Black Swan
Wenn die Farbe Weiß das Gute, die Farbe Schwarz das Schlechte symbolisiert, ist der Mensch dann aufgrund seiner persönlichen Vielfalt grau? Oder schlummert jeweils beides in uns, Teufel und Engel, schwarzer und weißer Schwan?
Nina (Natalie Portman) ist jung, hübsch, diszipliniert...eine begnadete, allerdings noch vor dem Durchbruch stehende, Ballerina. Was kaum jemand weiß: sie wird von ihrer Mutter (Barbara Hershey) künstlich klein gehalten, was sich auch in ihrer schüchternen, zurückhaltenden Persönlichkeit wiederspiegelt. Als sie von ihrem Trainer und Mentor Thomas Leroy (Vincent Cassel) die doppelte Hauptrolle des schwarzen und weißen Schwans im berühmten „Schwanensee“ zugewiesen bekommt, ist jeder von der perfekten Verkörperung des hellen Tieres überzeugt. Der schwarze Vogel jedoch bedürfe mehr Leidenschaft, Erotik und eine mysteriösere Persönlichkeit. Alles Attribute, die auf Ninas Kollegin Lily (Mila Kunis) zutreffen. Findet Nina ihre dunkle Seite bzw. will sie diese überhaupt finden?
Wer jemals beim Zappen auf eine Ballett-Vorführung bei 3sat oder arte gestoßen ist und diese Kunst als langweilig abgetan hat, wird sich vielleicht schwerlich vorstellen können, dass diese Welt den Stoff für ein aufwühlendes, spannendes und alles in allem geniales Psychogramm bietet. Doch wie schon bei The Wrestler gilt Folgendes: man kann sich den Film nicht in einem anderen Milieu vorstellen und doch ist dieses nicht wirklich wichtig für die Geschichte, für die ausgesendete Nachricht. Klar, es würden die toll choreographierten Tanzszenen und die Musik von Tchaikovsky fehlen, doch dass das Script ursprünglich in der Theaterszene angesiedelt war, spricht Bände: es geht nicht um das Meistern eines bestimmten Tanzes o.ä., sondern um das Meistern der eigenen Persönlichkeit!
Die eingangs erwähnten Farben sind großer Bestandteil des Gesamtkunstwerks. Der Film wurde in kühlen Grau- und Blautönen gedreht; Nina trägt grundsätzlich Weiß; Lily immer Schwarz. Besonders hervorheben muss man dabei die erste Szene des Films: ein, wie sich sofort nach der Szene herausstellt, Traum von Nina in dem sie den weißen Schwan verkörpert. Um sie herum ist alles dunkel...nur ein Scheinwerfer umhüllt sie mit einer bläulichen Aura...und Nina wirkt in ihrem weißen Kleid wie ein Fremdkörper in der Szenerie (was eine Metapher für eines der großen Motive des Films ist).
Dabei verliert sich der Film nicht in Stilmitteln, welche zwar vorhanden sind, aber von Aronofsky in angenehmen Dosen verabreicht werden.
Natalie Portman war nie besser. Nicht nur, dass sie das Gros der Ballettszenen selber getanzt hat: sie spielt die Zerbrechlichkeit (und gleichzeitige Ambivalenz...quasi eine Umkehrung ihrer Rolle aus Léon) perfekt und hat riesige Chancen auf den Oscar. Vincent Cassel schafft es der strengen Figur des Ballettlehrers sympathische Züge einzuhauchen. Mila Kunis sieht nicht nur bezaubernd aus, sondern überzeugt auch durch ungeahnte mystische Züge, die man ihr nicht zugetraut hätte. Hinzu kommt noch Winona Ryder, die trotz Kurzauftritt im Gedächtnis bleibt.
Die bereits angesprochene Musik beschränkt sich nicht nur auf die allseits bekannten Stücke von Tchaikovsky, sondern besteht auch aus (teilweise umgekehrten oder bis zur Unkenntlichkeit verzerrten) Variationen dieser, für die Clint Mansell verantwortlich war. Auch diese trägt ungemein zur Atmosphäre bei, welche zwischen Spannung, Dramatik und epischer Schönheit wechselt.
Fazit: Black Swan ist kein Film für jedermann. Wird in der Promo oft das Genre des Psycho- oder Mysterythrillers genannt, ist der Stempel Psychogramm dann doch passender. Zwar bedient sich der Film an Elementen des Thrillers, ohne aber jemals zu einem zu werden.
Wer aber gerne in die tiefen Abgründe der menschlichen Seele abtaucht und dabei auf ungewöhnliche Art und Weise begeistert, verstört, unterhalten und aufgewühlt wird, der wird kaum einen besseren Film finden als Black Swan.
(10/10)
(Anmerkung: es gibt eine Menge Parallelen zu The Wrestler, die aber Spoiler für beide Filme beinhalten würden, weswegen ich diese in der Kritik komplett ausgeklammert habe.)