AW: Eure Regisseure mit mehr als einem 10/10-Film
@Leon/Willy: Danke euch sehr für den warmen Empfang.
@Willy: Ich kenn das Gefühl, dass man viel "aufholen" muss, und das ist ein ziemlich ätzendes Gefühl. Ich würds so sagen: Man hat noch viel zu "entdecken". Das ist nämlich ein sehr stimulierendes Gefühl und das sollte man immer haben.
gegen die Höchstnote habe ich mich letztlich nur deswegen entschieden, weil es mir in der Nachbetrachtung so vorkam, als sei die Form ein wenig zu stark in den Vordergrund getreten.
Jep, Persona geht ab wie'n Zäpfchen in Sachen "Form".
Wie ich sehe in deiner Liste, ist dein 10er "Wilde Erdbeeren". Der Film fasst meine bisherige Beziehung zu Bergman am besten zusammen und geht sehr in die Richtung von dem, was du gerade gesagt hast: Beim meinem ersten Erlebnis hingen meine Augen komplett am Bildschirm fest, weil dieser Film einen unglaublichen Sog hat. Aber nach dem Abspann, wo man sich ja natürlich ne Meinung bilden und den Film dann richten will, war das alles so gut wie weg und meine Reaktion war eher "nene, das war nix". Durch die gesamte Stimmung im Film und durch den Namen Bergman erwartet man am Ende nicht, dass dieser Film ein gewitztes formales Spiel aus Lust an der Freude daran ist, sowas würde man eher von Tarantino oder De Palma erwarten, hier will man halt nur sagen können: Das waren echte Gefühle und tiefgehender Herzschmerz, Blick in die nackte Seele und blabla. "Wilde Erdbeeren" war für mich aber ein obskurer Mischmasch aus McGuffins und Symbolen und wirkte einfach überkonstruiert und eigentlich ziemlich theatralisch. Vergessen tut man dann, dass der Film einen während dem Schauen aber sehr bewegt hat, da man nicht weiß wie und warum, lässt mans damit aber gut sein und vergisst es. Beim zweiten Sehen sehe ich das ganze als ein Spiel, achte genau darauf, wie's wohl funktioniert, und sehe bzw. fühle, dass der Film tatsächlich großartig ist (trotz einiger Szenen wie die Schlägerei zwischen zwei austauschbaren Pappkameraden darum, obs Gott gibt, sowas wirkt für mich immer noch allzu theatralisch und irgendwie nur "zweckmäßig").
Und der Bergman-Film von den jetzt mittlerweile 12 oder 13, die ich kenne, an dessen Spiel ich mit Leib und Seele am meisten involviert war, war halt "Persona". Das war eine Wucht ohnesgleichen. Hochexplosiver Film, prasselt auf die Sinne ein wie ein Naturschauspiel, aber die bewegendsten Momente waren imo seltsamerweise die ruhigsten (die szene mit dem Brief). Gespannt bin ich allerdings sehr auf "Sommer mit Monika" und "Licht im Winter".
Zur Diskussion (?):
Ich denke, ein Stichwort für das Vergeben der Höchstnote oder in meinem Falle das Prädikat "Meisterwerk" wäre vielleicht folgender Gedanke: Man will, dass der Film genau so ist und nicht anders. Das ist einfacher als Kriterien für eine Perfektion, da die immer relativ sind und man in Wirklichkeit auch nicht weiß, wie sie zusammenhängen (man fühlt einen Film mehr als dass man ihn denkt). Allerdings gibts folgendes Problem: Bspw. will ich nicht, dass das Lied "Say it right" von Nelly Furtado anders ist als es ist, es geht nämlich geil ab auf der Autobahn und ich kann das immer wieder hören. Aber ich würde jetzt nicht sagen, das Lied wäre das höchste, wie würd ich dann z.B. Bob Dylan bewerten wollen. Denn bei Dylan hab ich das Gefühl, Musik ist einfach mehr als "nur Musik", das Gefühl hab ich bei "Say it right" nicht.
So kann man das bei Filmen auch machen. Deswegen ist -für mich persönlich- als jemand, der bspw. die Paten-Filme unendlich oft gesehen hat und mit ihnen groß geworden ist, glaube ich derzeit keine Höchstwertung (d.h. absolutes Meisterwerk) für die drin. Ich liebe den Film zwar mit ganzem Herzen genau so, wie er ist, und die Szenen, wo Brando Pacino darauf hinweist, dass "derjenige, der zu einem Gespräch mit Bazini einlädt, der Verräter ist", oder wo sich die Tür vor Diane Keaton schließt, oder wo Pacino zu Duvall sagt, er sei sein Bruder, oder "Es bricht mir das Herz, Fredo", Pacinos irrer Blick, et cetera et cetera, die liebe ich so wie die sind. Für mich persönlich machen "Barry Lyndon" oder "Es war einmal in Amerika" aber mehr mit dem Format des langen Epos und aus den Filmen spricht einfach mehr zu mir, sie sind nicht nur "Filme" für mich, sondern gehen mehr in Richtung Leben.
Also, was muss ein Film haben für das höchste der Gefühle? Nicht Plot, Bedeutung (ein Lied erzählt mir doch auch keine Geschichte und Instrumente und Töne haben ja auch keine Bedeutung), sondern imo vor allem irgendeine tiefergehende, wichtige Erfahrung. In 2001 bspw. gibts ne Szene, wo ein Füller im scharfen Vordergrund des Bildes im Raumschiff schwebend und langsam rumzirkelt, und exakt in dem Moment, wo die Tonlage der Musik sich verändert, wechselt die Schärfe des Bildes auf den Hintergrund und eine Raumschifftuse kommt rein und fischt den Füller aus der Luft. Das hat keinen Plot und symbolisiert erstmal nix, ist aber absolut atemberaubend. Der Füller wirkt plötzlich wie'n Schmetterling.
So ne Erfahrung kann man natürlich auch mit nem plotlastigen Film erreichen, es gibt, man kann sie etwas absurd "Plot-Poeten" nennen, Leute wie David Lynch oder Hitchcock, die sowas können. Um meine Lieblings-Hitchcocks mal zu propagieren, zeig ich mal so ungefähr was ich mein (youtube ist was tolles), eine Szene aus "Notorious", die (aus dem Zusammenhang gerissen) nicht viel verrät, aber spoilerverängstigte meiden sollten:
http://www.youtube.com/watch?v=ncwQDdfLue8.
Das ist, mitten in dem suspenselastigsten Teil des Films, eine minutenlange Liebesszene (mit den zwei besten Schauspielern aller Zeiten), gegen die fast jede andere wie laue Blümchensex-Stimulation wirkt. Dass Hitchcock bei dieser normalerweise nur zweckmäßigen Szene ("hach, die hübschen lieben sich"), eine minutenlange Kamerafahrt macht, zeigt, dass der Plot nicht das wesentliche ist. Man stelle sich das mal auf der großen Leinwand vor: Es wirkt so, als könnte man Cary Grants Stimme in seinem Ohr flüstern hören, und Ingrid Bergmans Atemhauch kann man förmlich riechen. Der ganze Dialog und wie die Worte nacheinander quasi gehaucht werden, Grants und Bergmanns Gesichter leinwandfüllend und der klaustrophobische Raum: Jede Sekunde und jeder Millimeter des Bildes sind auf ihrem Intensitätsmaximum.
Sorry erneut für den langen Text, ist halt so ein interessantes Thema.