Schwester Ariane (souverän von Maria Simon verkörpert), welcher nach dem Mauerfall direkt die westlichen Werte internalisiert und sogar ein wenig dem Konsumrausch frönt. Zwei sehr eindeutige Symbole sind dafür, dass sie von nun an bei Burger King arbeitet und ihr fester Freund aus Westdeutschland kommt. Im Film hat ihr Charakter die Funktion ihren Bruder Alex in seiner Überambitionen zu bremsen und ihn mit ihrem pragmatischen Denken auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen (Die gleiche Funktion kann man auch der Freundin von Alex zuschreiben).
Interessant an diesem Film ist nicht nur die Idee des „Verschlafens“ des Mauerfalls, sondern vor allem der Entwurf eines alternativen Geschichtsverlaufs, welcher die wahren historischen Ereignisse in einem neuen (und gegensätzlichen) Zusammenhang setzt. Unterstützt wird dieses von Originalaufnahmen, welche an vielen Stellen des Films integriert worden sind und um so der neuen Geschichte eine scheinbare Authentizität zu verleihen. Des Weiteren ist der Film ein wichtiger Beitrag zur sogenannten „Ostalgie-Welle“, welche zum damaligen Erscheinen des Films populär war und in einer naiven und romantisierende Art an die alte DDR erinnerte.
So wird auch irgendwann Alex gewiss, dass die DDR ein Land war, dass es in Wirklichkeit nie so gegeben hat, das in seiner Erinnerung immer mit seiner Mutter verbunden sein wird.
Resümee:
„Good Bye, Lenin!“ ist trotz einiger humorvoller Momente und Ironisierungen ein exzellentes Drama über die Einwirkung politischer Veränderungen in den Mikrokosmos einer Familie und des Weiteren eine Metapher für das politische System der DDR, denn so werden auch in „Good Bye, Lenin!“ Scheinwelten aufgebaut, in die nichts von außen eindringen darf, damit sie bestehen können.